Sonntag, 28. Juni 2015

Comfortably Numb

CITIZEN
Everybody is Going to Heaven
Run for Cover
2015















Es gab vor vier bis fünf Jahren zahlreiche Musikfans, unter denen auch ich mich befand, die sich nichts sehnlicher wünschten als ein Neunziger-Revival. Es wurde Bands wie the Pains of Being Pure at Heart oder Japanese Voyeurs hinterher geschmachtet und die Comeback-Platten von Alice in Chains und Jane's Addiction exorbitant gefeiert, obwohl sie bestenfalls durchschnittlich waren. Man musste das tun, weil es eben noch kein richtiges Revival gab. 2015 sieht die Situation anders aus. Mittlerweile schäme ich mich ein bisschen für mein damaliges Gehabe und belasse es beim Hören alter Klassiker. Die Neunziger ihrerseits sind im Moment so sehr zurück wie nur möglich und vorher verhasste Subgenres wie Emorock, Fun-Punk oder Post-Grunge werden wieder salonfähig. Ernsthafte Musikkenner feiern jetzt alte Live-Alben und ein Film wie Montage of Heck wird zu Sensation. Sogar die absolute No-Go-Zone namens Nickelback wird scheinbar langsam rehabilitiert. Im Fahrwasser dieser Bewegung haben auch einige Junge Bands ziemlichen Aufwind durch Musik bekommen, die dreist bei den alten Epigonen klaut. Superheaven, Drenge oder Middle Class Rut sind ihre Namen und seit neustem gehören auch Citizen dazu. Die schon vor zwei Jahren als Indie-Schrägstrich-Emo-Kapelle positiv aufgefallenen Jungs aus der amerikanischen Provinz haben für Everybody is Going to Heaven den krachig-verträumten Sound ihres Debüts Youth verworfen und dafür so ziemlich alles, was nach Emo, Grunge oder Alternative klingt, mit an Bord genommen. So hört man hier in den wildesten kompositorischen Zusammenstellungen Einflüsse von Pearl Jam, American Football, Elliott Smith, Nine Inch Nails und diversen anderen, zusammengestampft in zehn Songs, die langweiliger und ausgelutschter nicht sein könnten. In ihrem Versuch, die Null-Bock-Attitüde der Prä-Jahrtausendwende so korrekt wie möglich zu mimen, klingen Citizen tatsächlich so, als hätten sie dieses Album nie machen wollen. Komplett blutleer und emotionslos trottet ein Track nach dem anderen durch die Gehörgänge und verbreitet damit ungefähr die Spannung eines Nachmittagsprogramms auf einem Regionalsender. Eine so junge Rockband so total ohne Leidenschaft und Herzblut zu erleben, ist schon schockierend. Man sagt ja immer, dass der Wille da war, aber selbst der ist bei Citizen nicht zu erkennen. Was also die weitgehende Feierei dieses Longplayers soll, ist mir völlig unbegreiflich. So wie so ziemlich die ganze Sache mit dem Neunziger-Revival. Auch in der Hochphase des Retro-Wahns gilt für mich: Danke, dass ich mich für das Original entschieden habe. Gute Kopien müssen erst noch gemacht werden.
2/11

Beste Songs: -

Nicht mein Fall: Dive Into My Sun / My Favorite Color / Stain

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