Mittwoch, 21. September 2022

Hinter all diesen Fenstern

Muff Potter - Bei aller Liebe
MUFF POTTER
Bei aller Liebe
Hucks Plattenkiste
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ lyrisch | songwriterisch | zwotausenderig ]

Als sich Muff Potter 2009 unter den tränenden Augen der deutschen Indierockszene auflösten und diese sich selbst überließen, war ich mit 12 Jahren noch eindeutig zu jung, um mich dafür zu interessieren und Punkrock-technisch wahrscheinlich gerade Mal damit beschäftigt, mich in die Greatest Hits der Ärzte einzuhören. Dass mir die Kunde von der großartigen Münsteraner Gruppe erspart blieb, hieß das aber keineswegs. Als eifriger Leser einschlägiger deutscher Musikmagazine und Laufkunde der wenigen ernstzunehmenden Szeneclubs in der erzgebirgischen Provinz, wo man auch mal Captain Planet und Kettcar cool fand, hörte ich doch sehr bald das Munkeln und Raunen über die Legende von Muff Potter, die ich alsbald auch aufs Exempel prüfte. Zwar kam bei meinem kurzen Deep Dive in die Diskografie der Gruppe auch nicht mehr raus als einige Hördurchläufe ihres 2004er-Albums Heute wird gewonnen, bitte (zu dem ich damals sogar einen Artikel verfasste), doch immerhin mochte ich das dann ganz gerne. Und was auch in den Jahren danach nicht abebbte, war der großartige Leumund dieser Band, der spätestens mit ihrem Comeback 2018 auch nochmal deutlich zementiert wurde. Vier Jahre später ist nun das offizielle Albumcomeback der Münsteraner angekommen und ich persönlich weiß gerade nicht so richtig, wie aufgeregt ich darüber sein soll. Denn obwohl ich zum einen die objektive Wichtigkeit sehe, die so eine Rückkehr für den deutschen Indierock potenziell hat, habe ich mit Muff Potter bisher doch nur eine kurze Tangente gehabt, die weder durch Nostalgie noch durch Fantum motiviert war. Wobei das am Ende auch irgendwie seine Vorteile hat, denn so kann ich Bei aller Liebe wahrscheinlich am besten als das nehmen, was es ist: Ein neues Album einer etwas altbackenen, aber durchaus nicht auf den Kopf gefallenen Band, die lyrisch noch immer manches zu sagen hat. Wobei letzteres auch sehr damit zusammenhängt, unter welchen Umständen das vorliegende Material entstand. Geschrieben wurden viele der Songs hier irgendwann während der ersten zwei Lockdowns 2020, in denen Muff Potter sich in aller Stille als Einheit wieder zusammenfanden und kreative Geister erstarken ließen. In den Songs selbst äußert sich das dann vor allem dadurch, dass der nordrheinwestfälische Heartland Rock der Band und vor allem die Texte von Torsten Nagelschmidts sehr stark die Themen Isolation, Einsamkeit und zähflüssige Verschreiten der Zeit besprechen. Mal sehr explizit wie im Opener Killer, mal nur in Anklängen wie in Ein gestohlener Tag und mal sehr politisch wie im fast siebenminütigen Nottbeck City Limits. Und obwohl sich zwischendurch auch ab und zu ein bisschen politische Message und Punkrock-Geste getraut wird wie in Privat oder Hammerschläge, Hinterköpfe, dominiert doch in den meisten Momenten eine lyrisch verquickte Melancholie, die mich an eine deprimiertere Version der älteren Sachen von Thees Uhlmann erinnert. Und wo das in entscheidenden Momenten wie Killer oder Nottbeck City Limits auch entsprechend wirkt und Nagelschmidt seine Skills als Texter mit Literaturbezug hinreichend unter Beweis stellt, fehlt mir an vielen Stellen dann doch ein bisschen die Action, die das ganze wirklich interessant macht. Stücke wie Flitter & Tand, Wie Kamelle raus oder Ich will nicht mehr mein Sklave sein meinen es definitiv gut, gefallen sich in meinen Augen aber ein bisschen zu sehr in diffuser Wortklauberei und seichtem Gitarrenpop, der auch von Bosse oder Jupiter Jones hätte kommen können. Und da solche Momente hier doch einen Großteil des Platzes einnehmen und die wirklich auffälligen Statements versteckt bleiben, kann ich Bei aller Liebe nicht besser finden als irgendwie mittelprächtig und über weite Strecken einfach ziemlich langweilig. Was nichts ist, was ich über ein Comeback nach mehr als zwölf Jahren gerne sage. Schon gar nicht über eine Band, die viele anscheinend noch immer sehr mögen.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11


Persönliche Höhepunkte
Killer | Nottbeck City Limits

Nicht mein Fall
Flitter & Tand | Wie Kamelle raus | Hammerschläge, Hinterköpfe

Hat was von
Tomte
Hinter all diesen Fenstern

Cloud Nothings
Attack On Memory


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