Sonntag, 29. Oktober 2023

Die Wochenschau (23.10.-29.10.2023): Drake, Roger Waters, Sufjan Stevens, Timber Timbre und und und...


 
 
 
 
 
FELIPE GORDON
Errare Humanum Est
Die-Ai-Wei

 
 
 
 
 
 
Nachdem seit letztem Jahr anscheinend jedermanns Großmutter sein eigenes House-Album aufnimmt, ging ich Platten aus dieser Richtung während der letzten Monate ehrlich gesagt ein bisschen aus dem Weg. Dass dieses Album mich aus meiner Ablehungshaltung zumindest für einen Moment herausholt, spricht also für seine Qualitäten. Felipe Gordon mischt seinen soften Deep- und Tech House hier zunächst viel mit jazzigen Elementen, die der Platte eine angenehm loungige Note geben und erst in der zweiten Hälfte wird es etwas aufgeweckter und beatlastiger. Was mir aber gefällt ist, dass Errare Humanum Est in keinem Moment ein zu zwanghaft tanzbares Album sein will, sondern oft eher die chilligen Seiten von Housemusik repräsentiert. Also eher Holzmarkt um viertel Zwei mittags als Kater Blau um drei Uhr früh. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11






TIMBER TIMBRE
Loveage
Die-Ai-Wei


 
 
 
 
 
 
 
 
Angesichts dessen, dass ich mittlerweile fünf Jahre auf dieses Album gewartet habe und Timber Timbre davor immer eine wahnsinnig spannende Band waren, hatte ich jetzt eigentlich Bock auf Songs von ihnen, die mir ein gewisses wohliges Fan-Gefühl zurückgeben. Stattdessen bekomme ich mit Loveage einen ziemlich gewaltigen linken Haken und eines der blumigsten und schrägsten Alben der Kanadier bis hierhin. Da gibt es Sachen wie das etwas albern-beatleske Mystery Street, das instrumentale Pianostück 800 Pristine Corpses oder das seltsame Sugar Land, von dem ich mir sicher bin, dass es von Ahornsirup handelt. Ein bisschen wollen Timber Timbre damit anscheinend spooky sein, was in manchen Momenten auch klappt und gerade lyrisch zeigt Loveage eine bei dieser Band seltene Stärke. Trotzdem finde ich am Ende des Tages, dass sie sich mit dieser Platte immer wieder unnötig Beine stellen und nicht unbedingt ihre Stärken ausspielen. Zumal auch Songs wie Ask the Community oder der Titelsong, die eher den klassischen Style alter Alben spiegeln, wesentlich schwächer ausgeführt werden als früher.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11





SUFJAN STEVENS

Javelin
Asthmatic Kitty

Die Nachricht von Sufjan Stevens' Erkrankung am Guillain-Barré-Syndrom kurz vor Release des neuen Albums verwässerte erheblich die Vorfreude, die viele ob diesem hatten, trotzdem oder gerade deswegen ist es in den letzten Wochen sehr schnell zum Fanfavoriten geworden. Und dass Carrie & Lowell das letzte Mal war, als das auf ähnliche Weise passierte, ist sicherlich auch kein Zufall. Zwar hat Stevens spätestens seit seiner Kollaboration mit Angelo De Augustine vor zwei Jahren ein bisschen zum Indiefolk seiner größten Jahre zurückgefunden, Javelin ist trotzdem die erste Platte seit langem, die sich so groß und bedeutend anfühlt wie damals. Macht sie das auch zu einer seiner besseren? Für mich nicht unbedingt. Klar stimmt irgendwie der qualitative Grundsatz und ein schlechtes Album wird Sufjan Stevens sicherlich nicht so schnell machen, durch eine besondere Kreativität oder lyrische Größe zeichnet sich das Ding aber auch nicht aus. Am spannendsten finde ich noch die hier und da verstreuten Einflüsse afrikanischer Musik (vor allem die Flötenparts, die manchmal klingen wie bei Avatar), darüber hinaus ist es ein eher gewöhnliches Projekt für den Songwriter. Und ja, das wird sicherlich den Fans seiner alten Platten gefallen (von denen ich ja letztlich auch einer bin), für mich waren Sachen wie A Beginner's Mind und the Ascension aber deutlich interessanter.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





