Sonntag, 18. Dezember 2022

Saisonrückblick 2022 : Teil 04 : Die 20 besten Songs

 





Father John Misty - Chloë and the Next 20th Century
FATHER JOHN MISTY
Funny Girl
aus dem Album Chloë & the Next 20th Century







 
Es wurde ja anfangs schon ein bisschen darüber spekuliert, um wen genau es in diesem Song eigentlich gehen könnte und einige äußerten ob gewisser Zeilen ja sogar wilde Vermutungen über ganz bestimmte Prominente, mit denen das alles wahrscheinlich nichts zu tun hatte. Aber ganz ehrlich: Mir war es eigentlich ganz recht, über all diese Dinge im Dunkeln zu bleiben. Denn in meiner Vorstellung war das tituläre Funny Girl einfach eine weitere der eindrücklich gezeichneten Figuren aus der Feder des Josh Tilman, die mir direkt sympathisch waren. Fast ein Jahr später würde ich sogar so weit gehen, dass sie neben der Frau aus the Night Josh Tilman Came to Our Apt. wahrscheinlich meine liebste von ihm ist. Was auch Sinn ergibt, denn einen so starken Song - auch instrumental - hatte der Kalifornier nun schon ungefähr seit dieser Zeit nicht mehr gemacht und ob dessen Eindruck es nochmal ärgerlicher ist, dass das resultierende Album eben mal wieder nicht so der Bringer war. Anhören




THE SMILE
You'll Never Work in Television Again
aus dem Album A Light for Attracting Attention

Wahre Geschichte: Als ich You'll Never Work in Television Again Anfang Januar das erste Mal hörte, wusste ich erstmal gar nicht, wer eigentlich hinter diesem Bandnamen steckt und dachte eigentlich, the Smile wären eine der Gruppen aus dem Dunstkreis des angesagten Windmill-Kollektivs. Dass ich den Song mochte, war aber trotzdem direkt klar und auch noch zwölf Monate später ist der das Prachtstück dieser Supergroup und definitiv der beste Song auf ihrem Debüt. Nicht nur deswegen, weil Thom Yorke und Jonny Greenwood hier zeigen, dass sie immer noch dreckigen Rock in den Knochen haben, sondern auch weil sie mit dem Track ein weiteres Mal auf wunderbare Weise politische Missstände bearbeiten (in diesem Fall Machtmissbrauch und Korruption, angelehnt an deren inoffiziellen Maskottchen Silvio Berlusconi und Donald Trump) und genau die richtige Stimmung dafür finden. Einer von vielen Songs, die mich hier durchs ganze Jahr begleitet haben. Anhören




Danger Mouse & Black Thought - StrangersDANGER MOUSE & BLACK THOUGHT FEAT. A$AP ROCKY & RUN THE JEWELS
Strangers
aus dem Album Cheat Codes




 
 
Gute Posse Cuts sind in den letzten Jahren ja leider ein bisschen selten geworden und man muss eh nehmen was man kriegt, in diesem Fall ist das aber kein Kriterium. Denn was diese vier Rapper (und der eine Producer, der immerhin Co-Host des Albums ist) hier gemeinsam aufs Parkett zimmern, wäre selbst zu den besten Zeiten des Mediums ein Knaller gewesen und zeigt auf sehr eindrückliche Weise, was dieses Format im besten Fall zustande bringt. In vier Strophen und vier Minuten stapeln sich hier einige der besten Punchlines und lyrischen Hakenschläge, die sämtliche Beteiligte jemals vom Stapel gelassen haben, wobei sich nicht nur einige sehr talentierte Künstler begegnen, sondern auch Generationen aufeinanderprallen, die allesamt auf Topniveau performen. Womit dieser Track letztendlich der Ansatzpunkt war, der mich doch noch dazu gebracht hat, das neue Album von Black Thought und Danger Mouse zu mögen. Anhören




