Sonntag, 4. September 2022

Prädikat Prog

Norma Jean - Deathrattle Sing for Me
NORMA JEAN
Deathrattle Sing for Me
Solid State
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ aggressiv | druckvoll | progressiv ]

Es hat für mich immer etwas schönes, wenn ich auf lang gediente Bands, deren eigentliche musikalische Hochphasen inzwischen Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegen, nicht etwa durch deren alte Klassiker stoße, die ich bewusst nachhöre, sondern stattdessen eher zufällig durch neues Material, das ich auf meinen Streifzügen durch die aktuellen Releasekalender jede Woche auflese. Wenn sich hier und dort ein Name findet, den man irgendwann schon mal irgendwo gehört hat und den man irgendwie als einstig relevant einordnet, nur um dann festzustellen, dass sich dahinter immer noch mächtig Kreativität und Überzeugungskraft versteckt. So ein Gefühl, wie ich es jüngst auch bei dieser neuen Platte von Norma Jean hatte, die seltsamerweise mein erster Tango mit den Metalcore-Tüftlern aus Georgia ist. Dass von ihnen irgendwie schlagende Impulse ausgehen oder zumindest ausgegangen sind, merkte ich für meinen Teil schon immer an der Dichte von Leuten mit entsprechenden Shirts auf den Hardcore-Konzerten meiner Jugend und auch wenn solche Indizien nicht immer für die Qualität einer Gruppe sprechen, war ich doch schon lange irgendwie neugierig, was denn nun dahinter stecken würde. Und zumindest auf dieses Album bezogen kann ich sagen, dass das schon eine ganze Menge ist. In vielerlei Hinsicht sogar. Denn nicht nur sind Norma Jean auf Deathrattle Sing for Me (ihrer insgesamt neunten LP) eine herrlich kantige, robuste und knüppelharte Metalcore-Dampfwalze, die in Sachen Komposition die richtigen Register zu ziehen versteht, nicht selten sind sie auch noch richtig kreativ dabei. Ich bin in meiner Schreibe mit der Zuordnung 'Post-Hardcore' ja generell eher vorsichtig und finde den Begriff in den meisten Fällen eigentlich nichtssagend, hier jedoch passt er eigentlich ganz gut. Denn Norma Jean teilen in meinen Augen einen bestimmten Nerv für progressive Arrangements und Stil-Subversion mit Bands wie Refused, Dillinger Escape Plan oder La Dispute, die eben wirklich über die gängigen Schemata von Hard- und in diesem Fall Metalcore hinausdenken. Auf Deathrattle äußert sich das dabei nicht nur in einer generellen Tendenz zu sehr mathigen Motiven und freiförmigen Songtiteln wie W W A V V E oder Any%, sondern auch in vielen Aspekten von Songwriting und Produktion. So mag ich beispielsweise, wie der Opener 1994 statt eines fetzigen Banger-Einstiegs diese wunderbare Lauerstellung aufbaut, die sich zu Teilen auch noch auf Call for the Blood erhält oder die Art, wie Spearmint Revolt am Ende immer weiter ins noisige diffundiert. Und dass am Ende des ganzen eine acht-Minuten-Walze wie Heartache steht, spricht natürlich auch für sich. All diese schönen progressiven Momente würden aber wohl zu nichts taugen, würden Norma Jean nicht auch die Grundelemente ihrer Komposition besonders gut verstehen und Dinge gut klingen lassen können, die bei anderen Bands erfahrungsgemäß für Fremdscham sorgen. Besonders die gesungenen Refrains der Platte - bei vielen artverwandten Acts für mich noch immer ein Reizthema - sind hier nicht nur erstaunlich unpeinlich, sondern häufig sogar fantastisch und werten Tracks effektiv auf. Und dass die Produktion in vielen Momenten so klischeehaft-druckvoll sein muss, macht sie dann auch dadurch wett, dass sie technisch brilliant gemacht ist und viele der nerdigen Attribute aus dem Songwriting wahnsinnig gut mitnimmt. Was Deathrattle letztlich zu einem Album mit großen Ambitionen macht, das diese aber auch in jeder Faser versteht und hinreichend umsetzen kann. Mit dem Effekt, dass es in meinen Augen eines der kreativsten und stärksten Metalcore-Gesamtwerke ist, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Was dann definitiv dafür spricht, dass ich mir mal den bisherigen Katalog dieser Band geben sollte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
1994 | Call for the Blood | Spearmint Revolt | Aria Obscura | Any% | Parallella | W W A V V E | Heartache

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Refused
Songs to Fan the Flame of Discontent

Fit for An Autopsy
Oh What the Future Holds


1000kilosonar bei last.fm  

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