Samstag, 27. Juni 2015

The Sound of Liberation

REFUSED
Freedom
Epitaph
2015















Auch wenn die bisher veröffentlichten Songs es nicht wirklich waren, das erste Album von Refused seit fast 20 Jahren ist zwangsläufig ein Highlight. Mit the Shape of Punk to Come, dem Quasi-Vorgänger dieser Platte, hatten die Schweden 1998 den Hardcore revolutioniert, da sind sich Fans und Experten einig. Und was seitdem nach zwei Trennungen, ewigem Fangespielen mit den Medien und diversen Sellout-Vorwürfen davon noch hängengeblieben ist, interessiert so ziemlich jeden in der Indie-Welt. In Interviews spucken Dennis Lyxzén und seine fast originalbesetzte Band noch immer ordentlich Gift und Galle, live hat die Energie hingegen um einiges nachgelassen und der Produzent der neuen Platte ist der gleicheTyp, der die meisten Hits von Taylor Swift schreibt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Freedom scheint eine zuverlässige Prognose so gut wie unmöglich. Also lasse ich hier einfach mal das Material selbst sprechen. Ein tiefer Blick in das große Comeback von Refused:

1. Elektra
Das neue Album beginnt mit dem Song, den viele schon zu Anfang als Opener gesehen haben wollen. Und mir bleibt hier nur zu sagen, dass Elektra diese Position ziemlich gut ausfüllt. Wer genaueres über den eigentlichen Track erfahren will: ich habe ihn bereits besprochen. Und zwar hier.

2. Old Friends/New War
Nachdem der Opener die Ästhetik zunächst ein ganzes Stück in Richtung Metal gerückt hat, folgt hier erstmal ein ziemlich straighter Punkrock-Song, der sogar über akustische Passagen verfügt. Das hindert Dennis Lyxzén zwar nicht daran, wie ein Besessener zu brüllen, doch alles in allem klingt Old Friends/New War ganz wie der erste Popsong auf diesem Album. Und auch wenn dadurch Assoziationen zu Liberation Frequency entstehen, das Niveau dieses Klassikers erreicht der Track bei weitem nicht.

3. Dawkins Christ
Von allen vorab veröffentlichten Tracks empfand ich Dawkins Christ als einzige wirklich starke Nummer. Das New Noise-artige Intro ist schnell vergessen, die orientalische Tonalität paart sich wunderbar mit dem fetten Hardcore-Sound und Lyxzén rastet hier zum ersten Mal richtig aus. Ein ganz besonderes Schmankerl sind allerdings die cleveren Bass-Fills im Mittelteil, die den Song garnieren und zu einem tollen Refused-Original machen. Ganz ehrlich, bei welcher anderen Band hätte diese Musik so geklungen?

4. Françafrique
Mit diesem Song sind die bisherigen Singles der Platte schon in der Anfangsphase abgehakt und sorgen dafür, dass man aus Freedom noch immer nicht so richtig schlau wird. Auch dank Françafrique, einem der bisher eigenartigsten Tracks der Bandgeschichte. Der Kinderchor (!) zu Beginn geht über in eine ziemlich solide Punkrock-Nummer, die sich zum Refrain hin jedoch eher zum Funk hin bewegt und insgesamt eher an die frühen Red Hot Chili Peppers erinnert als an Refused selbst, inklusive Trompeten im Finale. Pendelt bei mir noch irgendwo zwischen erfrischend und peinlich, wobei Schlagzeuger Sandström Respekt für seine akzentuierten Drums gebührt.

5. Thought is Blood
Thought is Blood beginnt als finstere Industrial-Nummer im Stil von Trent Reznor, bevor der Bass den Song in einen ziemlich öden Strophenteil schleift, der wiederum durch einen Hardcore-Refrain (ist es ein Refrain?) abgelöst wird. Und das ist erst eine der viereinhalb Minuten hier. Der definitiv chaotischste Song auf Freedom schafft es damit gleichzeitig, ziemlich furchtbar und ziemlich gut zu sein. Alles in allem aber auch ziemlich unspektakulär.

6. War On the Palaces
Das satte Blues-Riff eröffnet diesen Song perfekt, aber was machen die Trompeten denn schon wieder hier? Scheißegal, eine solide Anti-Kapitalismus-Punkrock-Nummer wird aus War On the Palaces trotzdem noch. Die hat sogar einen ganz schön catchy Refrain, Sandströms treibende Drums und seit langem mal wieder eine halbwegs überschaubare Songstruktur. Was ihn irgendwie zu einem meiner Lieblingstracks hier macht, eben weil er nicht ganz so kompliziert ist wie die übrigen Tracks. Kontrastprogramm zum Kontrastprogramm sozusagen. Schöne Sache.

7. Destroy the Man
Apropos kompliziert: Destroy the Man hat den vertrackten Rhythmuswechsel gleich am Anfang und belässt es auch nicht bei dem einen. Klanglich der vielleicht düsterste Song auf Freedom, ist Destroy the Man ein Skelett von einem Track, das vor allem von Gesang, Schlagzeug und den schon wieder total genialen Bass-Fills lebt, die hier die kompletten dreieinhalb Minuten auskleiden. Zumindest bis im Finale dann doch noch die Gitarre übernimmt und zur Abwechslung auch mal wieder Hardcore spielt.

8. 366
Mit Hardcore geht es auch in 366 weiter, dessen erster Teil ist diesbezüglich vielleicht einer der wenigen Momente, die diesen Tenor auch mehr oder weniger durchziehen, auch wenn der Refrain schon wieder fast gesungen ist und fünfeinhalb Minuten jetzt nicht gerade Punkrock-Länge sind. Aber wenigstens erkennt man hier einmal mehr das eine große Talent von Refused: Einen Genre-Song mit vielen neuen Stilelementen auszuschmücken und trotzdem weiter am Kern der Sache zu bleiben. Hier noch einmal in der Oldschool-Variante.

9. Servants of Death
Für den vorletzten Song hier greifen Refused noch einmal tief in die Blues- und Funk-Trickkiste mit einem Song, der die zu Beginn angerissenen Einflüsse wieder zum Abschluss bringt und die Sache damit rund macht. Mit gesungener Strophe und Synth-Geplucker ist Servants of Death das exotische Stück, das vor dem Ende der Platte noch mal kommen musste. Der ultimative Beweis dafür, dass die Schweden noch immer groß denken und dass Freedom zwar nicht klingt wie sein Vorgänger, aber das Prinzip wieder mal verstanden hat. Dafür ist der am Ende eingesamplete Applaus schon mal berechtigt.

10. Useless Europeans
Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass es am Ende wieder eine Ballade gibt und es gibt am Ende wieder eine Ballade. Useless Europeans klingt von Sound her nach Geisterstimmen, Wüstenidylle und Nancy Sinatra. Was natürlich nur die knallharte politische Message kaschieren soll, die schon im Songtitel lauert. Und auch wenn Dennis Lyxzén auch hier nochmal kurz schreien muss, an sich steht der Track damit in der Tradition des wunderbaren the Apollo Programme Was A Hoax von the Shape of Punk to Come. Denn so unterschiedlich sind die beiden Platten am Ende gar nicht. Stilistisch wie qualitativ.

9/11

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