Donnerstag, 23. Juni 2022

Legend Has It

PISSE
Lambada
Phantom Records
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ selbstgemacht | kritisch | sardonisch ]

Mein Draht zum DIY-Punk-Untergrund der (ost)deutschen Kleinstadt-AZs, in denen ich selbst große Teile meiner Teenagerjahre verbrachte, ist Stand 2022 sicherlich einer, der einer umfangreichen Auffrischung bedürfte und wahrscheinlich sind die Leute dort, die ja immer schon die Kernelemente der an diesen Orten stattfindenden Szene bildeten, einer Band wie Pisse längst überdrüssig. Schon vor sechs oder sieben Jahren, als ich noch irgendwie Teil dieses Kernelements von Subkultur war und mich wirklich in deren nischigsten Nischen auskannte, war die Formation aus Hoyerswerda bei uns ein wiederkehrendes Gesprächsthema und zumindest nach allem, was ich inzwischen über sie gehört habe, hat sich daran nicht wirklich was geändert. Tatsächlich würde ich sie nach jetzigem Stand sogar als eine der aktuell wichtigsten und formstärksten deutschsprachigen Punk-Underground-Bands bezeichnen, die gerade zu den Gruppen gehört, die das Erbe des rotzigen Pöbels in der Szene am Leben erhält und dort einen ziemlich kompromisslosen DIY-Spirit durchsetzt, wo Acts wie die Nerven, Akne Kid Joe oder Feine Sahne Fischfilet immer mehr in Richtung Mainstream driften. Dass sie dabei durchaus auch nicht unkreativ sind und zumindest klanglich nicht irgendwelchen dämlich puristischen Idealen hinterhereifern, macht sie dabei umso spannender und sympathischer. Und Lambada, ihr ja nach zählweise viertes oder fünftes Album nach Szeneklassikern wie Kohlrübenwinter und Mit Schinken durch die Menopause zeigt das auch wieder sehr deutlich. Mit knackigen zwölf Minuten Spielzeit und einer Tracklist von sieben Songs ist es in einem zünftigen Punkrock-Format gehalten und schafft ein wunderbar ausbalanciertes Verhältnis zwischen sardonischer Spaßmusik und ernst gemeinter politischer Kritik, die auch in kurzen Stücken gerne mal tief schneidet. So sind Songs wie U.N.I.T.Y., Komfortzone oder Cocktails schon irgendwie in einem sehr ironischen und kalauernden Ton gehalten, sprechen aber sehr reale Probleme wie Sexismus, Perspektivlosigkeit oder selbstgefälligen Szene-Snobismus an, wobei sie durchaus auch von der lausitzer Hinterland-Perspektive profitieren, die eine Band wie Pisse von sich aus mitbringt. Klanglich changiert Lambada dabei zwischen Postpunk, Hardcore und klassischem Garagenrock, wobei es im Closer Favorit sogar kurz in Richtung von kraftwerkigem Synth-Schlager geht. Und obwohl Pisse hier in den wenigsten Momenten wirklich bahnbrechende Musik machen, gefallen sie mir doch erneut sehr oft als eine überdurchschnittlich ausgefeilte und clevere Szeneband, die auf der einen Seite eine wichtige DIY-Attitüde mitbringt, auf der anderen aber auch kunstfertige Songs schreiben kann, die nicht nur bestehende Klischees bedient. Womit ich bei ihnen immer ein bisschen das Gefühl habe, dass sie irgendwann eine der Gruppen sind, über die man in 20 Jahren so redet wie heutzutage über Fliehende Stürme oder Dackelblut. Bands also, die außerhalb eines verschworenen inneren Punkrock-Kreises nie wirklich bekannt waren, die innerhalb dieser Bubbles aber große Namen sind. Wobei das am Ende vielleicht etwas ist, was sie für die richtigen Kenner*innen sowieso schon lange geschafft haben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Komfortzone | U.N.I.T.Y. | Dünne Decke | Cocktails | Liebe | Regelstudienzeit

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Hater Skater
Auf Hirn

Feeling B
Die Maske des roten Todes


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