Samstag, 3. Dezember 2022

Die Wochenschau (26.11.-02.12.2022): Drake & 21 Savage, Joji, Backxwash und und und...


 

 

 
Backxwash - His Happiness Shall Come First Even Though We Are SufferingBACKXWASH
His Happiness Shall Come First Even Though We Are Suffering
Ugly Hag
 
Neueste LP der rappenden Geistesschwester von Lingua Ignota, mit der diese auch für mich endgültig zu einer Künstlerin wird, die bei mir Begeisterung auslöst. Schon auf ihrem letzten Album war ich ja von ihrer vielschichtigen und zutiefst finsteren Mischung aus Horrorcore, Industrial, Core-Bestandteilen und Hiphop ziemlich angetan und mochte sie vor allem als energische Performerin, spätestens hier wird diese Formel aber zu mehr als der Summe ihrer Teile. Kreativ gesehen ist His Happiness Shall Come First Even Though We Are Suffering (genialer Titel auch wieder) nochmal eine entscheidende Erweiterung zum Vorgänger, der stilistisch die Art von Soul- und Gospel-Elementen einbezieht, die schon Zeal & Ardor zuvor erfolgreich kultiviert hatten, nur dass diese Ausführung hier nochmal eine ganze Ecke detaillierter und damit spannender ist. So gibt es bei Backxwash dann zum Beispiel Sachen wie das Sample aus Mozarts Lacrimosa in Vibanda oder das Feature von Pupil Slicer in Nyama, die einfach extrem gefährlich kommen und das Album an vielen Stellen herrlich unberechenbar machen. Wobei die beste Eigenschaft der ganzen Sache am Ende doch wieder eine bewährte Qualität ist, nämlich Ashanti Muntintas Fähigkeiten als Rapperin, die sich vor allem in Songs wie Muzungu, Juju oder dem fast klassisch-souligen Closer Mukazi äußern. Und am Ende ist es dann trotzdem vor allem das, das diese LP in meinen Augen zur bisher besten von Backxwash macht und in mir nun vor allem die Neugierde auslöst, wohin die Reise bei ihr in Zukunft noch so gehen könnte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





ANN ANNIE

By Morning
Die-Ai-Wei

Es ist mittlerweile fast schon wieder fünf Jahre her, dass ich hier das letzte Mal mit der Künstlerin Ann Annie zu tun hatte, weshalb die Erkenntnisse dieser Quasi-Neuentdeckung nun auch einigermaßen spannend waren. Denn obwohl diese grundsätzlich noch immer eine ziemlich softe und bekömmliche Variante von Ambient- und Tapeloop-Musik macht, die auch schon damals super war, ist aus dem nerdigen Hardware-Projekt von damals inzwischen doch etwas sehr viel profunderes und musikalisch spannenderes geworden. So ist die Vielfalt an eingesetzten Instrumenten hier nochmal eine ganze Ecke größer und gerade die Einbeziehung von Gitarren macht hier einen Großteil eines gewissen organischen Charmes aus, der diese LP erst richtig zum aufblühen bringt. Zudem fühlt sich die Produktion derweil wesentlich professioneller an und auch im eigentlichen Songwriting erkennt man, dass hier deutlich mehr ausprobiert und stilistisch gestreut wird. Eine in sich extrem kohärente und angenehm atmosphärische LP ist By Morning dabei am Ende trotzdem und umschließt in knappen 23 Minuten ein ganzes kleines Universum an wunderhübschen Soundkulissen, die hier definitiv für eines meiner persönlichen Highlights dieser Saison im Bereich Ambient sorgen.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11
 
 
 
 
 
R.A.P. Ferreira - 5 to the Eye With StarsR.A.P. FERREIRA
5 to the Eye With Stars
Ruby Yacht

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Oberflächlich gesehen ist das hier auch nur ein weiteres der üblichen Sorte Alben von R.A.P. Ferreira, das mit seinen jazzigen Beats, nerdigen Lyrics und einer beneidenswert endgechillten Grundhaltung mittlerweile zu einem bewährten Rezept geworden ist, das ich schon seit Jahren klasse finde. Sogar das textliche Abstract, das sich ein weiteres Mal mit der poetischen Rolle des Rap auseinandersetzt und über dessen gesellschaftliche und künstlerische Bedeutung philosophiert, ist das gleiche wie seit inzwischen einer halben Dekade, wobei es erstaunlich ist, wie diesem Typen nach wie vor neue Blickwinkel auf das Thema einfallen. Der wesentliche Unterschied zu den Vorgängern ist aber der, dass so ästhetisch klar und tiefenscharf lange kein Album von Ferreira mehr war und es mich extrem happy macht, ihn hier wieder mal etwas eingängiger aufgestellt zu hören. Sei das in Form der erneuten Liebeserklärung zu oldschooligem Jazz im Opener fighting back, des Kendrick-esken Grooves in sittlichkeit oder des stärker Akzentuierten Flows an vielen Stellen. 5 to the Eyes with Stars wirkt zwischen all den toll geformten Skizzen aus den letzten Jahren zum ersten Mal seit etwa Who Told You to Think von 2017 wieder nach einem ausformulierten Album, das sich nach so langer Zeit wie ein echter Triumph anfühlt. Selbst für einen Künstler, der an sich nie schlechte Sachen macht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





µ-Ziq - Helloµ-ZIQ
Hello
Planet Mu

 
 
 
 
 
 
