Montag, 14. August 2023

Die Wochenschau (01.08.-11.08.2023): Travis Scott, Aphex Twin, Carly Rae Jepsen, Post Malone und und und...


 
 
 
 
 
APHEX TWIN
Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760
Warp
 
Aphex Twin - Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760Das Medium Longplayer ist für Richard D. James ja schon seit seinem nominellen Comeback von 2014 kein wirkliches Thema mehr und auch seine letzte richtige EP hat derweil gute fünf Jahre auf dem Buckel. An deren eher enttäuschender Performance lag es aber auch, dass ich den Iren in der Zeit seitdem nicht wirklich vermisste und für dieses neue Kleinformat wieder recht moderate Erwartungen hatte. Entgegen dieser ist Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760 jedoch eine echt Runde Sache geworden, die in meinen Augen sogar das beste Release unter der Aphex Twin-Haube seit drukqs von 2001 sein dürfte. Vor allem liegt das daran, dass diesmal die Produktion wieder stimmt und James darin den Detailreichtum und die Tiefe seiner früheren Jahre wiederentdeckt. Der Rest sind bewährte Formeln, die bei jemandem wie ihm aber eh gut altern. Für mich persönlich ist das hier also der Moment, in dem das Comeback erst richtig Sinn ergibt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Post Malone - AustinPOST MALONE
Austin
Mercury | Republic

Das ungeschönte Schnappschuss-Artwork von Austin und die Tatsache, dass der Musiker die Platte nach seinem bürgerlichen Vornamen benannt hat, sind auf jeden Fall starke Indizien: Nachdem man bereits auf dem Vorgänger Twelve Carat Toothache Post Malones Neigungen für poppigere Motive sehr viel deutlicher spürte und alle so langsam feststellten, dass seine Zuordnung als Rapper eigentlich nie so richtig passend war, ist das hier nun der vollumfängliche Übergang seiner Musik ins Singer-Songwriter-Territorium. Eine Entwicklung, die in meinen Augen ziemlich absehbar war und auf die ich ehrlich gesagt auch ein bisschen Bock hatte. Leider ist das Ergebnis auf dieser LP die so ziemlich schlimmste mögliche Version davon geworden und kommt vom Vibe her eher auf eine Mischung aus tränendrüsigem Youtube-Apology-Video und den Sachen, die viele Leute an Ed Sheeran so schlimm finden. Das fängt dabei an, dass die Platte mit 17 Songs in 51 Minuten einfach viel zu lang ist und geht damit weiter, dass so gut wie alle dieser Songs von den gleichen Sachen handeln. Kennt man einen Song auf diesem Album kennt man sie alle. Auch die Wirkung der intimen und kathartischen LP, die mit Austin höchstwahrscheinlich beabsichtigt war, bricht sich an diesem Narrativ. Denn zwar behandelt sie mit Alkoholproblemen, Erfolgsparanoia und Bindungsängsten durchaus schwerwiegende Sachen, Malone kommt dabei aber nie über die Humblebrag-artige Bad Boy-Attitüde eines mittelmäßigen Deutschrappers hinaus. Und dass er dieses Lamento dann gefühlt alle zwei Minuten von neuem anfängt, macht die Sache auch nicht nachfühlbarer. Damit ist er sicher nicht der erste Rapper, der sich an der Hürde zum narrativen Songwritertum verstolpert, in seinem Fall ist es aber doch ein besonders beschissenes Album von einem der wenigen, dem ich in dieser Hinsicht echte Chancen eingeräumt hätte. Schade.

🔴🔴🔴⚫⚫⚫⚫ 03/11



Carly Rae Jepsen - The Loveliest TimeCARLY RAE JEPSEN
the Loveliest Time
Interscope


 
 
 
 
 
 
