Sonntag, 11. Februar 2024

Die Wochenschau (29.01.-11.02.2024): The Smile, Ja, Panik, Mine, Benny the Butcher und und und...


 
 
 
 
 
THE SMILE
Wall of Eyes
XL

 
 
Das Debütalbum von the Smile war vor zwei Jahren das fantastische Ergebnis eines perfekten Dreier-Matchs von Musikern, das mich in meinem Roundup am Jahresende sogar zu der vorsichtigen Äußerung des Prädikats "besser als Radiohead" verführte. Und da die Zeichen bei Album Nummer Zwei in keinster Weise anders standen, hatte ich auch keinen Grund, hier etwas anderes als ein weiteres tolles Werkstück zu erwarten. Leider ist es in seiner Gänze nun aber eine mittelgroße Enttäuschung geworden. Das liegt zunächst mal daran, dass sie Band hier die furiose Kinetik, die die besten Songs auf dem Vorgänger hatten, komplett zu den Akten legt und über weite Strecken quasi zu einer reinförmigen Jazzband wird. Jonny Greenwood packt dazu noch ein paar seiner abstrakten Streicher-Arrangements, die zwar nicht übel sind, die Beweglichkeit der Kerngruppe aber in noch weitere Entfernung rücken. Und wo es vor zwei Jahren auch schon viele ruhige und verhaltene Songs gab, hatten die alle einen starken songwriterischen Charakter, der sie ausmachte. Hier ähnelt ästhetisch vieles diesen Songs, ist aber kompositorisch um Längen schwächer. Als Selling Points bleiben the Smile damit noch Thom Yorkes Texte und Tom Skinner als extrem talentierter Drummer, der sich hier aber auch merklich zurückhält. Was am Ende leider eine sehr vernachlässigbare LP zur Folge hat, die ich von einer Band wie dieser schon weit unter den Möglichkeiten finde.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




TY SEGALL
Three Bells
Drag City

Seit seinem letzten Doppelalbum, dem fantastischen Freedom's Goblin von 2018, hat Ty Segall vier Alben gemacht - sechs, wenn man seinen Whirlybird-Soundtrack und das zweite Album mit White Fence mitzählt - von denen eines überflüssiger war als das nächste. 2024 ist er beim nächsten Doppelalbum angekommen und mehrt dabei leider nur noch weiter das Füllmaterial. Von 15 Songs in etwas über einer Stunde gibt es vielleicht eine halbe Handvoll, die sich irgendwie nach songwriterischem Charakter anfühlen, der große Rest ist nicht schlecht, aber enervierend inessenziell. Und ja, vielleicht sprechen bei solchen Nörgeleien einfach nur die Jahre in den Zwotausendzehnern aus mir, in denen Segall gefühlt alle sechs Monate ein Garagen-Psych-Album für die Saisonliste herausbrachte, gerade daher weiß ich aber auch, dass ich mit sowas nicht zufrieden sein muss.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




R.A.P. FERREIRA & FUMITAKE TAMURA
The First Fist to Make Contact When We Dap
Alpha Pup | Ruby Yacht

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
In den über zehn Jahren, in denen Rory Ferreira inzwischen aktiv ist, gab es nur wenige Platten, auf denen er umfassend mit anderen zusammenarbeitete und diese hier ist die erste solche seit fünf Jahren. Sein Partner hier ist der Produzent Fumitake Tamura aka Bun, der Ferreiras Stil als Beatmaster stilistisch sehr ähnlich ist, seiner Musik hier aber das entscheidende Bisschen Kante gibt. Auf dieser guten Basis macht aber vor allem er selbst eines seiner performativ prägnantesten Alben seit einer ganzen Weile, das sich fast wieder wie seine früheren Milo-Sachen anfühlt. Dabei schadet es nicht, dass die Platte auch ansonsten von einem starken kollaborativen Spirit beseelt ist und eine ganze Reihe ebenso fantastischer wie bisher völlig unbekannter Gäste wie Eldon Somers, Hprizm und Self Jupiter dazuholt. Das Ergebnis ist dann nicht nur ein weiteres besonderes Ausrufezeichen im wachsenden Katalog von Ferreira, sondern vor allem die erste richtig geniale Platte des jungen Jahres.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




BENNY THE BUTCHER
Everybody Can't Go
Def Jam

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Unter den drei Kern-MCs der Griselda-Gang war Benny the Butcher schon immer der mit der meisten stilistischen Wandelbarkeit und damit verbunden vielleicht auch der mit dem größten Mainstream-Appeal. Und obwohl Everybody Can't Go keineswegs das abenteuerlichste Album des Rappers ist, fühlt es sich doch wie ein weiterer Schritt in Richtung eines erwachseneren Outputs von ihm an. Denn zum ersten Mal gehen die viele Ideen, die er bereits vorher auf Platten wie Burden of Proof oder seiner letzten Tana Talk-Platte hatte, wirklich auf, was vor allem mit der Emanzipation von alten Mustern zu tun hat. So mag es wie ein Detail wirken, dass erstmals viele der zur Gewohnheit gewordenen Ad-Libs von Griselda sehr spärlich eingesetzt werden, in meinen Augen macht es aber einen entscheidenden Unterschied. Selbst inhaltlich in der Tradition der Crew verwachsene Songs wie Griselda Express wirken so irgendwie frisch und auch wenn Benny weiterhin am liebsten über Machtspiele und Drogenkartelle rappt, hat das diesmal einen Glamour, den er vorher trotz häufiger Versuche nicht hinbekam. Seine beste Platte ist Everybody Can't Go deshalb nicht gleich, aber aktuell eine seiner substanziellsten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




