Sonntag, 14. Juli 2024

Die Wochenschau (08.07-14.07.2024): Charli xcx, Pashanim, Wanda, Money Boy, Haiyti und und und...

 




CHARLI XCX
Brat
Atlantic

Der immensen Latenz beim Verfolgen der diesjährigen Releases ist es geschuldet, dass ich an diesem Punkt das gigantische Fan- und Medienecho in die Gedanken einbeziehen muss, die ich zu diesem Album jetzt äußere. Und ja, ich hatte auf jeden Fall auch Bock, über Brat so auszurasten wie anscheinend der Rest der Welt und es als die elementare Pop-Offenbarung zu sehen, zu der es während der vergangenen Wochen gemacht wurde. Schon seit längerem halte schließlich auch ich Charli xcx für eine Künstlerin, die dem aktuellen Mainstream viel gewinnbringende Innovation zu geben hat und Brat ist - soviel kann man inzwischen ganz klar sagen - ihr bisheriges Opus Magnum. Die Erfahrung lehrt mich leider aber auch, dass ich selbst ihre Alben zuletzt immer nicht so klasse fand wie anscheindend der Rest der Welt und auch hier habe ich gewisse Vorbehalte. Dabei empfinde ich Brat auf der einen Seite mal wieder alles in allem als eine ziemlich gelungene Platte, die grundsätzlich das meiste richtig macht und ganz klar den Hype verdient, den es erzeugt hat. Charli zeigt hier das Talent und das Charisma, das sie schon lange hat, auf einem bisherigen Höhepunkt und nach vielen Alben, die aus diversen Gründen nicht das Zeug dazu hatten, das eine große Statement ihrer Karriere zu sein, ist das hier definitiv der Moment, in dem alle Fäden zusammenlaufen. Der Teufel steckt aber im Detail und verhindert es immer wieder, dass ich mich wirklich durchgehend für alles begeistern kann, was hier passiert. Vor allem die Strukturierung der Platte ist mitunter ziemlich seltsam geraten und sorgt unter anderem dafür, dass an sich sehr gelungene emotionale Momente wie Talk Talk oder I Think About It All the Time mit bratzigen Partysongs wie Von Dutch oder 365 clashen und somit große Teile ihrer Wirkung verlieren. Man merkt das auch daran, dass es auf der anderen Seite Momente wie das Doppel aus dem schmerzhaften Sophie-Tribut So I und dem nachdenklichen Girl, So Confusing gibt, in denen es funktioniert, was aber leider die Ausnahme ist. Abgesehen davon gibt es Tracks wie Apple oder Rewind, die ich einfach ein bisschen flach finde und auf der anderen Seite erschreckend wenige, die wirklich über sich selbst hinaus als Hit-Momente wirken. Weshalb ich Brat schlussendlich zwar als äußerst komptentes Album empfinde, mir aber nicht vorstellen kann, es auch in den nächsten Jahren noch regelmäßig zu hören und cool zu finden.

🟢🟢🟢🟢🟢🟢🟢🟢⚫⚫⚫ 08/11





ANN ANNIE
the Wind
Nettwerk

Mehr und mehr wird die Musik von Eli Goldberg aka Ann Annie in den letzten Jahren zu der Sorte Ambientmusik, die ich all jenen empfehlen würde, die sich gerne auf niedrigschwellige Weise mit dem Genre anfreunden würden und besonders für dieses neue (Mini-)Album möchte ich dieses Prädikat nochmal hervorheben. Nicht nur weil auf the Wind kompositorisch jede Menge los ist und Goldberg in ihrem Songwriting einen verhältnismäßig maximalistischen Ansatz fährt, sondern vor allem weil sie dabei immer wieder an Ästhetiken aus Folk, Americana und Jazz andockt, die das ganze sehr griffig machen. Noch mehr als auf ihrem Vorgänger By Morning setzt die Kalifornierin auf organische Instrumentierung und gerade bei Songs wie Silver Creek könnte man den Qualifier Ambient komplett weglassen, wenn dazu vielleicht jemand singen würde. Womit ihre Musik inzwischen eigentlich fast in der gleichen kompositorischen (und nicht selten auch klanglichen) Ebene stattfindet wie die älteren Sachen von jemandem wie William Ryan Fritch. Nur dass ihr Ansatz im Moment vielleicht sogar der erfrischendere ist.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





