HARRY STYLES
Harry's House
Columbia
2022
[ fluffig | unaufdringlich | funky ]
Ich muss ja ehrlich zugeben, dass ich zur Persona Harry Styles bis dato nie wirklich ein Verhältnis hatte, das ich als ein empirisch fundiert bezeichnen würde und ich die letzten Jahre über vielleicht ein bisschen gepennt habe, was seine Entwicklung als Solokünstler angeht. Ein Umstand, der mich spätestens jetzt einholt, da er in der jüngeren Vergangenheit mit zunehmender Konsequenz zu einem der relevanteren klassischen Pop-Songwriter der frühen Zwotausendzwanziger gewachsen ist und anscheinend ja auch jemand ist, der diese Rolle mit einiger Bravour erfüllt. Dass seine Position als Boyband-Heartthrob bei One Direction Anfang der letzten Dekade nicht sein volles Potenzial zeigte, wusste ich dabei zwar auch schon, doch war dabei lange irgendwie unklar, was für eine Art Künstler dieser flügge Harry Styles in seiner Soloversion denn nun genau werden würde. Und wo es auf seinem selbstbetitelten Debüt vor fünf Jahren erstmal so aussah, als gehe die Reise in eine Art schmalzige Classic Rock-Verehrung, hat sich seitdem doch nochmal einiges getan in Sachen Sound und Songwriting. Und genau an dieser Stelle wird es bei mir schwierig, denn das für seine kreative Metamorphose aus heutiger Sicht entscheidende Album Fine Line vom Winter 2019 habe ich bis heute nicht gehört. Hier zweieinhalb Jahre später an einer Stelle anzusetzen, wo Harry Styles plötzlich dieser flamboyante Popstar mit einem Headlinerset bei Coachella und einem Interesse für Funk, Neo-Soul und Crossdressing ist, ist dafür nicht der günstigste Ausgangspunkt und fühlt sich ein bisschen so an, als hätte ich eine ganze Dekade Musik von ihm verpasst. Die gute Nachricht: Es fällt schonmal ungemein leichter dadurch, dass Harry's House ein verdammt gutes Album geworden ist und es eigentlich gar nicht lange gedauert hat, bis ich diesen Umstand einfach um seiner selbst Willen genießen konnte. So gut wie jeder Song hier ist richtig gut gemacht, das komplette Ding ist unglaublich kohärent abgestimmt und obwohl es hier nicht den einen großen Hit gibt, sind viele Momente doch extrem eingängig. Um das festzustellen, hätte ich aber nicht diese ganze lange Introduktion gebraucht. Denn was mich an Harry's House vor allem fasziniert ist eigentlich viel eher, wie umfangreich Styles hier musikalisch in seiner selbstgeschaffenen Rolle aufgeht und das Album macht, das ich als sein erstes großes Pop-Statement empfinde. Klar kann ich dabei nur von meiner eigenen Wahrnehmung sprechen, da er dieses tolle Songwritung durhaus auch auf Fine Line schon gehabt haben könnte, allerdings war er da auch noch nicht auf dem Level von öffentlichkeitswirksamer Tragweite, das er jetzt gerade hat. Und dass eine LP wie Harry's House zu einem Zeitpunkt wie dem jetzigen kommt, bedeutet letztendlich vor allem, dass er hier seinen (bisherigen) Zenit als Popstar mit seinem bisher besten Songwriting vereint, was einfach ein Match Made in Heaven ist. Wobei es dabei auch erstaunlich ist, dass er dafür nicht mal ein großkotziges Flutlichtpopalbum machen musste, sondern hier eigentlich sogar recht kleine Brötchen backt, die eher in ihren Details verkünstelt sind. Zwar merkt man vielen Songs hier schon an, dass sie nicht in einem Hinterhofstudio aufgenommen wurden und nicht selten gibt es etliche Layers an Instrumentarium zu bestaunen, im Kern der Sache lässt sich dabei aber immer Styles als Leadcharakter ausmachen, der das ganze wenn nötig auch einwandfrei akustisch performen könnte. Und ob einer so cleveren Postproduktion hatte ich zunächst eigentlich vermutet, dass jemand schwergewichtiges wie Mark Ronson oder Anderson .Paak hier aufnahmetechnisch die Zügel in der Hand gehabt hätte und umso erstaunter war, hier stattdessen die Namen Tyler Johnson und Kid Harpoon zu lesen, die sonst eher für öden Konsenspop der Marke Kiesza oder Years&Years verantwortlich sind. Was aber am Ende ja aber auch nur eine weitere schöne Überraschung ist, die dieses Album zusätzlich bemerkenswert macht. Wenn ich jetzt also mein Problem vom Anfang hier nochmal aufmache und die Frage stelle, was ich 2022 eigentlich für einen Typen wie Harry Styles empfinde, dann habe ich mit dieser LP fürs erste eine ziemlich deutliche Antwort darauf gefunden. Nämlich vor allem ziemlich viel Respekt. Und ich hoffe den behält er jetzt auch.
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11
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