Dienstag, 21. Juni 2022

Who Am I (oder: Warum Anonymität in der Kunst gut für die Gleichstellung sein kann)

Macintosh Plus - Floral Shoppe
PRIDE MONTH 2022
Teil 3:
MACINTOSH PLUS
Floral Shoppe
Beer On the Rug
2011

 
 
 
 
 
 
 
 
[ experimentell | zähflüssig | visionär ]

Bereits im Herbst des letzten Jahres, als die Veröffentlichung von Floral Shoppe in seiner ursprünglichen Version ihr zehntes Jubiläum beging, ließ ich mich in einer kleinen Saisonretrospektive dazu hin, einige Worte über die popkulturelle Rolle dieser LP während der letzten Dekade sowie ihren unumstößlichen Status als zentraler Pfeiler der Vaporwave-Bewegung zu verlieren. Und wenn es um eine grundlegende Abhandlung dieses Albums geht, die sich vor allem mit der eigentlichen Musik auseinandersetzt, sind das sicherlich auch die Punkte, die man in Zusammenhang damit im wesentlichen besprechen will. Da ich das aber zumindest in aller Kürze auf diesem Format schon einmal getan habe, soll die Prämisse für diesen Artikel jedoch ausnahmsweise mal eine völlig andere sein und sich stattdessen damit befassen, dass hinter diesem ästhetisch einigermaßen wegweisenden Stück Musik die Arbeit einer Transfrau steckt. Eine Tatsache, die den meisten Fans dieser Platte sicherlich nach wie vor relativ unbekannt ist und die auch erst im Laufe der Jahre nach Floral Shoppe wirklich bekannt wurde. Was mich im Zusammenhang mit einem dermaßen ikonischen und einflussreichen Album sehr viel darüber hat nachdenken lassen, wie im Internetzeitalter eine gewisse Anonymität dazu verhelfen kann, effektive Schutzräume zu schaffen und konservatives Gatekeeping zu durchbrechen. Doch fangen wir erstmal mit der Person an, die tatsächlich hinter all diesem Zauber steckt: Ramona Andra Xavier als Portland in Oregon, landläufig auch bekannt unter ihrem primären Pseudonym Vektroid und seit inzwischen über 15 Jahren unter diversen Monikern aktiv. Mit gleich mehreren davon bildete sie dabei Anfang der Zwotausendzehner die Speerspitze der frühen Vaporwave-Bewegung auf Bandcamp, bei der es auf eine gewisse Weise einfach zum guten Ton gehörte, möglichst anonmym und selbstverschleiernd aufzutreten. Es war ein Teil des Mystizismus der Szene, dass sich die Schöpfer*innen wegweisender Platten wie New Dreams Ltd. (auch ein Projekt von Xavier) oder Blank Banshee 0 hinter kryptischen Accountnamen versteckten, die ihre Projekte in Verbindung mit der verzerrt-kapitalismusgeilen Optik und ihrem surrealen Sound noch mehr wirken ließen wie seelenlose Produkte einer verschrobenen künstlichen Intelligenz, die völlig autark von menschlichen Einflüssen agierte. Und auch im Fall von Macintosh Plus war das im Herbst 2011 genau dieser Faktor, der es unter anderem erst so interessant machte. Es ist dabei durchaus ein bisschen ironisch, dass Floral Shoppe seinerzeit vor allem in den Untiefen von Boards wie Reddit und 4Chan seine ersten Fans fand, die eine nonbinäre Künstlerin wie Xavier, wäre diese nicht pseudonymisiert und mit digitaler Verschleierung aufgetreten, garantiert in Grund und Boden verspottet hätten. Und auch ich bekam ob der Enthüllung ihrer Identität vor einigen Jahren erstmal sehr meine eigenen Vorurteile zu spüren, da ich vor selbiger ganz selbstverständlich davon ausgegangen war, dass hinter Vektroid ein Man stecken musste. Als ein so visionäres und (zumindest für einen gewissen Zeitraum während der Zwotausendzehner) gefeiertes Album macht das Floral Shoppe aber auch zu einer angenehmen Überraschung. Nicht nur deshalb, weil es den eigenen Selbstverständnissen ziemlich ausgefuchst den Spiegel vorhält, sondern letztlich vor allem deswegen, weil so eine der am meisten diskutierten und relevantesten experimentellen Electronica-Platten der letzten Dekade von einer Transfrau stammt. Eine Sache, die es so zwar auch nicht zum ersten Mal gibt, aber die auch im 21. Jahrhundert noch einen schön fetten Keil in die cismännlich dominierte Popmusikdenke vieler Leute treibt. Die zeigt, dass FLINTA im modernen Pop nicht nur mitmachen und dabei sein dürfen, sondern dass sie Maßstäbe setzen und wesentliche Einflussgeber*innen sind. Und das ist die große gute Nachricht, die uns ein Album wie dieses mitteilen kann. Wie gut der Weg dieser LP funktioniert hat, zeigen uns heute ja letztendlich auch Bands wie Black Dresses oder 100 Gecs, die mehr und mehr von mangelndem Gatekeeping auf digitalen Szeneplattformen profitieren (vor allem bei Bandcamp) und die so gerade die Frontlinie der Innovation im Pop bilden. Dass man von denen zu Macintosh Plus eine gerade Linie ziehen kann, würde ich dabei zwar trotzdem nicht sagen, Berührungspunkte sind aber auf jeden Fall da. Auch wenn sie vielleicht noch immer ein bisschen unbewusst sind.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
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Nicht mein Fall
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