 
Seitdem Mike Paradinas vor etwa anderthalb Jahren damit angefangen hat, einen ziemlich beachtlichen Grind an größeren Releases an den Tag zu legen, der sich seit letztem Herbst in bis hierhin immerhin in Form vier neuer Alben äußert, lag es schon eine Weile in der Luft, dass bald mal eines davon richtig klasse werden könnte. Und obwohl ich Hello auch nicht vom Fleck weg als absolutes Meisterwerk bezeichnen würde und es an sich wenig neues macht, kommt es dieser Zielformulierung doch so nah wie keine der angesprochenen letzten Platten bisher. Grundsätzlich ist das Rezept dabei der übliche Breakbeat- und D'n'B-Zauber, den Paradinas schon seit den Neunzigern macht, hier jedoch erschafft er damit seit langem mal wieder ein paar echte Bretter und leistet vor allem in Sachen Produktion Maßarbeit. Songs wie das hibbelige Pyramidal Mind Dispersion, das rhythmische Ávila oder das fetzige Iggy's Song erinnern mich in den besten Momenten an die Zeit in den Zwotausendern, als Four Tet und Booka Shade noch richtig gut waren und gehören damit ganz ehrlich auch zur besten Musik, die ich aus dem Katalog des Briten bisher ingesamt gehört habe. Wobei das letztlich eher wenig zu bedeuten hat, weil diesbezüglich von meiner Seite immer noch größere Lücken bestehen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 08/11




Drake & 21 Savage - Her Loss DRAKE & 21 SAVAGE
Her Loss
OVO | Republic

Wo die meisten Musikfans da draußen ein Release wie dieses wahrscheinlich eher wegen 21 Savage cool finden und die Beteiligung von Drake vielleicht als Abwertung sehen dürften, bin ich hier in der seltsamen Situation, genau andersrum gepolt zu sein. Wobei ich die Existenz dieses Projektes an sich zumindest in der Hinsicht spannend fand, als dass mit What A Time to Be Alive (von Drake mit Future) und Without Warning (von 21 Savage, Metroboomin und Offset) zwei der besten Arbeiten aus den jeweiligen Katalogen beider Künstler Kollaborationen sind. Noch dazu welche, die dieser Platte hier stilistisch nicht unähnlich sind. Wobei die Ernüchterung in diesem Fall doch ziemlich direkt folgte und sich sicher sagen kann, dass Her Loss da leider nicht dazu gehört. Zwar ist es auf eine gewisse Weise schön, Drake hier wieder ab und zu in der gleichen klanglichen Ästhetik zu hören wie auf seinen frühn Alben und ein paar ganz passable Tracks gibt es hier durchaus, im großen und ganzen ist die Platte aber ziemlich ereignislos. Beide Rapper ergänzen sich hier insofern ganz gut, dass sie beide lyrisch extrem schnarchig sein können und obwohl Drake in vielen Stücken hier eindeutig das songwriterische Zugpferd ist, schafft er es hier nicht so gut wie auf seinen letzten Sachen, geschickt das Damoklesschwert der schnuffligen Monotonie zu umschiffen. 21 Savage seinerseits hat ab und zu lichte Momente wie die echt coole Hook in Pussy & Millions, ist der Unternehmung aber größtenteils eher ein Klotz am Bein und bestätigt meinen Eindruck, dass er aktuell einer der am meisten überbewerteten Mainstream-Rapper ist. Weshalb die LP als ganzes letztendlich wohl für beide keine sein wird, die in ihren jeweiligen Karrieren eine vordergründige Rolle spielt. Und das ist wahrscheinlich auch gut so.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11




Joji - SMITHEREENSJOJI
Smithereens
88Rising | Warner

Es ist mir völlig klar, dass Smithereens mit seiner inhaltlich sehr prominenten Breakup-Thematik und seinem fast gänzlich auf balladigen Tönen beruhenden Sound nicht einfach ein weiteres Joji-Album ist und wenn man sich die Spielzeit von 9 Songs in gerade mal 24 Minuten ansieht, muss man vielleicht sogar fragen, ob es überhaupt der Bezeichnung eines Albums gerecht wird. So oder so bin ich aber der Meinung, dass es bis dato die beste Arbeit von George Miller ist und seinem brüchigen und soften R'n'B endlich mal etwas durchweg profundes hinzuzufügen hat. Dass es dabei inhaltlich und klanglich einen roten Faden gibt, hilft auf jeden Fall, doch fühle ich hier auch erstmals wirklich eine Emotionalität, die ich nicht auf halbem Weg mit vorgeschützter Apathie verwechsle. Und obwohl die Platte dynamisch insgesamt sehr flach bleibt, passt das hier doch wenigstens zum inhaltlichen Setting. Soll heißen: Ich kaufe Joji hier wirklich mal seinen ganzen Schmerz ab. Was eine Sache ist, die mir auf seinen letzten Alben einfach immer noch gefehlt hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




POHGOH
Du und ich
Spartan

Pohgoh - Du und IchAufgrund des Titels war ich hier eigentlich auf eine deutschsprachige Band vorbereitet, tatsächlich stammen Pohgoh aber aus Florida und spielen ziemlich coolen Midwest Emo mit ordentlicher Powerpop-Schlagseite. Dass die Formation bereits seit 1994 existert ist dabei ebenso erstaunlich wie dass Du und ich in dieser Zeit erst ihr dritter Longplayer ist, was qualitativ aber nichts ausmacht. Denn was musikalisch hier passiert, ist dann tatsächlich nochmal eines der späten Highlights der Saison. Mit ihrer energisch-melodischen Komposition und den fantastischen Vocals von Sängerin Susie Ulrey erinnern sie mich dabei ziemlich an das vorletzte Album der Beths, mit dem sie hier auch gemein haben, dass es nicht einen mittelmäßigen Song auf der Platte gibt. Was mich vor allem in der Hinsicht froh macht, dass ich die Band allein des Namens wegen ausgecheckt habe und hier sehr überraschend noch eine echte Lieblingsplatte bekomme.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11



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