Dienstag, 21. Juli 2015

Erlebnisbericht: L*Abore Festival 2015

Man weiß inzwischen, wie der Hase läuft. Nach meinem gerade Mal dritten Jahr beim L*Abore Festival im vogtländischen Hauptmannsgrün fühle ich mich diesem familiären Beisammensein bereits unglaublich verbunden und habe auch diesmal schon vorher die Tage gezählt. Besonders schön ist das, wenn man feststellt, dass die Leute einen mittlerweile zu kennen scheinen. Auch das Ambiente ist in diesem Jahr wieder herrlich, aber ich bin ja wegen der Musik hier. Das bisher umfangreichste Line-Up der Festivalgeschichte beginnt an diesem Tag um 19 Uhr mit der Indierock-Band Intrinsic Vitality, die über einen Talentwettbewerb an den Platz als Opener gekommen sind. Mich zieht es eine Stunde später zur Zeltbühne, wo das Berliner Trio Plattenbau aufspielt. Der psychedelische Postpunk der Jungs ist live eine sehr lärmige Angelegenheit, bietet allerdings auch jede Menge tolle Momente, die als würdiger Einstieg in ein turbulentes Festival-Wochenende sehr gut funktionieren. Auf der Sonne Bühne (kein Schreibfehler, "Sonnenbühne" sagt auf dem L*Abore kein Mensch!) tischen danach die Postrocker Børlaub auf, die mit spektakulären Bläsersätzen und einem zweiteiligen Set inklusive Umbaupause ganz schön dick auftragen. Allerdings ist ihr statisch perfektioniertes Konzert höchstens technisch überzeugend, der Funke springt eher nicht zum Publikum über. Ein Problem, das auch später auf der Wiesenbühne noch nicht geklärt ist: Der gemeinsame Gig der HipHop-Produzenten-Teams Greeninstruments und Mono Nomads hätte einer der besten des Wochenendes werden können, allerdings haben die Akteure mit argen technischen Problemen zu kämpfen, die einen reibungslosen Verlauf des Sets unmöglich machen und die auch das spätere Dazustoßen des Rappers Genozid nicht vergessen machen kann. Ein überraschend gutes Konzert sieht man wenig später von Klaus Johann Grobe aus der Schweiz, dessen Band ihren Post-NDW-Krautrock vorzüglich performt und die überschaubar große Menge sogar zum Tanzen bringt. Währenddessen feuert ein Typ namens "der Reifen" auf der Wiesenbühne derbe Club-Sounds ab, der das kleine Zelt in einen wüsten Dancefloor verwandelt. Pünktlich zum Auftritt der Avantgarde-Künstler RGB Ensemble ist dieser allerdings wieder geräumt und es beginnt eine der bizarrsten Shows, die ich auf diesem Festival je gesehen habe. Zu live eingespielter, teils improvisierter neuer E-Musik tanzt eine Ballerina, während hinter ihr digitale Gemälde von einer Video-Künstlerin in Echtzeit auf eine Leinwand projiziert werden. Diese eigentümliche Performance direkt an das Set eines Elektro-DJs zu hängen, ist eine gewagte Aktion, für die ich den VeranstaltUnd ern des Festivals großen Respekt entgegen bringen muss. Nicht jedes Open Air traut sich, ein solches Projekt in diesem Kontext zu präsentieren, so etwas ist mutig. Und so ist es tatsächlich auch viel spannender, die Reaktionen des Publikums zu beobachten, als die Show selbst. Es gibt zwar einige Leute, von denen Buhrufe kommen und die bereits nach den ersten Minuten wieder gehen, aber eine nicht allzu kleine Menge bleibt da und beobachtet sehr interessiert das farbenfrohe Treiben auf der Bühne. Ein Experiment, das sich am Ende doch irgendwie lohnt. Wobei nur wenige Minuten nach dem Umbau auch schon wieder ein ganz anderer Wind weht. als Der G3raet sein gemeinsames Set mit MC Dubwiser beginnt, der die kleine Bühne binnen kürzester Zeit wieder zur Dancehall macht. Der DJ spielt ein sehr zeitgenössisches Drum & Bass-Set, während ein emotional aufgelegter Dubwiser das Publikum anfeuert. Bereits nach einer Viertelstunde tanzen die ersten auf der Bühne weiter und spätestens als Der G3raet seinen Remix von Ray Charles' Hit the Road, Jack auspackt, sind die Zustände