Sonntag, 5. Mai 2024

Die Wochenschau (27.04.-05.05.2024): Vampire Weekend, MGK & Trippie Redd, Khruangbin, Sum 41 und und und...

 
 
 
 
 
ANYMA
Genesys II
Interscope

Anyma macht schon bei Titel und Artwork keinen Hehl daraus, dass Genesys II eher ein Add-On zu seinem vergangenen Sommer erschienenen Debüt (das immerhin unter den Top Fünf meiner Lieblingsplatten der Saison landete) ist als wirklich ein neues Album. Die komplette zweite Hälfte (beziehungsweise die zweite "Disc", wenn man diesen Neunziger-Begriff verwenden will) besteht eh aus Remix-Versionen, nicht wenige von Songs des ersten Genesys-Teils. Interessant für mich waren aber natürlich vor allem die zehn neuen Stücke, die es auf der ersten Hälfte gibt. Auch diese nehmen musikalisch wenig Abstand von der Handschrift des Debüts und unterscheiden sich am ehesten dadurch, dass sie Anymas Metamorphose zum Großevent-Künstler stärker ausdrücken. Auch Teil Eins war schon an vielen Stellen Material für Megaraves, funktionierte aber trotzdem unabhänig davon, was man hier nicht mehr in jedem Fall sagen kann. Vor dem inneren Auge hat man hier noch öfter farbenfrohe Tomorrowland-Sets mit Fantasy-Feuerwerk-Zinnober und wenn man mich fragt, kommt das auch dadurch, dass der Berliner kompositorisch etwas abstumpft. Das Ergebnis ist dann immer noch ein durchweg starkes Album, einen Jahresfavoriten macht Anyma für mich damit aber ganz sicher nicht mehr. Und wo es schon auf dem Vorgänger als logischer nächster Schritt für ihn erschien, stilistisch diesen Weg einzuschlagen, hätte ich mir doch gewünscht, dass er darin weiter beide Seiten seines Anspruchs balanciert kriegt. Wenn er damit jetzt richtig erfolgreich wird, kann ich aber wenigstens sagen, dass ich ihn schon gehört hätte, als er noch gut war.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





MGK
TRIPPIE REDD
Genre : Sadboy
Interscope

Obwohl ich in der Vergangenheit verhältnismäßig soft mit dem Output von Machine Gun Kelly war, rechne auch ich spätestens seit seiner Metamorphose zum Pop-Punk-Schreckgespenst bei allem, was der Typ anfasst, vorsichtshalber mit dem schlimmsten. So auch bei dieser trotz einer knappen halben Stunde Spielzeit offizell als EP gebrandeten neuen Platte, bei der mit Trippie Redd immerhin ein Künstler als gleichwertiger Partner dabei ist, dessen Musik ich in der Vergangenheit oftmals mochte und der in meinen Augen wie wenige Andere das Thema Emo-Trap hochwertig aufbereitet. Und obwohl ich es nicht argumentativ klar auf seine Anwesenheit zurückführen kann, dass Genre : Sadboy kein kompletter Reinfall ist, ist das in vielen Momenten doch meine Vermutung. Zuletzt strahlte zwar auch sein Stern - gerade was seine Emo-Platten betraf - weniger hell als in den Zwotausendzehnern und besonders an seine Kollabo mit Travis Barker 2021 erinnere ich mich mit Schmerzen, hier ist er aber anscheinend wieder ziemlich auf dem Damm. MGK seinerseits profitiert davon, dass Genre : Sadboy zumindest vom Vibe her eher wieder Rap- als Rock-orientiert ist und er hier und da auch wieder ein paar klassische Punchlines raushauen kann. Was mich besonders positiv überrascht hat ist die streckenweise nicht unspannende Aufnahme und Produktion der Platte, bei der mit verschiedenen Recording-Techniken gearbeitet wurde, die man auch wirklich bemerkt. Klar ist es dabei am Ende alles andere als ein Meisterwerk und bleibt gerade inhaltlich manchmal fragwürdig, es ist aber weder peinlich noch langweilig. Und das ist bei diesen beiden Künstlern leider Gottes etwas, das man mittlerweile hervorheben muss. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