WANDA
Ende nie
Universal

Als ich vor zwei Jahren über das selbstbetitelte letzte Album von Wanda schrieb, das kurz nach dem tragischen Tod von Keyboarder Christian Hummer erschien, versuchte ich ein Bild von dieser Band als unkaputtbare Einheit zu zeichnen, deren Schneid und Charakter kein noch so tragischer Verlust etwas anhaben können würde und meinte das auch so. Zwei Jahre später macht dessen Nachfolger Ende nie allerdings ziemlich deutlich, dass ich mich damit wohl geirrt habe. Oberflächlich äußert sich das personell, wo sich die Wiener nach Hummers Tod und dem Abgang ihres zweites Drummers Valentin Wegschneider inzwischen als Trio wiederfinden, so richtig deutlich wird es aber in der Musik dieses neuen Albums, die schlichtweg nicht mehr die gleiche ist wie vor zwei Jahren. Vor allem Marco Michael Wandas Texten merkt man an, dass hier schwere Trauerarbeit geleistet wurde, was sich auch in teils expliziten Anspielungen auf Therapie-Kontexte niederschlägt, denen man Läuterung und Nabelschau anhört. Zum ersten Mal hat man das Gefühl, dass das lyrische Ich hier die toxische Lebemann-Attitüde anzweifelt, die von dieser Band lange kultiviert wurde und damit einhergehende Fehler auch ganz offen eingesteht. Und wo das auf persönlicher Ebene lobenswert ist und auf jeden Fall ein paar fragwürdige Moves in der Vergangenheit neu perspektiviert, sorgt es musikalisch nicht auf gleiche Art für Besserung. Zum einen deshalb, weil kompositorisch deutlich weniger Power in den Songs steckt und vieles einfach langweilig klingt, zum anderen deshalb, weil Wanda leider keine Band sind, denen diese Attitüde besonders gut steht. Es ist auf weirde Weise ein bisschen wie Metallicas St. Anger, wo damals James Hetfield plötzlich über Suchtprobleme und schwere Kindheit schreiben wollte, und man diese Entscheidung persönlich irgendwie klasse fand, die Musik dahinter aber nicht zum aushalten war. Wanda sacken hier nicht ganz so schlimm ab und waren zudem schon immer eine Band, die über ihr Innenleben sang, es ist aber trotzdem komisch, wenn ausgerechnet sie in Sie steht nicht auf dich plötzlich zu Frauenverstehern werden oder in Ich hör dir zu gesunde Kommunikation entdecken. Es ist schade das so zu sagen, aber dass die Songs von dieser Band so selbstzerstörerisch, wildromantisch und vielleicht auch ein bisschen chauvinistisch waren, war in der Vergangenheit - zumindest künstlerisch - vielleicht das beste an ihnen. Und wo ich es gut finde, dass sie von diesem Lifestyle anscheinend weggekommen sind, müssen sie jetzt erstmal wieder lernen, darüber auch gute Musik zu schreiben.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠 06/11





MONEY BOY
Der Pimp im Purple Pelzmantel
21 Entertainment

Ich gebe zu, ich habe lange kein ganzes Album mehr von Money Boy gehört und bin ein bisschen raus, was seine gesamtkünstlerische Entwicklung angeht, aber vielleicht ist genau das der Grund, warum ich von Der Pimp im Purple Pelzmantel jetzt so positiv überrascht bin. Denn der halbironische Gimmick-Rapper mit der Billo-Aufmache und den ulkigen Onelinern ist Sebastian Meisinger hier nicht mehr, sondern mehr und mehr ein Musiker, der seine Marke vor langer Zeit perfektioniert hat und sie jetzt immer besser auszuschmücken versteht. Vor allem in den Beats und Features merkt man das hier, die alle sorgfältig handverlesen scheinen und rein musikalisch für eines der kompositorisch frischesten Hiphop-Alben des Jahres sorgen, aber auch der Boy selbst ist lange kein Treppenwitz mehr. Klar, die Themen hier sind die gleichen wie vor zehn Jahren, lyrisch wird es selten und der Anglizismen-Overkill bewegt sich stets an der Grenze des Aushaltbaren, aber das ist eben auch das Erfolgsrezept dieses Typen. Und allein daran gemessen, was in Sachen Flow und textliche Kohärenz in den letzten Jahren passiert ist, muss Money Boy sich vor den "richtigen" Rappern lange nicht mehr verstecken. Wobei dieses Album in erster Linie auch mal wieder zeigt, wie wenig sich Meisingers Ästhetik mit denen in eine Reihe stellt und wie viel er für seine Inspiration weiterhin in die Staaten schaut. Ein bisschen ist er damit musikalisch am nächsten an den Sachen, die dort gerade en vogue sind, aber ich sehe das definitiv als einen der vielen Pluspunkte dieser LP.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11






