Sonntag, 4. Dezember 2022

Saisonrückblick 2022 : Teil 02 : Die besten Konzerte


Freunde, es ist endlich wieder soweit! Nachdem die gesamten letzten zwei Jahre über dieser Teil meines Saisonrückblicks aufgrund bekannter Ursachen nicht stattfinden konnte, gibt es 2022 wieder einiges zu berichten. Wobei ich davon anfangs selbst erstaunt war, wie viel sich am Ende doch aufsummiert hatte. Es kam mir ehrlich gesagt nicht so vor, als wäre ich in den letzten Monaten auf besonders vielen Konzerten gewesen, doch war ich anscheinend trotzdem auf vielen guten. Wobei es bei den ersten davon schon noch ein bisschen schwierig war, mich ganz der Sache hinzugeben. Noch lange fühlte es sich für mich auch auf kleinen Clubkonzerten komisch an, wieder in größeren Menschenmengen zu stehen und gerade das Besuchen von Festivals hatte dieses Jahr durchaus etwas awkwardes, das mir in dieser Form neu war. Umso schöner war es auf der anderen Seite aber auch, dann wirklich wieder echte Konzerterlebnisse zu haben und das Format des Liveauftritts wieder fast so zu erleben wie vor der Pandemie. Vermisst hatte ich Konzerte und Parties währenddessen ja eigentlich wenig und war sehr okay damit, auch längere Zeit darauf zu verzichten. Dann aber doch wieder vor einer Bühne zu stehen und eine*n Lieblingsmusiker*in dabei zuzuhören, wie er die eigenen Lieblingssongs in Echtzeit performt, war eine kleine Offenbarung, die am Ende ein bisschen jedes Konzert zu einem speziellen Erlebnis machte. Und letztlich ist es sicherlich das schönste, das nach zwei Jahren Pause so einfach sagen zu können.




08.07.2022
JENS AUSDERWÄSCHE
Hühnermanhattan, Halle
Eigentlich war mein Plan ja gewesen, auf dem diesjährigen Corax-Festival im Hühnermanhattan Halle endlich mal die Gruppe Baumarkt zu sehen, deren Konzerte ich während der letzten fünf Jahre durch mannigfaltige universelle Fügungen (oder wie ich vermute, einen bösartigen Fluch) immer wieder verpasst habe. Und wie man sich ob dieses Anfangs schon denken kann, war das Vorhaben auch diesmal nicht von Erfolg gekrönt. Als Trostpreis bekam ich dann aber zumindestens Frontfrau Jens Ausderwäsche zu sehen, deren flamboyantes und aberwitziges Kunstpop-Programm mich doch ziemlich gut entschädigte. Dass die ganze Nummer dabei ein bisschen improvisiert und spontan war, trug in meinen Augen nur zum Erlebnis bei und trotz der verpassen Hauptband will ich diesen Gig als Auftakt meines Post-Corona-Konzertjahres auf keinen Fall missen.



29.07.2022
KORTO
L*Abore Festival, Hauptmannsgrün
Mieses Wetter und akuter Schlafmangel am Freitag des Festival L*Abore machten mich zunächst skeptisch, ob es überhaupt so eine gute Idee war, wieder den weiten Weg ins Vogtland auf mich genommen zu haben und lange sieht es für mich auch eher nach einem Nein aus. Dann aber betraten etwa um zehn Uhr abends drei Junge Männer aus der Auvergne die kleine Zeltbühne und begannen langsam damit, das Wochenende für mich zum Guten zu wenden. Ihr psychedelischer Shoegaze-Space-Krautrock ist dabei ebenso monumental wie sportlich und versteht sich als vorwärtsgerichtete Partymusik, die als solche auch wahnsinnig gut funktioniert. Bonuspunkt: Beim anschließenden Shirtkauf gelingt es mir, im Gespräch mit Gitarrist Marius Mermet mein eingerostetes Schulfranzösisch wieder aufzufrischen.



29.07.2022
ELEKTRO GUZZI
L*Abore Festival, Hauptmannsgrün
Derselbe Tag wie im letzten Absatz, circa drei Stunden später. Als letzter Act des L*Abore-Freitags steht das Wiener Analog-Techno-Ensemble Elektro Guzzi auf dem Plan, das hier vor allem für die bestmögliche Symbiose aus Party und Arbeit steht. Denn obwohl der schnieke und nokturnale Minimal Elektro, den die Österreicher formverwirrend auf Schlagzeug, Gitarre und Bass performen, durchaus tanzbar ist und man das im Publikum auch merkt, erlebt man auf der Bühne doch drei manisch konzentrierte Fleißmusiker, die sich durch ihr Set arbeiten, als wäre es eine hochkomplexe physikalische Formel. Am Ende ist das Konzert damit aber das beste aus beiden Welten: Man kann drei extrem talentierten Instrumentalisten bei ihrer faszinierenden Kleinarbeit zusehen, selbst aber trotzdem noch dazu tanzen. Bestmöglicher Abschluss eines durchwachsenen Festivaltags.



30.07.2022
ASHRAF SHARIF KHAN & VIKTOR MAREK
L*Abore Festival, Hauptmannsgrün
Genialer Techno-Crossover ist auch am zweiten Tag des L*Abore-Festivals 2022 womöglich dessen größter Selling Point und trifft am Samstagabend auf ein musikalisch sehr ungleiches, aber auch extrem symbiotisches Duo. Auf der einen Seite Ashraf Sharif Khan, weltgewandter Sitarist in dritter Generation, der an diesem Abend als Botschafter folkloristischer Tradition auftritt, auf der anderen der DJ, Produzent und Theatermusiker Viktor Marek, ein Urgestein der Hamburger Technoszene. Für die Party zuständig sind sie an diesem Abend beide und ergänzen sich in ihren teilweise wild mäandernden Longtracks zu jedem Zeitpunkt fantastisch. Ein Zustand, der auch definitiv auf das anwesende Publikum abfärbt und für mich mal wieder eines dieser Konzerte ist, für die ich jedes Jahr wieder aufs L*Abore gehe und die man wahrscheinlich so an wenigen anderen Orten sieht.



30.07.2022
HARRISON McCLARY & LUCY DYE
L*Abore Festival, Hauptmannsgrün
Ein bisschen kitschig ist Harrison McClary in seiner ganzen Art und Weise ja schon und wirkt als amerikanischer Großstadt-Adonis mit der Behauptung, Lana del Rey wäre seine "Göttin", auf diesem Rumpelfestival in Westsachsen doch ein bisschen deplatziert. Seine an Sufjan Stevens erinnernden Akustik-Kompositionen funktionieren in diesem Setting (eine winzige Bühne am nebligen Nachmittag direkt neben dem Zeltplatz) aber trotzdem und ein Hauch von Glamour weht am Ende vielleicht auch über die ganze Szenerie. Meine wirkliche Entdeckung des Konzerts ist jedoch abgesehen von allem anderen eh die Berlinerin Lucy Dye, die hier zwar nur als eine Art Sidekick auftritt, songwriterisch aber einen erheblich originelleren Eindruck macht und zu der Künstlerin wird, deren Musik ich nach dem Wochenende wahrscheinlich am meisten gehört habe. Und wenn das der Effekt von gerade mal zwei von ihr performten Songs ist, dann sollte das schon was heißen.



L*ABORE 2022 BONUSRUNDE:
DIXIELAND KOLLEGIUM PLAUEN
Es ist einigermaßen schwer, Nicht-Kenner*innen des L*Abore-Universums die Genialität dieses Bookings zu beschreiben und für die meisten wird es sicherlich keinen Sinn ergeben, doch werde ich es an dieser Stelle dennoch versuchen. Wobei es zunächst wichtig ist zu wissen, dass es am Sonntag des Festivals normalerweise kein richtiges Liveprogramm mehr gibt, und was am Morgen des letzten Tages an durchgefeierten Nachtgestalten noch übrig ist, mit lose kuratierter Konservenmusik bespaßt wird. Ein Dauerbrenner dabei: die Mülheimer Jazz-Gottheit Helge Schneider und seine größten Hits. Dass der an diesem Sonntag früh um zehn nicht selbst auf der kleinen Bühne am Bierzelt steht, ist natürlich schade, doch hat sich die Organisation des Festivals das nächstbeste überlegt: Eine lokale Dixieland-Kapelle, die in dieser Konstellation des vielleicht schönste Bild des Wochenendes ergibt: Fünf Herren um die 60, die in Zwirn und Krawatte betuliche Jazzmusik spielen und dabei von einer Traube verzechter Kaputtnicks umgeben sind, die völlig enthemmt im Matsch tanzen. Sicherlich auch für die Band selbst eine Begegnung der dritten Art, die für mich nochmal den speziellen Charakter dieses Festivals hervorhebt.



28.10.2022
DIE ORSONS
Theatherhaus Stuttgart
Für mich persönlich wird wohl kein Konzert der Orsons je an den wunderbaren Clubshow-Budenzauber herankommen, dem ich 2019 im Jugendhaus Roßwein beiwohnen durfte, doch zeigte mir dieser Gig Ende Oktober doch nochmal eindrücklich, dass Setting für diese Band eben kein bestimmender Faktor ist. Im Theaterhaus Stuttgart - also quasi ihrer Homezone - fährt das Quartett auch ohne intensive Tourroutine und mit einem eher abgespeckten und soften Set eine durchweg stabile Partylaune, die Raum für viele kleine Lieblingsmomente gibt. Seien das Performances von eher hinterbankigen Deep Cuts vom letzten Album, kalauernde Zwischenmonologe von Bartek, Solo-Performances von Tua und Kaas oder eine sehr spontane Zugabe von etwas namens "Partykirche 2017" auf Nachfrage des Publikums. Wobei das schönste an der Show in meinen Augen die familiäre Atmosphäre war, in der sie stattfand. Und das obwohl diesmal sicherlich dreimal so viele Leute dabei waren wie beim letzten Mal.



04.11.2022
DIE NERVEN
Weltecho, Chemnitz
Ein bisschen hatte ich mich ja immer geärgert, die Nerven nicht schon mal früher in ihrer Laufbahn gesehen zu haben, als sie noch mehr ehrliche Punkband und weniger medienrelavante Popstars waren, doch nach meinem nun tatsächlich passierten ersten Mal mit der Band muss ich diese Aussage vielleicht revidieren. Denn obwohl das, was die Schwaben hier an diesem Freitagabend im Weltecho performen, durchaus sehr professionell und wenig punkig ist, ist es doch ein durchweg gelungenes Rockkonzert, das gerade davon lebt, dass die Nerven mittlerweile sehr gut wissen, was sie tun. Absolut jeder Song in den fast zwei Stunden Konzert ist wahnsinnig tight performt und selbst wenn die Band hier improvisiert, tut sie das mit einer erstaunlichen technischen Finesse und abgestimmter Chemie. Dass es nebenbei eines der lautesten und brutalsten Konzerte ist, die ich seit Jahren erlebt habe, kann man als positiven Bonus verbuchen. 



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