ARUSHI JAIN
Delight
Leaving

Die kalifornische Modular-Fricklerin Arushi Jain kombiniert auf ihrem dritten Soloalbum (ihrem vierten, wenn man ihr 2018 veröffentlichtes Debüt unter dem Namen Ose mitzählt) die ambiente Ästhetik analoger Synth-Musik in Verwandtschaft von Ann Annie oder Tim Hecker mit den Raga- und Hindustani-Sounds ihrer indischen Heimat. Das klingt schon auf dem Papier total spannend, ist es in seiner Ausführung aber nochmal auf eine ganz andere Weise, als man sich das vorstellt. Denn obwohl man auf Delight nirgends die für Raga typischen Instrumente wie Sitars oder Tablas hört, baut Jain die entsprechende Stimmung allein mit ihrer Stimme und dem elektronischen Backdrop sehr wirkungsvoll ein. Das macht die Platte allein durch ihre Kompositorik zu einem der spannenderen Ambient-Releases der bisherigen Saison und dass sie darüber hinaus auch noch klasse produziert ist und einen fantastischen Flow hat, tut da nur sein übriges.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






SUM 41
Heaven :x: Hell
Rise Records

Grundsätzlich bin ich ja schon immer ein eher skeptischer Pop-Punk-Hörer und das Ereignis, dass ausgerechnet Sum 41 mit diesem aufgeblasenen Abschieds-Doppelalbum eine Ausnahme sein würden, hatte ich ehrlich gesagt nicht kommen sehen. Für ihre letzte Platte vor der Auflösung (wobei ich erstmal abwarten würde, wie nachhaltig die tatsächlich sein wird) haben sich die Kanadier aber nochmal ordentlich hinter die Bank geklemmt und eine gute Stunde voller großartiger Pop-Punk-Hymnen zurechgezimmert, die überraschend konsistent ist. Ihnen selbst zufolge soll deren zweite Hälfte dabei die Metal-Ambitionen ihrer letzten paar Platten weiterdenken, wie schon bei denen bedeutet das aber lediglich, dass sie hier ein bisschen grantiger und schneller zu Werke gehen, ansonsten aber ihren üblichen Film abfahren. Abgesehen von einem ziemlich entglittenen Paint It Black-Cover sind in dieser zweiten Hälfte auch die besten Songs des Albums zu finden, eben weil sie ein bisschen mehr auf die Tube drücken, Teil Eins steht dem aber in wenig nach. Und wo Heaven :x: Hell für Fans von Sum 41 damit der bestmögliche epische Abschied ist, den man sich von so einer Band nach fast 30 Jahren wünschen kann, funktioniert es auch für Leute wie mich, die einfach mal wieder eine satte Portion gut gemachten Pop-Punk ohne Füllersongs haben wollen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





REAL BAD MAN
LUKAH
Temple Needs Water. Village Needs Peace.
Real Bad Man Records

 
 
 
 
 
Die Euphorie über die Platten des Produktionskollektivs Real Bad Man, die ich vor ein, zwei Jahren noch hatte, war zuletzt ob der Tatsache etwas gesunken, dass viele ihrer Alben nicht wirklich auf lange Sicht funktionierten und sehr schnell den ursprünglichen Aha-Effekt verloren. Und auch diese neue LP mit dem Rapper Lukah aus Memphis wirkt auf den ersten Blick wie eine wenig besondere. Gut die erste Hälfte der immerhin 15 Songs zeigt den üblichen soliden Boom Bap von Real Bad Man plus der Arbeit eines kompetenten Rappers, wie man es auch schon von anderen Projekten des Kollektivs kennt. Erst in seiner zweiten Hälfte blüht Temple Needs Water. Village Needs Peace so richtig auf, was dann vor allem daran liegt, wie Lukah textlich arbeitet. Denn hier behandelt er dann an vielen Stellen Themen wie Alltagsrassismus, die Geschichte des Kolonialismus und die Ausbeutung des afrikaischen Kontinents auf eine sehr originelle Weise, die gerade auch durch ihre etwas esoterische Art immens gut funktioniert. In Songs wie the Farmer, the Servicemen oder the Poets Pour Liberation erinnert er mich lyrisch fast an Bands wie Arrested Developement, nur dass er dabei wirklich tief in die theoretische Substanz seiner Inhalte abtaucht. Und an diesen Stellen ist Temple Needs Water definitiv ein besonderes Album, von dem ich zumindest inständig hoffe, dass es sich nicht so schnell abnutzt wie viele andere in seiner Verwandtschaft.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 
 