PASHANIM
2000
Urban

An seinem Mixtape-Debüt Himmel über Berlin im Herbst 2022 hatte ich ja noch kritisiert, dass Pashanim sich mit dem Medium Langformat nicht wirklich wohlfühlte und dies dort zur Folge hatte, das die Platte aus Gesamtergebnis hinter meinen großen Erwartungen zurückblieb. Knapp zwei Jahre später ist es sein erstes richtiges Album draußen und macht die Sache schon ein ganzes Stück besser. 2000 fühlt sich vor allem klanglich kohärenter an und baut über seine gesamte Länge hinweg eine Stimmung auf, die es auch durchweg aufrecht erhalten kann. Dass der Berliner das Problem vollends gelöst hat, würde ich aber trotzdem nicht sagen. Noch immer fühlt sich die Platte trotz 32 Minuten Spieldauer zu lang an, ist ziemlich vorderlastig und macht in zu vielen Tracks noch das gleiche, als das es wirklich Abwechslung geben würde. Auch finde ich, dass es hier leider keinen Song gibt, der an die Qualität von Pashanims ersten Singles vor drei bis vier Jahren wirklich heranreicht. Dabei ist 2000 sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, dass dieser Typ auf voller Länge überzeugen kann, braucht aber nach wie vor Arbeit.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11






MONO
Oath
Pelagic Records

Es ist in meinen Augen inzwischen nicht weniger als sensationell, wie sich die Musik von Mono während der letzten fünf Jahre entwickelt hat und für Postrock-Fans wie mich eine Szene-Größe zurückbrachte, die lange Zeit eigentlich zum Vergessen war. Nachdem die Japaner sich während der gesamten Zwotausendzehner schwer mit der kreativen Entwicklung taten und Platten veröffentlichten, die furchtbar generisch und ereignislos waren, war es 2019 das Album Nowhere Now Here, auf dem plötzlich wieder ein Aufwärtstrend sichtbar war. 2021 folgte diesem mit Pilgrimage of the Soul eine weitere Platte, die ich ihrerzeit schon ziemlich gut fand, mich in den Jahren danach aber weiter auf Trab hielt und peu à peu zu einem echten Grower wurde. 2022 folgte darauf noch ein richtig guter Soundtrack, der die Renaissance von Mono dann eindeutig manifestierte. Umso ärgerlicher ist es also, wie die Band mit Oath jetzt einen kompositorischen U-Turn macht und geradewegs in die schnarchige Klischee-Pampe zurückdriftet, die ich eigentlich überwunden glaubte. Dabei ist hier zwar vieles nicht ganz so schlimm wie damals auf Sachen wie the Last Dawn oder Requiem for Hell und die Qualität der Ideen von Pilgrimage of the Soul wirft noch ihre Schatten, mehr als ein schwaches Abziehbild davon ist Oath aber nicht mehr. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11





HAIYTI
Kings sagen King
Hayati

Mit Ich lach mich tot von 2022 und Junky von 2023 machte Ronja Zschoche zuletzt die beiden meiner Ansicht nach besten Alben ihrer bisherigen Karriere und erfüllte so endlich die Erwartungen, die ich bei ihr bereits seit Mitte der Zwotausendzehner hegte. Kings sagen King ist nun stilistisch ein kleiner Exkurs, in dem die Hamburgerin zwar weiterhin erkennbar ihr Ding macht, dabei aber auch großzügige Einflüsse aus Dancehall, Reggae und Dembo einbezieht. Passend dazu sind dazu Leute wie Jan Delay und Trettmann als Gäste zu hören, daneben aber auch wieder zahlreiche Features von obskureren Künstler*innen, die zum Teil von außerhalb der deutschsprachigen Szene kommen. Und wo ich grundsätzlich der Meinung bin, dass Haiyti so eine Nummer eigentlich gut umsetzen könnte, fällt sie auf Kings sagen King doch leider wieder in ihren Modus vor 2022 zurück, in dem sehr viel überflüssiges und unspannendes auf einem völlig inkohärenten Album landet, das sich nach heißer Nadel und Husch-husch anfühlt. Was insofern halb so wild ist, weil es eigentlich klar war, dass Haiyti früher oder später wieder so arbeiten würde und die beiden starken letzten Platten sich auch eher wie glückliche Zufälle anfühlten, schade finde ich es aber trotzdem.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠 06/11





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