Samstag, 7. Oktober 2023

Review: Barry, Blues und Bargeld

Nick Cave & The Bad Seeds - Kicking Against the Pricks
NICK CAVE & THE BAD SEEDS
Kicking Against the Pricks
Mute
1986












[ düster | elegant | nostalgisch ]

Es gibt einen Zeitpunkt in den Achtzigern, an dem aus dem grotesken Postpunker, der Nick Cave zu Anfang der Achtziger bei the Birthday Party war, der finster-elegante Songwriter geworden ist, als den die Welt ihn heute kennt. Und wo viele Fans diesen Punkt am ehesten beim 1988 veröffentlichten Album Tender Prey sehen, ist diese Metamorphose dort vielleicht schon zu abgeschlossen. Es gibt aber für viele andere auch eine Phase vorher, in etwa zwischen the Firstborn is Dead von 1985 und Your Funeral...My Trial ein Jahr später, in der man diesem Sound langsam beim entstehen zuhören kann. Eine Platte wie Kicking Against the Pricks, dass damals schon unter ferner liefen eingeordet wurde und als Coveralbum auch wenig von Cave als Songwriter zeigt, erscheint da trotzdem erstmal als wenig essenziell. Dass sie deshalb uninteressant ist, kann man aber definitiv nicht sagen. Denn geht es um die Ästhetik, die die Bad Seeds zum Ende der Achtziger hin Stück für Stück verfeinern würden, kann man hier ziemlich direkt ablesen, welche Acts aus der Vergangenheit dafür die wesentlichen Einflüsse waren. Und daran, wie die Band sie hier interpretiert, lässt sich auch erkennen, wie sie als Kollektiv funktioniert. Ganz zu schweigen davon, dass man auch hier ein paar echte Highlights aus ihrer Diskografie findet. Wichtig zum Verständnis der Platte ist dabei in meinen Augen vor allem das Line-Up der Bad Seeds zu dieser Zeit, das rückblickend wahrscheinlich als ihr klassischstes bezeichnet werden kann. Dieses Bestand neben Cave selbst damals aus dem Einstürzende Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld, Mick Harvey, Barry Adamson und Thomas Wydler, wobei vor allem Bargeld und Adamson für mich die essenziellen Pole des darauf stattfindenden Sounds darstellen. Auf der einen Seite ein angezeckter Industrial-Pionier, dessen Instrumentarium gewöhnlich aus Baumaschinen und Altmetall bestand, auf der anderen der ehemalige Bassist von Magazine und den Buzzcocks, der später vor allem als Jazzkomponist seinen Weg finden würde. Sie bestimmen hier - natürlich gemeinsam mit dem Hauptakteur selbst - das Verhältnis aus Oldschool-Verehrung und radikaler Abgrenzung davon, das für die Bad Seeds zu dieser Zeit so wichtig ist. So wird aus dem John Lee Hooker-Stück I'm Gonna Kill That Woman hier ein avantgardistisches Noise-Monster, das prinzipiell auch die Neubauten so gemacht hätten und aus Alex Harveys folkig-glamrockigen Hammer Song ein finsterer Slowjam mit Orgelbegleitung. An anderen Stellen wiederum geht Cave ganz in sehr klassischen Interpretationen der Songs auf, die sein Faible für die klangliche Welt der Fünfziger- und Sechzigerjahre zeigen. Sleeping Annaleah und Long Black Veil sind urwüchsige Country-Schinken, By the Time I Get to Phoenix gräbt tief in einer Melancholie, die frühere Versionen von Glen Campbell oder Dean Martin nie hatten und und mit Something's Gotten Hold of My Heart schwimmt er tief im käsigen Sumpf nöliger Standardtanz-Schlager. Daran gemessen, welche Aufwertung viele dieser Songs durch Caves Bearbeitung erfahren, ist es umso bedauerlicher, dass ausgerechnet seine Versionen der Spätsechziger-Klassiker Hey Joe von Jimi Hendrix und All Tomorrow's Parties von the Velvet Underground die weitaus schwächsten Stücke des Albums sind. Beide Songs sind dabei wieder stark auf der Seite flirrender und noisiger Experimental-Arbeit angesiedelt, was irgendwie logisch ist, ihnen aber leider nicht wirklich gut steht. Und da sie beide auch zu den längeren Cuts der Platte gehören, sorgen sie zwischen den jeweils fantastischen Anfangs- und Schlussteilen für einen etwas awkwarden Mittelpart, der den Gesamteindruck des Albums schon irgendwie mindert. Daran, dass Kicking Against the Pricks viele wahnsinnig gute Momente hat, ändert das aber nichts und nachdem die Anfangsphase der Bad Seeds bis 1985 für mich persönlich immer zu ihren schwächeren Perioden gehörte, ist diese LP die erste der Band, die ich als wirklich gelungen bezeichnen würde. Auch wenn spätere Platten das ganze noch durch originelleres Songwriting und weniger Schönheitsfehler ausbauen würden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
Muddy Water | I'm Gonna Kill That Woman | Sleeping Annaleah | Long Black Veil | the Singer | By the Time I Get to Phoenix | the Hammer Song | Something's Gotten Hold of My Heart | Jesus Met the Woman at the Well

Nicht mein Fall
Hey Joe | All Tomorrow's Parties


Hat was von
Marching Church
This World is Not Enough

Patti Smith
Twelve


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