AUGN
Gerstenkorn / Fata Morgana
Dioptien
Auch das zweite "Album" der Gruppe Augn besteht aus zwei EPs und macht inhaltlich wieder nicht viel neues. Die meisten der Kritikpunkte, die ich schon bei ihrem Debüt vom letzten Jahr hatte, kommen hier wieder zum tragen und obwohl die jetzigen zwei Platten marginal besser sind, finde ich Augn im Kern doch einfach ziemlich überbewertet: Musikalisch ist das Duo eine Mischung aus Sleaford Mods auf deutsch, H.Gich.T und Olli Schulz (letzteres zumindest dem Gesang nach zu urteilen), das irgendwie schwarzhumorig-gesellschaftskritisch unterwegs sein will, dabei aber eher klobig Allgemeinplätze bedient und auf einfache Ziele schießt. Da geht es in A&R um die selbstgefällige Musikindustrie, in Beyonce um den zwielichten Ethos großer Pop-Phänomene und in Habibi um falsche Wilkommenskultur. Mir ist irgendwie klar, wie sie damit so eine Sensation werden konnten (vor allem aufgrund ihrer konsequenten Anti-Haltung in allem, was PR angeht), leider verbirgt sich jedoch hinter der originellen Fassade eine ziemlich klumpige und zynische Knüppelrhetorik, die am Ende fast weniger als die Summe ihrer Teile ist. Womit Augn am Ende irgendwie selber das sind, wogegen sie inhaltlich auflaufen: Ein Sack heißer Luft, der lediglich durch seine gut gemacht Promo wirklich auffällt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠 06/11
 
 
 
 
 
KHRUANGBIN
A La Sala
Dead Oceans
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Obwohl Khruangbin in meiner Erinnerung manchmal wie die langweiligste Band der Welt erscheinen mögen und sie dank ihres sehr zurückgelehnten Chillout-Ansatzes immer wieder Gefahr laufen, selbst die Prämisse eines Crossovers aus flamboyant gemischten internationalen Folk-Flavours furchtbar schnarchnasig klingen zu lassen, haben sie mit A La Sala wieder mal Überzeugungsarbeit geleistet. Wie schon auf dem Vorgänger Mordechai von 2020 (seitdem erschienen unter anderem ein Remixalbum der eben genannten LP sowie eine Kollabo-Platte mit Vieux Faka Touré) schaffen die Texaner es hier, einen gediegenen Mix aus softer Psychedelik, einer Prise Funk und der Attitüde von Ambient Pop ansprechend zu verpacken und halten die Spannung trotz der Tatsache, dass sie noch weiter das Tempo drosseln, weniger singen als vorher und ganz und gar in ihrer Rolle als Klangtapeten-Band aufgehen. Und klar kann man an diesem Ansatz kritisieren, dass er nicht besonders kreativ ist und Khruangbin künstlerisch weiter in eine Nische drängt. Erstens scheinen sich die Texaner in dieser aber pudelwohl zu fühlen, andererseits ist A La Sala kompositorisch wie klanglich trotzdem echt solide.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





VAMPIRE WEEKEND
Only God Was Above Us
Columbia

Es hat mich einigermaßen überrascht, wie sehr sich die Musikpresse Anfang des letzten Monats mit Lob über Only God Was Above Us überschlug, waren Vampire Weekend doch eine Band, die in den vergangenen Jahren von ebendiesen eigentlich zunehmennd angezweifelt wurde. Und nicht dass ich in dieser Hinsicht irgendwie besser gewesen wäre: Auch ich war 2019 kein Freund von Father of the Bride, brauchte ein Jahrzehnt, um mit Modern Vampires of the City wirklich warm zu werden und schrieb sogar mal einen sehr langen Text darüber, warum wohl keines ihrer Alben nochmal an die Großartigkeit ihres Debüts heranreichen würde. Dass diese neue Platte jetzt also diejenige sein soll, die nach Jahren des Nicht-so-richtig und Wirklich-schade-dass den Knoten platzen und diese Band wieder in vollem Glanz erstrahlen lässt, fand ich also etwas seltsam. Und um es ganz direkt zu sagen: Ich kann diese Auffassung nicht teilen. Only God Was Above Us ist ein weiterer Longplayer vom Schlag der beiden Vorgänger, der sein möglichstes tut, neue Impulse zu schaffen und Vampire Weekend über ihren Schatten springen zu lassen, leider aber immer dann am besten ist, wenn er an die ersten zwei Alben der Band erinnert. Dass er dabei zwischenzeitlich ein paar echt schicke Momente abwirft und definitiv stärker ist als Father of the Bride, muss ich ihm zugestehen, mir persönlich reicht das aber nicht. Und mit jeder weiteren Platte, die die New Yorker auf diese Weise machen, wächst in mir eigentlich nur die Gewissheit, dass es etwas in der Ästhetik ihrer ersten beiden Alben gibt, das einfach unwiederbringlich ist und den Versuch, daran anzuschließen, müßig macht. Was unterm Strich heißt, dass ich die Mühe hier wirklich schätze, das Thema am Ende aber mal wieder verfehlt wurde.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen