Montag, 5. September 2022

Risiken und Nebenwirkungen

The Game - DRILLMATIC Heart vs. Mind
THE GAME
Drillmatic Heart vs. Mind
100 Entertainment, Inc.
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ausführlich | ambitioniert | kontrovers ]

Wenn eine Sache bereits im Vorfeld von Drillmatic Heart vs. Mind feststand, dann dass the Game anscheinend wollte, dass die Sache groß wird. Für sein anberaumtes Opus Magnum von knapp zwei Stunden Länge und einer Gästeliste mit reichlich aktueller und klassischer Rap-Prominenz aus den letzten 35 Jahren, das in Sachen künstlerischen Ambitionen und kreativer Vielschichtigkeit ein neues Kapitel seiner Karriere aufschlagen würde, sollte definitiv die meistmögliche Aufmerksamkeit generiert werden, die so ein Bombastwerk auch entsprechend promotet. Und an sich ist das ja auch eine Motivation die ich irgendwo verstehen kann und eine Strategie, die im heutugen Szene-Kontext nicht ungewöhnlich erscheint. Das einzige Problem: Der Name Game alleine und die bloße Ankündigung eines solches Projektes hätten das sicherlich nicht getan, weil der Kalifornier nun mal kein Kendrick Lamar und kein Kanye West ist, der den Hype einfach aus dem Ärmel schüttelt. Weshalb in diesem Fall dann oft mal der Zweck die Mittel heilte und man sich an Anderen hochziehen musste, um das öffentliche Aufmerksamkeitsdefizit auszugleichen. So wurde im Vorfeld der Veröffentlichung von Drillmatic sowohl ein Feature von Nas als auch von Nipsey Hussle angekündigt, die auf der jetzigen Version beide nicht mehr vorhanden sind, dazu eine kontroverse Leadsingle mit Kanye West gedroppt, als der im Januar auf der Höhe seines oberpeinlichen Pete Davidson-Beefs war, genauso wie ein über zehnminütiger Eminem-Disstrack, der offenkundig nur aus dem Grund existierte, um ordentlich Promobeef heraufzubeschwören (was zum Glück nicht passierte). Und obwohl das alles schon irgendwie dafür sorgte, dass Teile der Laufkundschaft sich plötzlich für the Game interessierten und man irgendwie aufmerksam wurde, war das doch a) meistens eher aufgrund der prominenten Verstrickungen und Skandale spannend und b) selten von Vorteil für die eigentliche Album-PR. Denn die wenigen, bei denen die Verbindung von den Promo-Shenanigans zum neuen Release des Kaliforniers wirklich ankam, wendeten sich in Reaktion darauf eher von Game ab, statt ihn zu supporten und anstelle von Hype baute Drillmatic im Vorfeld nur willkürliche Kontroversen auf, in denen Andere die Hauptrolle spielten. Die Folgen daraus: Zwei Wochen nach Release ist die Tracklist der Platte aus unerfindlichen Gründen bereits um zwei Songs geschrumpft (was bei ursprünglich 31 Songs nicht wirklich einen Unterschied macht) und über dem ganzen Projekt hängt nachträglich irgendwie der Schatten eines problematischen Unterfangens. Was echt schade ist, denn rein musikalisch ist Drillmatic eigentlich ein echt gelungenes Stück Musik geworden. Zumindest daran gemessen, wie viele unnötige Risiken es für eine gelungene PR eingeht. Zwar sind Sachen die Features von Kanye, die allesamt von seiner toxischen Scheidungs-Schlammschlacht handeln oder der völlig überflüssige Eminem-Diss effektive Schwachpunkte der LP, die kolossal nerven können, die auf dem Gesamtprojekt am Ende aber auch eher die Ausnahmen darstellen. Viel eher erleben wir auf dem Großteil des Albums einen inhalts- und stilsicheren Game, der überraschend gut in Form ist und ein erstaunlich stabiles Stück Musik vorlegt, das auch in den wenigsten Momenten unter seinen Dimensionen ächzt. Sicher, die zwei Stunden Spielzeit wären nicht zwingend notwendig gewesen, sie stören aber auch nicht wirklich und für so viel Staffage hat die Platte überraschend wenige Längen und Füllermomente. Und obwohl textlich auch wenig neues gesagt wird und es im wesentlichen wieder um die Legacy von Games geliebter West Coast geht, über die er jetzt schon gut und gerne zwanzig Jahre redet, wird es doch wenigstens auch selten ernsthaft peinlich. Womit der Kalifornier hier eine ästhetische Sicherheit beweist, die wenige auf Alben dieser Größe haben. Und wenn dann auch noch die meisten Features hier anstandslos ihr Ding machen und die Produktion so schick und kohärent ist wie in vielen Fällen, dann ist das in gewissen Punkten schon beeindruckend. Zumindest einen Achtungserfolg (im positiven Sinne) hätte Drillmatic in der Hiphop-Debatte dieser Saison also verdient. Dass es nicht das beabsichtigte Meisterwerk ist, liegt dann auf der einen Seite einfach ein bisschen daran, dass es sich musikalisch und lyrisch zu wenig unkonventionelles traut und in vielerlei Hinsicht ein bisschen klingt wie viele intelligente Rap-Platten der letzten zehn Jahre. Ein bisschen aber auch daran, dass es eben doch diese dämliche PR-Keule gebraucht hat, die hier natürlich vieles ansäuert. Dass ein Song wie Eazy hier drauf ist, kann ich ja noch irgendwie verstehen (auch wenn Kanyes Strophe wirklich nullkommanichts mit den Themen auf diesem Album zu tun hat), vor allem besagter Eminem-Diss the Black Slim Shady wirkt aber schon auf den ersten Blick wie eine dämliche Novelty-Nummer, die als Non-LP-Track besser aufgehoben wäre und ganz einfach den Halbwertzeit einer solchen Platte minimiert. Und wenn noch dazu Leute wie Chris Brown und Tory Lanez hier Platz haben, dann ist das schon effektiv Mist. Und zwar Mist, der vermeidbar gewesen wäre, hätte Game hier einfach nur ein gutes Album mit etwas Überlänge machen wollen und nicht gleichzeitig auf Krampf eines, das irgendwie Aufmerksamkeit auf sich zieht. So hat er letztlich beides nicht so richtig geschafft und zwar ein irgendwie echt solides Stück Musik auf der Habenseite, das aber von der Szene größtenteils ignoriert wird. Und das ist in dem Fall kann ich auch nicht mal ausschließlich denen die Schuld zuschieben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11


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