anarchistisch. Mein Freitag ist nach diesem Gig beendet, was auch gut so ist. Denn der Samstag soll das ganze noch toppen. Bereits um kurz vor zwölf Uhr mittags sammelt sich eine Gruppe von Motivierten um MC Dubwiser, die mit einer spontanen Jamsession auf der Wiesenbühne die schlafenden Wecken und den letzten versprengten Nachteulen den Rest geben. Auf der Bühne und im Publikum wird Wodka herumgereicht und jedes greifbare Utensil zum Instrument zweckentfremdet. Und auch solche Momente machen die Schönheit dieses besonderen Festivals aus. Unverhoffte Aktionen wie diese werden hier von den Veranstaltern geduldet und am Ende bleibt alles in der Familie. Nicht überall wäre man da so cool. Das richtige Programm beginnt allerdings auch erst gut vier Stunden später, und zwar mit der Plauener Band Polis. Über die habe ich ja hier bereits ausführlich berichtet und ihr Set war einer meiner Haupt-Anlaufpunkte dieses Festivals. Das Quintett spielt ein Potpourri aus alten Songs, die im neuen Gewand aufregend anders klingen, Stücken vom aktuellen Album Sein und bisher unveröffentlichtem Material, das große Hoffnungen auf ein baldiges neues Projekt der Ostrocker macht. Die äußerst sympathische Band erlebt man danach mit Kind und Kegel das Festivalgelände erkunden und in trauter Eintracht das Geschehen beobachten, dem auch ich mich weiter widme. Um 19 Uhr spielt die chilenische Shoegaze-Gruppe the Holydrug Couple, die mit ihrem quirlig-gechillten Dreampop-Sound die Abendstimmung perfekt untermalt und darüber hinaus über den süßesten Drummer des ganzen Wochenendes verfügt. Dass sie dabei ziemlich nach Tame Impala klingen, stört für den Moment überhaupt nicht. Leider wandern große Teile ihres Publikums nach einer Weile bereits zur Wiesenbühne ab, auf der zu dieser Zeit die Brassbanditen spielen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Mit urigem Blasorchester-Sound werden hier unter anderem A-Ha, Rage Against the Machine und die Tetris-Melodie verwurstet. Dazu gibt es witzige Kostüme und ulkige Tanzeinlagen. Aber das Publikum ist begeistert. Der weitere Abend plätschert danach so vor sich hin. Ich höre kurz beim recht ereignisarmen Postrock von Trio Schmetterling rein, lausche dem düsteren Trance-Groove von Waelder und erlebe den ziemlich holprigen Anfang der Berliner Indierocker Zelf. Erst um kurz nach Mitternacht kommt der Paukenschlag mit dem spektakulären Konzert der französischen Postrock-Kapelle Pauwels. Die Musiker haben sich dazu selbst in der Mitte ihres tobenden Publikums eingekesselt und feuern geballte Salven aus Lärm ab, die bei zwei Drummern auch ordentlich Schlagkraft haben. Gitarrist Sebastien Hermann springt immer wieder in die Menge, die sich schon nach wenigen Minuten zu einer wahrhaften Orgie entwickelt hat und auch nach fast anderthalb Stunden Konzert noch nicht genug hat. Der Gig von Pauwels wird am Ende der sein, über den am nächsten Tag noch alle reden. Am Sonntag trottet das L*Abore-Festival ohne weitere Programmpunkte aus, dafür gibt es Helge Schneider aus der Konserve und die ganz harten können auch dazu tanzen. Trotz des ambitionierten Line-Ups und dem mittlerweile 15. Jubiläum des Open Airs bleibt es hier also gemütlich und überschaubar. Die Coolness dieser Veranstaltung liegt für mich noch immer in der Bescheidenheit, mit der die Veranstalter hier heran gehen. Nur 1200 Karten standen diesmal zum Verkauf, dennoch war das Gelände zumindest gefühlt voller als in den Jahren zuvor. Darüber hinaus gab es auch diesmal wieder keinen Headliner. Dieses Konzept ist vielleicht nicht gerade kommerziell erfolgreich, aber am Ende des Wochenendes gehen alle mit einem Lächeln wieder nach Hause. Und mit dem festen Vorhaben, nächstes Mal wieder zu kommen...

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