Montag, 6. Juli 2015

Nine to Five

FOUR TET

Morning / Evening

Text Records

2015
















Man dachte eigentlich, man könnte sich auf Kieran Hebden verlassen. Seit Jahren war der Londoner Produzent schon unter dem Pseudonym Four Tet aktiv und dabei stets so etwas wie der Typ, der den Puls der Zeit direkt fühlen darf. Seine Platten waren immer tierisch modern und Youngster aus allen Ecken der Welt stürzten sich auf seine Tracks wie auf das neue iPhone. Dass eine gewisse Veränderlichkeit dabei vonnöten war, ist nur logisch. So hatte Hebden zu Beginn des neuen Jahrtausends mit Indietronic angefangen und war mit seinem letzten Longplayer Beautiful Rewind irgendwo im Ambient-Pop angekommen. Was dabei aber stets eine Konstante war, war die relativ einfache Konsumierbarkeit seiner Tracks und Alben, die ihn mit der Zeit zu dem Club-Halbgott machte, der er heute ist. Und als solcher kann man seine Verantwortung gegenüber seinem Publikum auch mal nicht so ernst nehmen. Schon von seinen Live-Sets der letzten Tour werden wüste Geschichten erzählt. Four Tet soll unter die Psychedeliker gegangen sein, heißt es und sehr eigenartige Tracks spielen. Alles nur Gewäsch? Wenn man sich Morning / Evening, das neueste Album den Briten anhört, sieht es gar nicht danach aus, denn Hebden macht hier tatsächlich ernst. Die Platte besteht aus nicht mehr als zwei Songs, von denen jeder genau eine Seite der Schallplatte füllt, die dann jeweils die Namen Morning und Evening tragen. Schon das an sich ist ein Schachzug, den man eigentlich eher in der Postrock-Szene vermutet und der mit Konsumierbarkeit und Youngster-Gehabe so gar nichts zu tun hat. Für elektronische Musik ist diese Herangehensweise geradezu konzeptionell und exotisch, nutzt sie doch die Idee einer Vinyl-Veröffentlichung als Leitmotiv. Ein Medium, auf dem die meisten Produzenten von heute nicht mal mehr rumkratzen wollen. Und dabei haben wir über die Musik hier drauf noch nicht einmal gesprochen. Four Tet ist bisher eigentlich nicht dafür bekannt gewesen, besonders lange Tracks zu komponieren, weshalb ich mir über die Umsetzung dieses Plans zunächst berechtigte Sorgen machte. Ob diese bestätigt wurden, hängt ganz davon ab, wie man Morning / Evening sieht. Hebden ist keiner der Typen, die progressive Epen mit fünftausend Teil-Motiven schreiben, die sich gegenseitig schichten und auflösen. Sein Ding ist eher der Aufbau von Atmosphäre. Und da kann man wieder mal nicht meckern: Die beiden Stücke verstehen sich als Titelthemen eines Morgens beziehungsweise eines Abends und sind als solche auch äußerst überzeugend. Die Ästhetik stimmt und trägt den Hörer locker über die zwanzig Minuten des Tracks. Auch sind die beiden Seiten nicht zu gegensätzlich und hängen die Coolness ihres Interpreten nicht komplett an den Nagel. Ein kleines Problem hier ist das Sampling, dass besonders auf Morning besonders repetitiv ist und nach zehn Minuten Dauerschleife schon mal nerven kann. Allerdings fordert es den Hörer auch heraus und zeigt einmal mehr, dass Four Tet zu mehr taugt als zum Apple-Store der englischen Indiekids. Morning / Evening ist damit trotz seiner experimentellen Herangehensweise ein weiteres solider Baustein in der Diskografie von Kieran Hebden, der hiermit vielleicht seinen größten Stilbruch versucht hat. Ich freue mich jetzt schon aufs nächste Wiedersehen.
8/11

Bester Song: Evening

Nicht mein Fall: -

Weiterlesen:
Review zu Beautiful Rewind (Four Tet):

Review zu Our Love (Caribou):

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen