Montag, 17. Oktober 2022

Was nicht zusammen gehört

Pashanim - Himmel Über Berlin
PASHANIM
Himmel über Berlin
Urban
2022

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ adoleszent | kriminell | verwöhnt ]

Normalerweise bin ich ja eher skeptisch, wann immer während den letzten Jahre junge Internetrapper*innen durch taktische Modus Mio-Platzierungen und gekaufte Streams in den Äther gespült werden und alle plötzlich so tun müssen, als wären diese Leute nun die wichtigsten Newcomer der Saison. Denn die Erfahrung hat mir ab einem bestimmten Punkt ganz einfach gezeigt, dass hinter diesen Acts meistens sehr viel weniger steckt, als das von Presse und Musiknerds im Internet prognostiziert wird. Die wenigsten dieser Künstler*innen haben mehr als ein oder zwei spannende Songs, die im schlimmsten Fall dann auch noch alle gleich klingen und sich im Vergleich zur großen Masse an Artverwandten kaum unterscheiden. Und für die längste Zeit war theoretisch auch jemand wie Pashanim einer der Künstler*innen, die ich in dieser Kategorie sah. Seitdem der Berliner 2019 mit Shababs Botten seinen ersten Durchbruch in der Szene hatte, wird so gut wie jede seiner rar gesäten Singles von Deutschrap-Fans wie das Release eines gesamten Longplayers abgefeiert, wobei es oft gerade der Mangel an Material ist, der diese Drops so besonders machte. Was mittelfristig der erste Punkt war, an dem Pashanim mir irgendwann sympathisch wurde. Wo der Rest seines Umfelds sich damit abrackerte, für die Öffentlichkeit permanent verfügbar zu sein und Tapes am Fließband zu produzieren, erzeugte der Teenager aus Kreuzberg mit zwei mal zwei Minuten Material im Jahr mehr Buzz als manche mit zwei Alben pro Saison, was sowohl von einer cleveren Release-Strategie zeugte als auch von einer ernstzunehmenden Coolness, die dieser Typ zu eigen hatte. Und was dabei noch viel besser war: So gut wie alle dieser Songs waren dann auch ziemliche Banger. Wo Shababs Botten 2019 noch Potenzial zeigte, machte Pasha spätestens mit Airwaves ein Jahr später eine der besten Deutschrap-Nummern der letzten paar Jahre und legte mit Sachen wie Sommergewitter oder Hauseingang einige weitere starke Moodpieces vor. Über kurz oder lang war also auch ich irgendwie auf dem Hypetrain um den Berliner gelandet und stellte wie so viele ab einem bestimmten Punkt auch laut die Frage, ob und wann es denn nun mal etwas längeres von ihm zu hören geben würde. Wobei Pashanim selbst wieder einmal hervorragendes Marketinggeschick bewies und diesem Wunsch erst zu einem Zeitpunkt nachgab, wo die meisten schon gar nicht mehr daran glaubten. Wobei der Hype in diesem Moment trotzdem noch nicht so weit um die Kurve ist, dass sich jetzt niemand mehr dafür interessieren würde und Himmel über Berlin somit eigentlich genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Dass es als erstes vollwertiges Mixtape des Rappers am Ende nur 18 Minuten geht und über neun Tracks nicht hinauskommt, ist dabei egal, denn für die Verhältnisse seines Outputs kommt es dem Release eines Doppelalbums gleich. Doch erfüllt es letztlich auch qualitativ das, was der ganze Zirkus in den letzten drei Jahren so wirkungsvoll versprach? In meinen Augen noch nicht wirklich. Und das liegt in meinen Augen zum großen Teil daran, dass Pashanim und das Medium Mixtape an diesem Punkt noch nicht wirklich gut miteinander harmonieren. In vielen Punkten fühle ich mich hier ein bisschen an die ersten Longplayer von PC Music erinnert, denen ich cor sieben Jahren ein bisschen das gleiche unterstellte. Auch dort hörte man ein kreatives Format, das vor allem durch präzise vermarktete Singles und Videos bekannt geworden war und von der Vereinzelung dieser Releases profitierte, die dann eben auch stilistisch sehr weit streuten und verschiedene Teilbereiche einer Gesamtästhetik reprästieren konnten. Eine Strategie, die auf einem Album (oder einer anderweitigen längeren Veröffentlichung) eben nicht mehr ganz so gut funktioniert. Hier müssen Einzeltracks plötzlich zumammen wirken und eine klangliche Gesamtheit ergeben, die vorher überhaupt nicht verlangt war und sind deshalb letztlich eine Sache, an denen beide Projekte irgendwie zu nagen hatten. Von den sieben Tracks auf Himmel über Berlin würden die meisten als die Art von Singles funktionieren, die Pashanim eh schon immer gedroppt hat und wären sogar einige seiner besten, im Kontext eines Mixtapes stehen sie sich aber oft gegenseitig im Weg und können sich nie richtig entfalten, weil eben alle paar Minuten etwas neues passiert. Und die stilistischen Sprünge der Platte sind dabei mitunter schon ganz schön radikal. So hat beispielsweise ein Song wie sme nur knappe zwei Minuten Zeit, seinen chilligen Sommerhit-Vibe zu versprühen, bevor ihm Milano mit seinem angezeckten Drum & Bass-Beat reingrätscht und eine balladige Nummer wie 21 kurz vor Schluss noch mit einem Brett wie Ferragamo abzuwürgen, zeugt einfach nur von struktureller Planlosigkeit. Obwohl die Songs an sich also oft gut sind und ich es Pashanim grundsätzlich nicht übel nehme, dass er hier auch stilistisch einige neue Sachen ausprobiert, kommt das ganze am Ende doch zu einem ziemlichen Wurstgewitter zusammen, von dem die wenigsten dieser Songs wirklich profitieren. Weshalb dem Berliner in meinen Augen von hier ab zwei Wege offen stehen. Erstens: Er kriegt das mit der inneren Struktur noch ein bisschen besser hin und macht irgendwann mal ein richtiges Album. Zweitens: Er lässt das mit den Langformaten komplett und macht ab jetzt wieder Singles, mit denen er sich von den altmodischen Pflichten der Albumproduktion komplett unabhängig macht. Und in meinen Augen wäre Variante Nummer zwei auch gar nicht mal so eine schlechte. 2022 ist kein Mensch mehr dazu gezwungen, sich als Musiker*in in der mitunter durchaus limitierenden Form des Longplayers zu betätigen und gerade für jemanden wie Pashanim wäre eine Karriere aus reinen Einzeltracks vielleicht die viel passendere, in der er seine ganzen stilistischen Ambitionen wunderbar ausleben kann. Ich für meinen Teil wäre offen für sowas und fände es sogar ziemlich spannend. Und es wäre am Ende auch schade, einen der momenten coolsten jungen Deutschrapper auf so unrühmliche Weise an die Tretmühle der Industrie zu verlieren, nur weil die eben Alben von ihm braucht. Denn wie wir bisher gesehen haben: Geld und Aufmerksamkeit kriegt der Junge auch so.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11


Persönliche Höhepunkte
2019 (justbars rmx) | Milano | Tourlife.mp3
 
Nicht mein Fall
21 | Ferragamo

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