Mittwoch, 10. Juni 2015

Harfen aus Stahl

OBSEQUIAE
Aria of Vernal Tombs
20 Buck Spin
2015















Mit diesem Review passiert gerade etwas zum ersten Mal, von dem ich nicht geglaubt hätte, dass es irgendwann mal stattfinden würde: Ich bespreche eine Mittelalter-Rock-Platte. Tatsächlich. Ich selbst finde das meiste, was aus dieser seltsamen Sparte der Post-Gothic-Bewegung kommt, ziemlich albern, kann mich aber auch nicht der Meinung erwähren, dass man diese nicht aus Prinzip verlachen sollte und bekunde seit einiger Zeit ein gewisses Interesse an ihrer Entstehung. Näheres werde ich vielleicht mal in einem gesonderten Post erläutern, denn dieses Album ist davon komplett unabhängig. Obsequiae sind eigentlich eine Black Metal-Band aus Minneapolis, die bereits auf ihrem Debüt im Jahr 2011 durch den Einsatz von mittelalterlichen Klangelementen für einiges Aufsehen sorgte. Denn Sunspended in the Brume of Eos, so der Name der Platte, war eben kein aus der Zeit gefallener Goth-Zirkus mit dämlichen Verkleidungen und Schalk im Nacken, sondern ernst gemeinte Untergrund-Musik, die den alten Meistern tatsächlich genau auf die Finger schaute und ein tiefgehendes Interesse für Kompositionen zeigte, die vor 500 Jahren trendy waren. Gleichzeitig jedoch waren Obsequiae auch eine Band, die sehr modernen Black Metal spielte und zeitlich im hier und jetzt verankert war. Eine seltene Erscheinung, die zur Veröffentlichung des Nachfolgers Aria of Vernal Tombs nun jede Menge Interessenten angelockt hat. Pitchfork gab der Platte ein überraschend gutes Review und das Echo in den Blogs war groß. So groß, dass auch ich mich dem Tross anschließen wollte und -zugegeben reichlich spät- meine eigene Meinung zur Mittelalter-Metal-Sensation 2015 bilden wollte. Zum ersten muss ich dabei zustimmen, dass es sich hier wirklich nicht um irgendwelche Clowns handelt, die traditionelle Musik für ein modernes Massenpublikum aufbereiten. Diese Leute verstehen ihr Handwerk und wissen, dass so altes Kulturgut kunstfertig umgesetzt gehört. Vieles hier erinnert mich an die großartigen Songs, die Arch Garrison im letzten Jahr auf I Will Be A Pilgrim schrieb. Nur eben mit Black Metal. Und wenn wir darüber sprechen, sehe ich das einzige große Problem, das dieses Album hat. Obsequiae bekommen es wunderbar hin, alte Instrumente und Kompositionsstrukturen in frische Rockmusik einzubauen, aber als Metal-Band an sich sind sie eher mittelmäßig. Wäre Aria of Vernal Tombs ein reines Genre-Projekt, würde es wahrscheinlich zu den langweiligsten gehören, die ich seit langem gehört habe. Die Gitarren sind nur halb so laut, wie sie es sein könnten, fingerfertige Super-Soli hört man kaum und die pampige Produktion mit Reverb-Schlafrock macht auch den letzten Punch hier zunichte. Die ganzen Harfen, Flöten und Mandolinen sind da fast wie eine Rettung für die meisten Songs, um sie wenigstens noch irgendwie interessant zu machen. Ein interessantes Gesamtwerk ist Aria of Vernal Tombs am Ende, allerdings hätte ich mir auch an vielen Stellen noch mehr gewünscht. Denn was die Aufarbeitung mittelalterlicher Klänge durch Popmusik angeht, hat diese Band hier etwas von echtem Wert geschaffen. Jetzt muss nur noch ein bisschen Heavy Metal folgen. Dann wäre diese Sparte der Retro-Kultur in diesem Blog auch keine No-Go-Area mehr.
7/11

Beste Songs: Ay Que Por Muy Gran Fremosura / L'Amour Dont Suis Espris

Nicht mein Fall: Until All Ages Fall

Weiterlesen:
Review zu the Ark Work (Liturgy):
zum Review

Review zu I Will Be A Pilgrim (Arch Garrison):
zum Review

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