Sonntag, 27. August 2023

Konzertbericht: Gurken und Rhabarber


 

R.A.P. FERREIRA
DJ ELDON SOMERS
AJ SUEDE
23.08.2023
Gretchen, Berlin


"The Ruby Yacht is in the building" - DJ Eldon Somers Claim zu Beginn seines Sets am vergangenen Mittwoch im Gretchen in Berlin fasst den Anspruch des Programms an diesem Abend eigentlich recht gut zusammen. Denn obwohl das Lineup des Showcases, das gerade durch die europäischen Metropolen tourt, höchstens einen Bruchteil des Personals auf dem Label von Rory Ferreira umfasst, ist es doch wesentlich zutreffender als die Idee, dass dies einzig und allein seine Unternehmung ist. Sicher ist er sowas wie der Headliner des Abends und letztlich auch für mich der wesentliche Grund, weshalb ich den Weg in die Hauptstadt für dieses Konzert auf mich genommen habe, doch ist die Veranstaltung als solches trotzdem eine Gruppenleistung. Und was noch viel wichtiger ist, alle drei Rapper des Lineups repräsentieren mit ihrer Musik zumindest einen Bestandteil des Spirits, für den das Konglomerat Ruby Yacht seit vielen Jahren steht: Experimenteller Hiphop mit Grips und DIY-Komponente, der eine Grundlagenarbeit der Szene abbildet. Was sich zum einen darin äußert, dass alle auftretenden Acts ihre Beats zum Teil selbst produzieren und diese auch live auf der Bühne einspielen und zum anderen darin, dass sich das ganze mehr wie ein Open Mic-Abend im Comedyclub anfühlt als wie ein durchexerziertes Rapkonzert. Die Künstler sind hier, um dem Publikum etwas zu erzählen, das Publikum hängt an ihren Lippen. Trotz Sprachbarriere und manchmal nicht ganz optimaler Soundaussteuerrung. Wobei die Verschiebung von klassischer Hiphop-Erfahrung zu Freiform-Sprechkunst mit Musikbegleitung größer wird, je länger die ganze Sache geht. Und das hat sicherlich auch mit der Show-Erfahrung der auftretenden Musiker zu tun. Angefangen mit Szene-Routinier AJ Suede, der zwar auch schon über zehn Jahre lang aktiv ist, auf der Bühne hier aber definitiv noch etwas grün hinter den Ohren wirkt. Dass liegt sicherlich auch ein bisschen daran, dass er den Abend eröffnet und komplett allein für einen sich eher zögerlich füllenden Raum spielt, angesichts dessen ist sein Set aber absolut souverän, gespickt mit tollem Material und damit im mindesten ein guter Aufwärmer für die beiden folgenden Acts. Wobei als zweiter in der Runde mit Eldon Somers auch ein MC und Producer folgt, der schon wesentlich abgebrühter sein Ding macht. Nicht nur überzeugt er dabei mit seiner Mischung aus entrückten Gesangspartien und roughem Billy Woods-Timbre durchweg musikalisch, er setzt an diesem Abend auch eine Art von unfassbar charmantem und comedyesken Publikumskontakt um, der ab diesem Punkt nicht mehr abbrechen wird. Ob das nun damit zu tun hat, dass er sich über die sonderbaren Geschmacksrichtungen deutscher Bio-Limonaden auslässt (Es gibt abwechselnd Apfel- und Rhabarberschorle) oder sich lakonisch über das größtenteils weiße Publikum auslässt: Er bringt eine ergreifende Nonchalance auf die Bühne, die für das Gelingen des Showcases mitentscheidend ist. Was toll ist, denn nicht nur bleibt er danach als DJ für den Hauptact R.A.P. Ferreira noch ein bisschen da, er bekommt mit selbigem nun auch einen nicht minder charmanten Sparringpartner, mit dem er sich nun noch eine ganze weitere Stunde belöffeln kann. Ferreira selbst ist dabei in persona so ziemlich das Gegenteil von allen Erwartungen, die ich an ihn hatte und immer wieder für eine Überraschung gut. Nicht nur in der Hinsicht, dass er sein Set mit drei Bluesstandards auf der Akustikgitarre beginnt (anscheinend gehen drei Jahre in Nashville auch als Rapper nicht spurlos an einem vorbei), sondern auch in der, dass er ein absolut bombastischer Performer ist. Von seinen Platten kennt man den nerdigen Jazzrapper ja eher zurückhaltend, mit lamentierenden Endlosstrophen über Comics, Poetik und Philosophie, der wie das Gegenteil einer Rampensau wirkt. Hier legt er aber nicht nur die gleiche Comedyclub-Attitüde an den Tag wie sein Kumpel Somers, er spuckt auch Bars wie einer von den ganz harten Jungs. Da macht es auch nichts, dass die Beats im Hintergrund durchweg ziemlich fluffig sind (sie werden einfach lauter gespielt, um der Härte von Ferreiras Flows angemessen zu sein) und es eigentlich keine richtigen Hits gibt, die bei so einem Konzert irgendwie als Highlights herausstechen könnten. Wie gesagt, an diesem Punkt hat sich die ganze Nummer sowieso ein bisschen zum Alles-kann-nichts-muss-Stream-of-Consciousness-Programm weiterentwickelt, bei der der Beat auch weiterläuft, wenn der Mann am Mikrofon zwischen den Strophen in Kurztraktate über die "Wertigkeit der Verzweiflung" (freie Übersetzung des Autors) oder seinen Hass auf Gewürzgurken abschweift. Und letztendlich will man das ja auch ein bisschen von diesem Typen hören: Ein bisschen schlaues und ulkiges Blaba über das Leben, das Universum und den ganzen Rest, ein paar dumme Sprüche zwischen Beatpult und Mikro und zwischendurch ein oder zwei der zahllosen grandiosen Rapsongs aus dem gigantischen Studiokatalog dieses Künstlers. Ein bisschen scheidet man an diesem Abend also mit dem Gefühl, nicht unbedingt nur ein Konzert gehört zu haben, sondern auch einen etwas entgleisten Improabend, den ein paar gute Kumpels von der anderen Seite des Atlantik gestalten. Wobei es dabei definitiv einer von der Sorte ist, an die man gerne denkt und von dem man nicht ausschließt, ihn irgendwann nochmal erleben zu wollen.


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