Korn - ForgottenKORN
Forgotten
aus dem Album Requiem







 
Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich im Jahre des Herrn 2022 ausgerechnet einen Song von Korn unter meinen 20 liebsten des Jahres haben würde, aber da wären wir. Und soviel soll gesagt sein: Es war nicht sofort abzusehen. Zu Anfang der Saison in einer meiner Playlisten gelandet, wurde er erstmal häufig geskippt und eher spärlich gehört, bis er zu Ende des Sommers dann doch nochmal zu mir durchdrang. Und das zu Recht: Mit seiner starken Schlagzeug- und Bassarbeit, seinem gerade richtig derben Groove, einem wunderbar dynamischen Songwriting und einem perfekt abgestimmten Jonathan Davis ist das hier nur einer der Gründe, warum die Nu Metal-Ikonen diese Saison nochmal einen gehörigen zweiten Frühling erlebten. Und wer sich hierfür begeistern kann, wird sicherlich auch ihr neues Album nicht schlecht finden. Vor allem sollte man diese Band aber definitiv nicht abschreiben, die gerade nochmal einige ihrer stärksten Platten macht. Anhören



Money Boy - MutomboMONEY BOY
Mutombo
aus dem Album Back in der Trap








Alle paar Jubilare mal haut Money Boy zwischen all seinem campigen Gixgax und Posertum einen echt unschlagbaren Banger raus und 2022 war es wieder mal soweit. Mutombo erschien in der zweiten Woche der Saison und hat es in zwölf Monaten seitdem nicht geschafft, mir auf die Nerven zu gehen oder an Geschmack zu verlieren. Schuld daran: Ein bis hinten gegen abgebrühter Piano-Beat (lieben wir!), diverse paar NoPlug-typische extrabreite Punchlines, eine on point performte Hook und nicht zuletzt ein Sebastian Meisinger, der tatsächlich einige ganz patente Flow-Skills zutage fördert. Und obwohl eine gewisse Ungelenkheit in allem für mich auch zu den Selling Points des Songs gehört, ist es am Ende eben keineswegs irgendein So-bad-it's-good-Ding, sondern ein Track, den ich ganz um seiner selbst willen mag. Schön, dass das bei diesem Typen ab und zu geht. Anhören



Supernowhere - Skinless Takes a FlightSUPERNOWHERE
Circles
aus dem Album Skinless Takes A Flight








Ich würde Circles auf keinen Fall als Hit bezeichnen und eingängig ist er auch nur auf eine sehr verquere, unkonventionelle Weise, die höchstens für quirkige Indienerds funktioniert. Da ich aber zum Glück so einer bin und dem verhuschten und flirrigen Songwriting von Supernowhere so jede Menge abgewinnen kann, ist das hier einer der meistgehörten Tracks meines Musikjahres. Da findet irgendwo zwischen American Football, Slint, Ichiko Aoba und Black Country, New Road eine Kulmination von entrückter Melancholie statt, die vor allem das Herz des Mathrock-Fans in mir höher schlagen lässt und gerade deshalb nochmal extra geil wird, weil Meredith Davey durchweg so komisch singt, das Schlagzeug scheinbar arythmisch im Hintergrund klimpert und die postrockigen Gitarrenparts sich endlos um sich selbst loopen. Was Circles vielleicht gerade deswegen zu sowas wie dem Never Meant dieser Band macht. Anhören
 
 
 
Monika Liu - SentimentaiMONIKA LIU
Sentimentai
veröffentlicht als Single








Es wird ab jetzt hoffentlich eine Sache werden, dass in diesen Listen immer wieder Titel vom Eurovision Song Contest auftauchen, denn seit einer Weile liefert dieses Format in meinen Augen ganz ordentliche Ohrwürmer. Viele Stücke aus der Show waren dabei diese Saison in meiner Heavy Rotation (Shoutouts an dieser Stelle an S10, Systur und natürlich das Kalush Orchestra), doch keiner so häufig und so durchsetzungsfähig wie Sentimentai von Monika Liu. Für die glamouröse Disco-Pastiche der Litauerin, die herrlich aufgetan mit verwegener Coolness und einer fesselnden Vokalperformance ist, ist es am Ende fast ein bisschen schade, dass es in der Show selbst nur ein bescheidener siebter Platz wurde. Gerade deswegen ist es aber auch dieser Song, den ist anstatt des ebenfalls sehr gelungenen Gewinnertitels hier nochmal in Erinnerung rufen wollte. Anhören



