Sonntag, 15. Oktober 2023

Songs für die Ewigkeit: Kriegsrhetorik

Gorillaz - Dirty HarrySONGS FÜR DIE EWIGKEIT
GORILLAZ
Dirty Harry
aus dem Album Demon Days
Parlophone | 2005
 
 








In der 2008 veröffentlichten Gorillaz-Doku Bananaz gibt es eine Szene, in der sich Damon Albarn vor einem Auftritt der Band mit der Leiterin eines Kinderchors streitet. Besagter Kinderchor, der größtenteils aus afroamerikanischen Jugendlichen aus der New Yorker Innenstadt besteht - soll bei diesem Auftritt den Song Dirty Harry unterstützen, bei dem explizit von Waffengebrauch die Rede ist. Es geht dabei insbesondere um den ersten Textabschnitt des Stücks mit den Worten "I need a gun / to keep myself among / the poor people / who are burning in the sun". Verständlicherweise ein Inhalt, der von einem weißen Musiker geschrieben und von BIPOC-Menschen gesungen eine gewisse Brisanz erzeugt. Und man sieht in diesem Moment auch, wie Albarn kurz mit den Worten ringt und sich letztendlich für ihren Einwand bedankt. Denn um zu verstehen, was in diesem Song passiert, braucht es eben den Kontext dieses Songs und womöglich sogar des gesamten Albums Demon Days. Eines Albums, das in seiner Gesamtheit eine Auseinandersetzung Albarns mit der Welt nach dem Elften September, insbesondere aber des daraus resultierenden Irakkriegs ist. Sicher ist das aufgrund des Naturells von Gorillaz als persönlichkeitsübergreifende Band aus Comicfiguren nicht immer klar und oft taucht es nur sehr abstrakt auf der Platte auf, in Dirty Harry allerdings wird es für fünf Minuten doch mal ganz explizit behandelt. Oder zumindest so explizit, wie es Albarns auf diesem Album sehr metaphernreicher Schreibstil zulässt. Gegenüber der Chorleiterin in der Doku bezeichnet er den Song als "pazifistisch" und als einen "Anti-Kriegs-Song", was mit dem richtigen Wissen Sinn ergibt. Man kann es aber auch wirklich niemandem verübeln, wenn man auf diesen Trichter nicht kommt. Denn ein Fortunate Son oder Holiday ist es beileibe nicht. Mit seiner extrem eingängigen New Wave-Hook, der zackigen Rapstrophe von Bootie Brown und natürlich besagtem Kinderchor klingt es eher wie ein verirrter Partysong, zu dem die immer wieder präsente Line "All I wanna do is dance" auch hervorragend passt. Das einzige, was hier vielleicht entfernt an Irakkrieg erinnert ist das orientalische Streicher-Interlude kurz vor der letzten Strophe, was bei einer Band wie Gorillaz aber auch nichts bedeuten muss. Erst wenn man ein Stückweit in den Inhalt des Songs hervorstößt und dabei auch ein bisschen Wille zur lyrischen Interpretation mitbringt, offenbaren sich die politischen Inhalte plötzlich sehr deutlich. Womit ich ganz besonders die abschließende Strophe von Bootie Brown meine, in der einen die Analogien doch ziemlich anschreien. Da geht es um Bombardements, PTBS, das bereitwillige Opfer von Menschenleben und den Krieg um Öl. Aus der Line "'the war is over' so said the speaker" kann man wahrscheinlich sogar eine Anspielung auf George W. Bush und seine 'Mission Accomplished'-Rede ablesen. Die eingangs erwähnte Waffe ist also keine Anspielung auf Kriminalität oder Stand Your Ground-Debatten, sondern hat effektiv mit politischen Konflikten zu tun. Und in Bezug auf die Zeile, in der es stattfindet, sicherlich auch mit Macht. Das lyrische Ich des Songs ist - zumindest in Albarns Part - das der US-amerikanischen beziehungsweise europäischen Politiker*innen, die meinen, gebenüber den "poor people burning in the sun" ein Exempel statuieren zu müssen. Auf deren Kosten und auf Kosten derer, die sie dafür in den Kampf schicken. Eine Message, mit der Dirty Harry für mich persönlich einer der ganz wenigen richtig starken Songs ist, die sich kritisch mit dem Irakkrieg auseinandersetzen und einer der noch viel selteneren, die eine Opferperspektive außerhalb der Grenzen der ersten Welt einschließen. Das hat zwar auch irgendwie dafür gesorgt, dass er für mich nicht mehr ganz so ein Partykracher ist wie früher, dafür habe ich jetzt aber seinen richtigen Wert als Song mit einer Botschaft erkannt. Und wer Partykracher will, muss auf Demon Days sowieso nur ein paar Songs weiterskippen.



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