DRAKE
For All the Dogs
OVO

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Für viele derjenigen, die in Drakes Alben vom letzten Jahr vielleicht einen kleinen Hoffnungsschimmer der stilistischen Diversität sahen, wird For All the Dogs die ernüchternde Realisierung darstellen, dass das alles doch nur eine Phase war und er hier wieder zum gleichen Trott zurückkehrt, den er inzwischen seit 2017 fährt. Für jemanden wie mich jedoch, der die Platten aus dieser Zeit mehr und mehr für die stärksten im Katalog des Kanadiers hält, kehrt er hier eher zu der Musik zurück, die er nach wie vor am besten macht. Klar fand ich auch Honestly, Nevermind letzte Saison nicht schlecht und selbst auf dem sehr mittelprächtigen Her Loss kurz danach war er definitiv das stärkere Glied, so großartig wie diese LP war aber schon die letzten fünf Jahre kein Drake-Album mehr. Ein fantastischer Song folgt hier den nächsten, unter denwuchtigen 24 Tracks ist nicht ein mittelmäßiger oder enttäuschender, sämtliche Features funktionieren einwandfrei und sogar die kolossalen 85 Minuten Spielzeit fühlen sich keine Sekunde zu lang an. Und wo ich an vielen Punkten verstehe, was man an diesem Künstler auszusetzen hat und weshalb man sich über ihn aufregt, ist es für mich doch ein beeindruckendes Talent, Projekte wie diese immer wieder zu realisieren und aus einer bewährten Stilistik noch immer so viel rauszuholen. Für mich eines seiner besten Alben überhaupt und eine Rückkehr zu voller Größe.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11






ROGER WATERS
The Dark Side of the Moon Redux
Cooking Vinyl

Keine Ahnung ob das nur mein Eindruck ist, aber anscheinend haben sich viele größere Plattformen dazu entschieden, Roger Waters' Dark Side of the Moon gar nicht erst zu besprechen. Das ist vielleicht insofern nachvollziehbar, weil die Platte ja nicht wirklich ein neues Album ist, sollte es aber an der kontroversen Natur des Projektes liegen, fände ich das ziemlich bescheuert. Denn nicht nur beruht die Wut vieler Pink Floyd-Fans und Musiknerds im Allgemeinen auf rein künstlerischen Einwänden, ich finde es auch unfair, der Platte nicht wenigstens eine Chance zu geben. Für mich war das spätestens in dem Moment klar, als Waters vor ein paar Monaten seine neue, radikal veränderte Version von Money präsentierte und deutlich machte, dass wir hier eben keine "Roger's Version" von Dark Side of the Moon bekommen würden, sondern eine von Grund auf veränderte Neufassung. Ganz davon abgesehen, dass der Song weit besser war, als ich erwartet hätte. Nun ist das fertige Album da und viele Fragen, die ich dazu anfangs hatte, beantworten sich langsam von selbst. Vor allem die, welche Bedeutung das Projekt wahrscheinlich im Kontext zum Original einnehmen könnte. Dass es dieses nicht ersetzen würde, war ja von vornherein klar und später auch, dass Waters das gar nicht erst versuchen würde. Stattdessen ist die Platte eher eine Mischung aus Neuaufnahme, gedanklicher Erweiterung und Musikhörspiel geworden, die in Reminszenz zum ursprünglichen Dark Side durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Klar nervt es, dass in the Great Gig in the Sky jetzt keine Claire Torry mehr das Blau vom Himmel schmettert, in On the Run die Musik kaum zu hören ist und generell alles ein bisschen eingepennt wirkt. Es hat aber auch was, diese Schattenversionen der Songs als Hintergrund für Waters zu haben, der über diese mit verrauchter Märchenonkelstimme prosaische Texte und Erzählungen ergänzt. Ein bisschen fühlt sich das an wie ein poetischer Audiokommentar des Originals, der durchaus um seiner selbst Willen interessant ist. Auch wenn manches dabei ein bisschen unnötig edgy und pretenziös rüberkommt. Obwohl Dark Side Redux also auch für mich kein Meisterwerk ist, ist es doch wesentlich spannender und cooler gemacht als so manche Neuinterpretation, die alternde Künstler*innen von ihrem klassischen Material aufnehmen. Und wesentlich weniger schlimm, als das bei jemandem wie Waters zu befürchten war.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11






GLASSER
Crux
One Little Independent

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wenn man bedenkt, dass es zum letzten Mal vor zehn Jahren ein Glasser-Album gab und dieses hier trotz marginalen stilistischen Veränderungen kein Stück altbacken klingt, kann man ziemlich wasserdicht die Argumentation führen, dass Cameron Mesilows Musik eine gewisse Zeitlosigkeit hat. Sicher, die kommt auch dadurch, dass sie gesanglich über weite Strecken hinweg verdächtig nach Björk klingt und deren Songwriting ja ebenfalls abseits von Trenderscheinungen existiert, aber auch der instrumentale Teil der Platte, der klanglich zumindest etwas von diesem Vorbild abweicht, ist fantastisch gemacht. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es gerade die Unterschiede in Instrumentierung und Produktion sind, die dafür sorgen, dass Crux an vielen Stellen cooler klingt als alles, was Björk in letzter Zeit gemacht hat. Ganz abgesehen davon, dass es auch im Katalog von Glasser selbst bis dato kein so aufregendes Album gibt wie dieses. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




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