TOM ODELL
Black Friday
UROK

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Schon nach seinem zweiten Album Wrong Crowd von 2016 fand ich, dass Tom Odell einen besseren Ruf verdient gehabt hätte als den des abgehalfterten Indiepop-Sternchens, als das er mit seinem Debüt vor etwa zehn Jahren antrat. Und da er nun acht Jahre später wieder meinen Weg kreuzt, kann ich diese Forderung nur nochmals unterstreichen. Insbesondere in Anlehnung an Black Friday, ein durch und durch fantastisches Trennungsalbum des Briten, mit dem er eine für ihn ganz neue Form des schöngeistigen Songwritings anzapft. Mit 28 Minuten ist die Platte nicht lang und verbaut in sich viele Songskizzen und Skits, die aber trotzdem irgendwie genug Platz für eine ganze Reihe absolut genialer Songs lassen, die sich in drei Minuten oder weniger auftürmen wie Kathedralen der Melancholie. Sowohl musikalisch (der Chor in the End of the Summer!!) als auch lyrisch (die Taylor Hawkins-Zeile in the End!!) schneidet Odell dabei so tief, dass ich trotz meiner Überzeugung, dass er ein toller Songwriter ist, in vielen Momenten baff von seiner Emotionsgewalt bin. Was es umso bedauerlicher macht, dass dieses Album wahrscheinlich kaum noch Leute hören werden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




ANCIENT VVISDOM
Master of the Stone
Argonauta

Mein Interesse für Ancient VVisdom rührt tatsächlich von einer halbwegs coolen Platte her, die sie schon 2013 veröffentlichten und die in meinen Augen eine der wenigen war, die das schwammige Label "Doom Folk" wirklich mit Leben erfüllten. Die meiste Zeit sonst haben sie ehrlich gesagt ziemlichen Mist fabriziert. Glücklich ist es trotzdem, dass ich bei Master of the Stone nochmal neugierig wurde, denn wider Erwarten haben sie damit gerade ihr bisher bestes Album gemacht. Zwar sind sie inzwischen schon lange weg von der düsteren Folk-Mystik und seit geraumer Zeit eine richtige Metalband, ihr Hintergrund mit den etwas sanfteren Nuancen ist aber immer nich spürbar. So ergänzen den okkulten Oldschool-Heavy Metal dieser acht Songs Einflüsse aus sehr verschiedenen Richtungen, von garstigem Black Metal über Goth bishin zu gänzlich akustischen Nummern. Einziges wirklich durchgehendes Motiv ist dabei das inhaltliche Thema der Teufelsanbetung, das einer von vielen Punkten ist, an dem Ancient VVisdom ein bisschen an Ghost erinnern. Inkohärent kann man Master of the Stone bei alledem aber nie nennen, denn dazu vereint es einfach zu viele passende Bausteine.Vor allem ist es aber wahrscheinlich seit Jahren eine der besten jener okkulten Rockplatten, die den ganzen Dämonenspuk auch mal mit ernster Miene spielen und nicht nur als vermarktbaren Halloween-Grusel verstehen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





JA, PANIK
Don't Play With the Rich Kids
Bureau B

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Auf dem neuesten Album von Ja, Panik entdeckt Andreas Spechtl nicht nur den Österreicher in sich wieder und den Mexikaner in sich neu, er schreibt auch generell eine Platte, die viel vom Verlorensein und der sich anschließenden Sinnsuche handelt. Das Ergebnis ist ein Album, das das Durchhalten besingt und zum bisher vielleicht dynamischsten seiner Band wird. Musikalisch hängen Ja, Panik dabei zwischen dem entrückten Intelligenzpop von Tocotronic und dem verrückten Transzendenzpop von Bilderbuch (die sich die Sache mit den deutsch und englisch verquirlten Texten ja irgendwann mal von ihnen abgeschaut hatten) und klingen damit so souverän wie immer, verstolpern sich damit aber seltener als vorher. Überhaupt ist es in meinen Augen die erstaunlichste Errungenschaft dieser Platte, die von mir für diese Band stets empfundene Skepsis ziemlich schnell in Luft aufzulösen und mit ihre Musik aus einer völlig neuen Perspektive zu präsentieren. Für mich persönlich also vielleicht ihr würdigeres Comeback-Album als der nominell als solches aufgestellte Vorgänger Die Gruppe von 2021.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




MINE
Baum
Universal

Ich will nicht sagen, dass ich mit dem etwas stockigen, sorry, Klugscheißpop von Mine nicht immer noch an gewissen Punkten meine Probleme habe und gerade Songs wie Copycat oder den Titelsong nicht ziemlich nervig finden würde. Trotzdem ist Baum vielleicht das Album der Stuttgarterin, mit dem ich - abgesehen von ihrem echt coolen Kollabo-Album mit Fatoni - bisher am besten klarkomme. Das mag daran liegen, dass sie ihre schon immer schlagende Fähigkeit als Komponistin und Arrangeurin noch weiter verfeinert, klangliche Attribute waren aber schon vorher nicht mein Problem mit ihr. Viel eher mag ich, wie sie hier inhaltlich mal weniger klumpige Metaphern findet und in Momenten auch weniger über sich selbst als über andere schreibt. So mag ich besonders einen Song wie Staub, den Mine über ihre Mutter schreibt und der wirklich eher auf einer emotionalen als auf einer intellektuellen Ebene funktioniert. Und ja, vielleicht habe ich durch dieses Album auch gelernt, konkreter zu benennen, was ich an ihrer Musik doof finde, das aber auch im Kontext davon, dass sie mich hier insgesamt ein bisschen mehr überzeugt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




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