Panda Bear & Sonic Boom - ResetPANDA BEAR & SONIC BOOM
Livin' in the After
aus dem Album Reset
 
 




 
 
Es ist eine der schönsten Eigenschaften von Reset, dass Panda Bear und Sonic Boom ihr gemeinsames Album dieses Jahr vor allem dafür nutzen, den Pionieren der psychedelischen Bewegung zu huldigen und dabei auch mal ordentlich ihre ja schon immer irgendwie vorhandene Verehrung für die späten Sixties zu channeln. Und es gab eine ganze Reihe Songs, die dabei so gut waren, dass ich sie auch gern hier gelistet hätte. Livin' in the After allerdings greift dabei noch ein ganzes Stück weiter zurück und klingt mit seinen verschnörkelten Streicherparts, den verspielten Castagnetten und der schlagerigen Beach Boys-Hook eher nach dem Anfang der Dekade, ist gerade dadurch aber auch das definitive Highlight der LP. Gerade weil ich für meinen Teil ja ein Sucker für überzuckerte Melodien und pompösen Sixties-Kitsch bin. Mit der Feststellung, dass Brian Wilson wohl sicherlich stolz auf die beiden wäre. Anhören




grim104 - Komm und siehGRIM104
Komm und sieh
aus dem Album Imperium








Es wird an einem Punkt in der Zukunft für mich definitiv nochmal nötig sein, einen Song wie diesen inhaltlich in aller Ausführlichkeit zu durchdringen um seine wirkliche lyrische Tragweite zu benennen, doch war mir auch schon nach dem ersten Hören klar, dass Komm und sieh eines der Meisterwerke von Grim104 sein musste. Ein paar Monate später würde ich sogar so weit gehen, ihn als einen der stärksten politischen Deutschrap-Songs der letzten Jahre bezeichnen, mit denen dieser Künstler erneut ein Thema channelt, um das es schon auf seinen alten Platten viel ging: Deutsche Erinnerungskultur, das Erbe des Nationalsozialismus und in vielen Punkten auch die Vergänglichkeit dieser Erinnerung. Wobei das Narrativ des Tracks immer wieder hin- und hergerissen ist zwischen der eigenen Unfähigkeit zur Traumabewältigung und einer Gesellschaft, die langsam die lebenden Verbindungen zu den Grausamkeiten des dritten Reichs verliert. Dass das ganze dann ohne jede Pädagogik stattfindet und sich nahtlos in die sonstigen Themen des Albums eingliedert, ist dann das besondere Kunststück, mit dem dieser Typ ein weiteres Mal zeigt, warum er einer der besten in der Szene ist. Anhören



 BLACK MIDI
27 Questions
aus dem Album Hellfire
 
Zugegeben, 27 Questions ist ein etwas schräger Song für eine solche Liste, der vom Prädikat eines klassischen Hits ziemlich weit weg ist und auf dem neuen Album von Black Midi sicherlich nicht umsonst erst ziemlich zum Schluss stattfindet. Doch sehe ich ihn an dieser Stelle nicht nur als einen der besten Einzeltracks der vergangenen Saison, sondern vor allem auch als leuchtendes Beispiel dafür, was Black Midi auf besagtem Album richtig gemacht haben. Denn was dieser Track im Kern der Sache ist, ist nicht aufgedunsenes Prog-Gegniedel mit wenig Inhalt wie viele Stücke der Briten zuvor, sondern eher eine musikalisch gekonnt untermalte Kurzgeschichte, die in die Mitte ihrer Aufmerksamkeit jene hanebüchene Räuberpistole stellt, die hier zum überlebenswichtigen roten Faden wird. Und obwohl Hellfire voll ist von derlei Nummern, von denen auch nicht wenige echt spannend sind, nimmt dieser hier doch den größten Anlauf für seinen narrativen Salto Mortale und macht auch musikalisch am Ende das beste draus. Anhören




Bonobo - FragmentsBONOBO
Age of Phase
aus dem Fragments








Über die längste Zeit der letzten zwölf Monate war eigentlich Tides mit Jamilia Woods der Track vom neuen Bonobo-Album, der bei mir am häufigsten lief und es wäre an dieser Stelle Quatsch, ihn nicht als Ehrennennung zumindest nochmal aufzuführen. Erstens erschien der als Single aber schon im Herbst 2021, was ihn technisch für diese Liste disqualifiziert und wurde zweitens in den letzten Wochen des Jahres noch von diesem Track abgelöst, der somit auch mehr als eine gute Vertretung geworden ist. Stilistisch sind beide dabei sehr unterschiedliche Pole des kreativen Spektrums von Bonobo, was ja aber auch keine schlechte Nachricht ist, wenn beide so klasse geworden sind. Und mit Age of Phase am Ende den Song unter den besten des Jahres zu haben, der eher die technoide Seite des Briten repräsentiert, macht mich schon alleine deshalb froh, weil derartige Stücke bei mir doch eher selten in solchen Listen landen. Anhören



Rosalía - MOTOMAMIROSALÍA
Como Un G
aus dem Album Motomami








Aus Perspektive des Albums gesehen ist Como Un G eigentlich kein besonders repräsentativer Song für Motomami, da er als sentimentale, minimalistische Ballade einer der wenigen ist, der in Rosalías Hyper-Kunst-Motorsportfetisch-Freakshow, die besagte LP ist, für ein bisschen Vertrautheit sorgt. Und ich muss an dieser Stelle betonen, dass er nicht aufgrund dieses Umstands hier gelistet ist, sondern trotz dessen. Denn zumindest meiner Auffassung nach macht die Spanieren mit dieser sentimental flirrenden Nummer ihren bisher besten Song, der selbst für ihre Verhältnisse extra tief unter die Haut geht. Jedes Detail ihrer Gesangsperformance in diesen viereinhalb Minuten und jede songwriterische Entscheidung, die diese unterstützt, ist makellos ausgeführt und macht das hier zu einem Track, der mir jedes Mal ein bisschen weiter das Herz aufreißt. Auch wenn ich textlich gesehen nur die Hälfte davon verstehe. Anhören




Kenny Beats - LOUIEKENNY BEATS
Eternal
aus dem Album Louie








Es kommt durchaus vor, dass lumpige zwei Minuten zusammengeschnipselte Soul-Fragmente mit ein bisschen Beat dahinter gute Musik sind und für ein Album davon bin ich grundsätzlich immer zu begeistern. Selten passiert es jedoch, dass sich daraus ein Song als ein so penetranter Ohrwurm herauskristallisiert wie Eternal im Sommer dieses Jahres und noch immer bin ich davon ein bisschen perplex. Eigentlich ist es aber kein Wunder, wenn die Strategie von Kenny Beats hier einfach darin besteht, die beste Hookline eines Songs zu picken und diese dann ad nauseam zu loopen. Weshalb es am Ende auch genau die richtige Entscheidung war, das hier ohne einen Rapper als ablenkenden Faktor auf ein exklusives Beattape zu packen und in all seiner zurechtgestutzten Harmonie strahlen zu lassen. Und dafür kann man als Belohnung dann schon mal einen ernst gemeinten J-Dilla-Nujabes-Vergleich strapazieren.  Anhören



Denzel Curry - WalkinDENZEL CURRY
Walkin
aus dem Album Melt My Eyez See Your Future