Ein explizit als B-Seiten-Kollektion ausgewiesenes Projekt, wie Carly Rae Jepsen sie im Anhang ihrer letzten zwei Alben veröffentlichte, scheint the Loveliest Time nicht wirklich zu sein und allein der Titel lässt irgendwie eine Verbindung zum letztes Jahr veröffentlichten the Loneliest Time vermuten, zu dem es aber eher die Beziehung einer Art Sequel oder Konterpart zu haben scheint. Ich will an dieser Stelle aber auch nicht so tun, als würde mich das ernsthaft interessieren. Denn was diese LP letztendlich ist, ist ein weiteres sehr typisches Carly Rae Jepsen-Album, das die üblichen Parameter bereitstellt und damit ebenso solide wie vorhersehbar ist. Und das heißt auf der einen Seite zwar ganz klar, dass die Kanadierin nach wie vor starke Songs schreiben kann und es quasi keine effektiven Schwächen gibt, ihre kompositorische Formel ist inzwischen aber auch spätestens seit Dedicated die gleiche und mehr als ein bisschen generisch. Wer wie ich also bis jetzt noch kein Jepsen-Fan geworden ist, wird das mit diesem Album definitiv nicht mehr. Dafür müssen an diesem Punkt schon andere Geschütze aufgefahren werden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11







Travis Scott - UTOPIATRAVIS SCOTT
Utopia
Cactus Jack


Als Travis Scott im Sommer vor fünf Jahren mit Astroworld das letzte Mal ein richtiges Album veröffentlichte, war er in den Augen vieler auf dem besten Weg dahin, einer der wichtigsten und angesehensten Rapper der letzten Dekade zu werden, was nicht unwesentlich daran lag, wie ernsthaft experimentell und wegweisend besagte LP war. Ein halbes Jahrzehnt später gibt es endlich einen Nachfolger, den gleichen Anspruch kann Scott aber nicht mehr geltend machen. Ganz wesentlich verantwortlich dafür ist das tragische Desaster des Astroworld-Festivals 2020, bei dem acht Menschen ums Leben kamen und dessen Aufarbeitung in den letzten Jahren die Veröffentlichung eines neuen Albums auch sehr unsensibel hätte wirken lassen. Was die weitere Verspätung von Utopia auch irgendwie rechtfertigt. Dennoch hat Travis Scott damit für mich irgendwie den Zeitpunkt verpasst, in dem er mit einem Nachfolger wirklich an seinen künstlerischen Zenit anschließen kann und an vorderster Front des Trends steht, den er selbst einst entscheidend geprägt hat. Das macht das letztendliche Ergebnis nicht zu einem schlechteren Album, aber eben nicht zu dem großen medialen Ereignis, das Scott vielleicht gerne gehabt hätte. Wobei ich auch sagen muss, dass Utopia alles andere als ein Meisterwerk ist. Viele der Ideen von Astroworld, die vor fünf Jahren innovativ und visionär wirkten, werden hier eher recycelt als weitergedacht, weshalb vieles dem Zeitgeist eher hinterherläuft, als ihn zu anzuführen. Und ein durchgehendes Statement oder inhaltliches Gewicht, das der Platte eine irgendwie geartete Zeitlosigkeit verpassen würde, mit der man sich aus der Trendfalle windet, gibt es auch nicht. Nimmt man diesen Anspruch weg, ist Utopia trotzdem ein solider Nachfolger für Astroworld, der rein musikalisch keine schlechtere Figur macht als selbiges vor fünf Jahren. Vor allem der Mittelteil der LP mit seinen etwas klassischeren, hartkantigeren Nummern wie Sirens, Meltdown, Delresto, I Know? und Topia Twins ist echt fett geworden und zeigt am besten, was die angedüsterte Hochglanz-Produktion, die mich oft an die jüngeren Kanye West-Sachen erinnert, hier leisten kann. Und wenn es schwächere Momente gibt, liegen die fast immer in unglücklichen Featureparts (Bad Bunny in K-Pop, Dave Chapelle in Parasail) begründet und weniger in Scotts Performance selbst. Über seine stattlichen 73 Minuten Spielzeit trägt Utopia dabei ziemlich effektiv und zeigt, dass Travis und sein Team das beste aus der langen Wartezeit seit dem Vorgänger gemacht haben. Innovationspreise werden sie damit also nicht mehr gewinnen, die Hauptsache ist aber eh, dass die Krise der vergangenen Jahre anscheinend überstanden ist und an deren Ende ein echt solides Ergebnis steht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




Chief Adjuah - Bark Out Thunder Roar Out LightningCHIEF ADJUAH
Bark Out Thunder Roar Out Lightning
Stretch Music | Ropeadope


Als ich seine Musik von vor acht Jahren zum ersten Mal für mich entdeckte, war Chief Adjuah ein noch bescheidener Jazztrompeter aus New Orleans, der unter seinem bürgerlichen Namen Christian Scott progressiv angetünchten Post-Bop spielte und damit als verheißungsvoller Newcomer galt. 2023 kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es diesen Musiker nicht mehr gibt. Denn nicht nur wechselt Adjuah in den Jahren seitdem irrwitzige Pseudonmye wie Unterhosen und findet immer wieder neue Phänotypen als Identität, auch seine Musik ist nur noch in wenigen Eigenschaften mit dem Deckungsgleich, was er in den Zwotausendzehnern machte. So ist die Existenz von Trompetenparts, die eigentlich mal das Handwerk dieses Typen waren, auf Bark Out Thunder reine Spekulation und auch die Stilbezeichnung des Jazz kann man hier nur noch im Sinne einer Randerscheinung anbringen. Viel eher ist vorliegendes Album ein spirituell durchwirktes Amalgam aus westafrikanischem Folk (vor allem der Ewe und Mande aus der historischen Benin-Region), indigener nordamerikanischer Musik sowie einem Farbtupfer Blues, der Adjuahs noch immer starke Verbundenheit zur Heimat New Orleans ausdrückt. Wie kulturell sensibel dabei Sachen wie der indigene Schmuck auf dem Cover und die Tatsache sind, dass der Künstler sich mittlerweile "Chief" (also "Häuptling") nennt, will ich an dieser Stelle als weißer Europäer nicht zur Disposition stellen, wobei ich aus Erfahrung auch weiß, dass hinter Adjuahs Musik immer ausgeklügelte und durchdachte kulturtheoretische Konzepte stecken, die wahrscheinlich nur er selbst vollends versteht. Und ich stelle an diesem Punkt auch eh viel lieber fast, was Bark Out Thunder durch diese eigenwillige Stilkombination für ein spannendes Album geworden ist. Vor allem die Elemente von Talking Blues in Songs wie Trouble That Mornin' oder Xodokan Iko - Hu Na Ney, gepaart mit der rhythmischen Komplexität des First Nations-Folk beziehungsweise den Mande/Ewe-Einflüssen, machen nicht selten wirklich was her und lassen Adjuahs Vergangenheit als Jazzer selten vermissen. Wobei ich am Ende des Tages trotzdem sagen würde, dass ich ältere Platten wie Ancestral Recall oder Stretch Music auf Dauer besser finde und der Künstler mit dem Trompeten ein großes Talent Brach liegen lässt. Aber dass er hier einmal einen spiritistischen Deep Dive in seine Folk-Einflüsse unternimmt, heißt ja nicht, dass die Sache mit der Jazzmusik für immer passé ist. Also zumindest hoffe ich das.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Skindred - SmileSKINDRED
Smile
Eerache


Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich im Jahre des Herren 2023 noch für eine Platte von Skindred begeistern kann, aber auf ihre ganz eigene Weise gehören die Waliser (zumindest für mich) gerade zu der Sorte Bands, denen das um sich greifende New Metal-Revival im Karriereherbst eine Teilrehabilitation anbietet. Dabei hat ihr achtes Album Smile zwar nichts von der Coolness, die Soulfly oder Slipknot mit ihren neuen Sachen mitbringen und natürlich sind die umfangreichen Ragga- und Dub-Einflüsse bei ihnen noch immer Geschmackssache, ich persönlich kann mich dafür aber stellenweise sehr erweichen. Sowohl für den Anfangsteil der Platte, die ein bisschen nach einer Patois-infizierten Limp Bizkit-Version klingt, als auch in der zweiten Hälfte, in der eher gefälliger Roots-Reggae mit Hochglanzproduktion dominiert. Peinliche Tracks wie If I Could oder L.O.V.E. gibt es dabei trotzdem noch, angesichts der verhältnismäßig geringen Dichte solcher Momente würde ich Smile aber definitiv als positive Überraschung verbuchen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




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