Donnerstag, 5. April 2018

Sanft und sorgfältig




















Auf den ersten Blick ist ein Projekt wie My Dear Melancholy eigentlich die reine Geldschneiderei: Abel Tesfayés letztes Projekt ist jetzt schon eine Weile her, man redet nicht mehr so oft über ihn wie noch vor zwei Jahren und im Business von 2018 muss man vor allem anderen schnell sein. Deshalb flugs ein halbes Dutzend Songskizzen aufgenommen, in ein loses EP-Korsett verpackt und meistwirkend und ohne Vorwarnung im Internet gestreut, damit die Hype-Fische anbeißen. Ein Move wie dieser ist aus PR-Gründen logisch, wenn der Longplayer noch ein wenig Brutzeit braucht und am Ende des Tages ist the Weeknd ja schließlich nichts anderes als ein Popstar, der die Aufmerksamkeit braucht. Der Schluss, dass es sich hier um einen Platzhalter handelt, ist oberflächlich also logisch. Was dazu allerdings nicht so richtig passt, ist der Eindruck, dass diese sechs Songs das beste sind, was Tesfayé seit langem veröffentlicht hat und dass das auch kein Zufall ist. Allein wenn man sich die harten Fakten dieser EP anguckt, fällt auf, wie viel Arbeit eigentlich dafür investiert wurde. Als Produzenten einiger Tracks wurden beispielsweise erneut Daft Punk engagiert, die definitiv nicht für Schnellschüsse zu haben sind. Auch der Elektroniker Gesaffelstein und Weeknd-Stammtüftler Daheala wurden äußerst umfassend in den Entstehungsprozess integriert, was definitiv für eine intensive Arbeit spricht. Und diese hat sich in meinen Augen voll ausgezahlt. Denn auch wenn My Dear Melancholy gerade mal 21 Minütchen lang ist, hat es in dieser kurzen Zeit doch wesentlich mehr Substanz als Tesfayés letztes Album Starboy. Das Songwriting hier ist um ein vielfaches packender, die Gastproducer hinterlassen spannende Handschriften in den Stücken und darüber hinaus tritt der Hauptakteur selbt erneut als ziemlich solider Texter hervor. Tracks wie Call Out My Name oder Hurt You tragen eine fantastische Dramatik in sich und zeigen, wie viel Soul dieser Typ eigentlich hat. Eigenschaften wie diese hatte ich bei ihm schon vor drei Jahren auf Beauty Behind the Madness entdeckt, diesmal baut er sie allerdings noch weiter aus. Fast alle Ideen, die auf dieser Platte ausprobiert werden, gelingen ziemlich gut und sogar für einen ziemlich gewieften kreativen Hakenschlag ist the Weeknd zu haben. So sind die beiden von Gesaffelstein produzierten Songs I Was Never There und Hurt You eigentlich eine große, mehrteilige Nummer. Was ich für einen Künstler wie ihn, der bei aller Liebe doch eher nicht zu den klanglichen Chamäleons des R'n'B gehört, schon ziemlich prog finde. Auch wenn der Rest der EP dieses Maß an komplexer Ausschweifung nicht wirklich teilt. Eigentlich alle der sechs Stücke hier sind sehr ahnbare Weeknd-Tracks, die klingen wie das meiste Zeug von ihm. Und auch wenn das irgendwie schon schade ist, schlecht sind diese Songs deshalb lange nicht. Tesfayé beweist hier eher, dass diese Ästhetik auch 2018 noch interessant sein kann, wenn man sich Mühe damit gibt. Sicher würde ich mir von ihm wieder etwas mehr Abwechslung wünschen, aber wenigstens hält er mich hier mit gutem Material bei der Stange. Da kommt tatsächlich Hoffnung auf, dass ein eventuell kommendes Album nun wirklich mal richtig gut werden könnte. Verdient hätte es dieser Typ nämlich eigentlich schon lange.






Persönliche Highlights: Call Out My Name / Try Me / I Was Never There / Hurt You

Nicht mein Fall: Privilege

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