Als Walkin Ende Januar diesen Jahres erschien, war es zugegebenermaßen nicht sofort ein Song, mit dem ich mich wirklich anfreunden konnte und auch auf dem später folgenden Album sah ich es erstmal nur als einen der besseren Titel unter vielen. Erst wesentlich später, als ich die Nummer zufällig nochmal hörte und mir in Erinnerung rief, offenbarte sich mir die Grandiosität dahinter, die vor allem aus Denzels Performance und Lyrics kommt. Im Nachhinein glaube ich ja ein bisschen, dass ich in ihm nicht sofort den intelligenten und philosophisch versierten Rapper erkennen wollte, der er hier plötzlich ist und auf den ich ob seiner letzten Arbeiten eben nicht wirklich vorbereitet war. Denn das hier erinnert mich in vielen Punkten eher an die Arbeit des jungen Joey Bada$$, der heutzutage ja aber leider Gottes nicht mehr solche Bretter schreibt. Insofern vielleicht ein ganz guter Platzhalter, bis Denzel nächstes Jahr wieder etwas völlig anderes macht. Anhören



Fred again.. - Jungle (Rico Nasty Remix)FRED AGAIN..
Jungle (Rico Nasty Remix)
aus dem Album Las Ruinas








Jungle von Fred again.. geisterte dieses Jahr als Phantom eines Dancefloor-Hits schon eine ganze Weile durch den Äther, als Rico Nasty ihn im Herbst in dieser Remix-Version auf ihr neues Mixtape packte, was aber nichts machte, denn erst in dieser Version nahm ich seine Genialität letztlich so richtig war. Was vielleicht aber auch gut war, denn so bekam ich hier von Anfang an seine sicherlich beste Bearbeitung zu hören, die mich dann auch in vielen Punkten mehr überzeugte als das Original. Zwar  könnte man an dieser Stelle auch mit Recht argumentieren, dass das Feature von Nasty eigentlich nicht mehr viel mit den Ausgangsmaterial macht und eher einen parasitären Nutzen von der Nummer hat, in meinen Augen bringt ihre Beteiligung aber nochmal das entscheidende Quäntchen räudige Energie in die ganze Sache, die es wirklich zu einem unausweichlichen Banger macht. Ganz zu schweigen davon, dass die Rapperin damit endlich auch mal wieder einen richtig genialen Song rausbringt. Also zumindest technisch gesehen. Anhören





OG KEEMO
Vögel
aus dem Album Mann beisst Hund

Es gibt auf einem Album wie Mann beisst Hund definitiv strahlendere Single-Momente als Vögel, einen fast siebenminütigen Deep Cut, der von allen Tracks der Platte sicherlich am wenigsten von deren innewohnendem Narrativ zu trennen ist und in diesem Sinne auch nichts für schwache Nerven sein dürfte. Trotzdem würde ich an dieser Stelle wohl keinen anderen Track der LP vorziehen, wenn es darum geht, das definitive Highlight daraus anzuführen. Ganz einfach deshalb, weil er das zentrale Stück dieses neuen Meisterwerks und damit ziemlich konkurrenzlos der beste Song ist, den OG Keemo in seiner ganzen Karriere gemacht hat. Nicht nur wegen seines auch beim hundertsten Mal packenden Storytellings oder der fast schon cineastischen Produktion, sondern letztlich vor allem aufgrund der emotionalen Tiefe, die hier mitgegeben wird und die in diesen wenigen Minuten sehr eindeutig zum tragischen Dreh- und Angelpunkt dieses sehr besonderen Albums wird. Anhören



BILDERBUCH
Zwischen deiner und meiner Welt
aus dem Album Gelb ist das Feld

Es gibt viele Momente auf dem neuen Bilderbuch-Album, denen man das Prädikat "hymnisch" anhängen kann und viele davon wie Dates, Bergauf oder For Rent waren 2022 Songs, die regelmäßig bei mir liefen. Dass Zwischen deiner und meiner Welt derjenige sein würde, den ich am häufigsten hören würde, war mir schon aber seit meinem ersten Hördurchlauf der Platte klar. Ganz einfach deshalb, weil die euphorischen Wellen, die die Wiener auf der ganzen LP aussenden, hier kurz vor Schluss nochmal am höchsten schlagen und die Emotionen der Platte richtig gut energetisch bündeln. In Form eines Songs über Sehnsucht und Distanz, der gleichzeitig zeitgenössisch und zeitlos klingt und am besten jene tolle, frei atmende Version von Bilderbuch zeigt, die ich auf dieser neuen Platte so oft höre. Ganz davon abgesehen, dass die Band hier definitiv das Gitarrensolo des Jahres aufs Parkett brezelt. Anhören



Imarhan - AboogiIMARHAN
Achinkad
aus dem Album Aboogi








Wenn ich sage, dass Imarhan hier ein Lagerfeuerlied gemacht haben, dann meine ich das in diesem Fall zu hundert Prozent positiv und eher als eine ernst gemeinte Bestärkung seiner Wirkung denn als billigen Gag. Vielleicht meine ich es sogar auf die Weise, dass Achinkad die Nummer ist, die für mich dieses Jahr das Konzept des Lagerfeuerliedes rehabilitiert hat. Denn im Gegensatz zum drölften Wonderwall-Klon vom zigsten Weißbrot mit Gitarre ist das hier ein Song, dem man wirklich eine starke Atmosphäre entnehmen kann und der tatsächlich klingt wie trautes Beisammensein unterm Sternenhimmel mit Grillenzirpen. Dass sich besagter Sternenhimmel dann der über der südlichen Sahara ausbreitet und Imarhan auf einer mir unverständlichen Sprache singen, macht dann aber nur insofern was aus, dass ihr Ansatz an das ganze Thema weniger ausgelutscht klingt. Und weil sie es mir trotzdem als ästhetisch passend verkaufen können, wenn am Ende nochmal richtig die Post abgeht. Anhören



Angel Olsen - Big TimeANGEL OLSEN
This is How It Works
aus dem Album Big Time








In meinem Artikel über Big Time hatte ich noch gesagt, dass Angel Olsen auf diesem Album zum ersten Mal nicht diesen einen großen Song geschrieben hat, der wie sonst immer ihre Alben überflügelt und auch Jahre danach noch funktioniert, doch eigentlich wusste ich es schon da besser. Denn mit This is How It Works ist der Song, der genau das letztendlich doch schafft, in besagtem Artikel schon ganz oben im Titel zu lesen. Und wie schon die großen Hits der letzten beiden Platten steht auch dieser hier symbolisch für die musikalische Ausrichtung, die Olsen dabei anpeilt. In diesem Fall bedeutet das vor allem, dass sie mehr denn je ihre schon immer vorhandenen Country-Tendenzen channelt, wobei sie in diesem Sinne eine dieser ganz großen Powerballaden schreibt, die sich ganz tief in die emotionalen Schmerzrezeptoren schrauben und auch nur in dieser Stilistik so herzergreifend gelingen können. Inklusive unsterblicher Hook und großartiger Pedalsteel-Begleitung. Anhören
 
 
 
The 1975 - Being Funny in a Foreign Language THE 1975
When We Are Together
aus dem Album Being Funny in A Foreign Language
 
 






Eine Sache, die ich an the 1975 wirklich zu lieben gelernt habe ist, wie sehr der ihrer Musik innewohnende Kitsch mittlerweile mit Ansage kommt. Oder zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass es Zufall ist, wie Matt Healy in When We Are Together über Socken mit Sandalen, Spaziergänge im Central Park und Duftkerzen singt. Wobei das eigentlich erstaunliche ist, wie er hier einen Song über zwei offensichtlich grauenvolle Charaktere trotzdem als extrem romantisch und herzerwärmend verkauft und eine Songzeile wie "I'm a racist and you're some kind of slag" ganz subtil in das wohlige Kuschelfeeling dieses Tracks einfließen lässt. Und sicher, ein bisschen ist daran auch Jack Antonoff schuld, der hier mir niedlichen Banjo-Backings und Streichern nochmal extra auspolstert, doch führt er am Ende nur die Befehle aus, die dieses perfekte Verbrechen wirklich perfekt machen. Mit dem Effekt, dass man ihnen solche Scherze am Ende nicht mal verübeln kann. Anhören



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