Sonntag, 21. Juli 2024

Die Wochenschau (15.07.-21.07.2024): K.I.Z, Moby, the Decemberists, Ha Vay, Sumac


 

 
 
 
 
 
THE DECEMBERISTS
As It Ever Was, So It Will Be Again
Y.A.B.B.

Dass die Decemberists früher schon mal aufregendere Musik gemacht haben, als es sie in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren von ihnen zu hören gab, wusste ich theoretisch, kannte bisher aber nur den aufpolierten Tralala-Sound ihrer ausgehenden Zwotausendzehner-Phase. Mit ihrem ersten Album im neuen Jahrzehnt kehren sie aber nun mit der waghalsigsten Musik zurück, die ich von ihnen bis jetzt gehört habe, was definitiv eine gute Nachricht ist. Dabei ist der Boho-mäßige Indiefolk der Band aus Portland weiterhin der gleiche wie schon zuletzt und bleibt klanglich sehr gefällig, kompositorisch ist das Album aber weitaus komplexer als die meisten seiner direkten Vorgänger und zieht daraus tatsächlich jede Menge Spannung. Da gibt es Songs wie Oh No, das einen leichten Latin-Kick einbaut, Country-Momente wie in the Black Maria oder den abschließenden 19-minütigen Prog-Batzen Joan in the Garden, der selbst die früheren Longtracks der Band weit in den Schatten stellt, in vielen Momenten sind es aber auch einfach viele gut geschriebene Tracks mit tollen Hooks, die mich beeindrucken. Klar sind dann am Ende auch ein paar nicht so gelungene Stücke wie America Made Me oder Never Satisfied dabei, die nochmal an die jüngere Vergangenheit der Decemberists erinnern, die sind aber definitiv in Unterzahl auf einem Album, das kreativ wieder herrlich neugierig geworden ist. Von den Alben, die ich von dieser Band bisher gehört habe, definitiv das stärkste.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






MOBY
Always Centered at Night
Always Centered at Night

Dass ich die letzten Jahre über nie eines der zahlreichen Alben von Moby näher besprochen habe, liegt nicht daran, dass diese nicht gut gewesen wären. Zwischen den vielen Remix-, Redux- und Reprise-Platten, die zuletzt den Hauptteil seines Kataloges ausmachten, erschienen auch in regelmäßigen Abständen neue Projekte, die in den meisten Fällen zwar nicht viel bahnbrechendes anstellten, aber doch mindestens alle sehr akzeptabel waren (insbesondere das 2018 erschienene Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt, bei dem ich mich im Nachhinein ärgere, nicht darüber geschrieben zu haben). Und dass Always Centered at Night jetzt die Platte ist, bei der ich mein Schweigen breche, hat auch eher damit zu tun, dass Moby hier strukturell ein paar Sachen ändert. Musikalisch behält die LP größtenteils den fluffigen Downtempo-Sound bei, den man von ihm schon seit Ewigkeiten kennt, stellt diesen diesmal aber eher kuratorisch anderen Künstler*innen zur Verfügung, die damit im eigentlichen Rampenlicht stehen. Und weil auch das eine Sache ist, die der New Yorker schon immer gut konnte, geht das Konzept fabelhaft auf. Zu hören sind hier so unterschiedliche Acts wie Serpentwithfeet, Lady Blackbird, Choklate oder Jose James, von denen jede*r die Songs stilistisch in eine andere Richtung zieht. Am Ende ist es aber der bündelnde Sound von Moby selbst, der alles zusammenhält und stimmig macht. Und klar ist er gerade im Downtempo-Bereich auch nicht der Erste, der diese Nummer mit Erfolg ausprobiert, was ja aber nicht heißt, dass sowas nicht immer noch faszinierend sein kann.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






K.I.Z
Görlitzer Park
Und der Anschlag auf die U8
Eklat

Ich war sicher nicht der einzige, der sich die letzten Wochen über Sorgen machte ob der Aussicht, dass K.I.Z mit Görlitzer Park jetzt ein "ernstes Album" aufnehmen wollten, weil dieser Schritt ja nicht weniger bedeuten würde, als dass die Berliner sich so selbst ihrer bis dato vielleicht größten Stärke beraubten. Und wo man grundsätzlich schon sagen kann, dass dies ein Verlust ist, der auch effektiv passiert, ist das neue Album eben auch kein plötzlicher Totalausfall. Es ist offenkundig, dass die drei Rapper sich bei diesem Vorhaben etwas gedacht haben und auf einzelnen Ideen vielleicht sogar schon lange sitzen, weshalb Wesen und Talent in ihrer Musik auch noch da sind, wenn die Pointen weniger spitz formuliert werden. Gerade in Songs wie 2001, Jahrmarkt oder Vierspur, die ein bisschen in die eigene Biografie der drei gehen, merkt man eine völlig neue erzählerische Perspektive der Band, die auf ähnliche Weise interessant ist wie das jüngere Material von Zugezogen Maskulin, die ja zum Schluss eine ähnliche Metamorphose durchmachten. Und wäre es nicht um Formtiefs wie Applaus,
Frieden
oder das für so ein Album eben doch etwas zu klamaukige Geld wie ein Magnet, wäre die Platte auch nicht weniger stark als einige ihrer klassischen Projekte aus den Jahren zuvor. Inhaltlich mehr vom üblichen Schlag sein soll das parallel zu Görlitzer Park veröffentlichte Und der Anschlag auf die U8, mit dem K.I.Z eine inzwischen schon länger gehegte Mixtape-Tradition mit Restmaterial fortführen, auch das ist diesmal aber etwas von der Ästhetik des zugehörigen Hauptwerks getrübt. Zwar finden sich hier die stumpfen One-Liner, BPjM-relevanten Wie-Vergleiche und schlitzohrigen Quatsch-Songs nach wie vor, doch auch die sind insgesamt ruhiger gestaltet. Statt mit der Axt geschnitzter Club-Banger hört man hier ein paar fluffige Jazzrap-Motive, immer mal wieder angeschlagertes Zeug und ganz zum Schluss auch eine kurze Akustikballade, außerdem ist das Material hier inhaltlich variabler. In einigen Fällen ist das toll gemacht, wie bei Europäisches Mädchen oder Wir gehen auf ein Rapkonzert, in anderen wie Bundeswehr oder Usedom bleibt es leider ziemlich eindimensional. Was witzig ist, denn eigentlich hatte ich das U8-Tape als den gewohnt stabilen Backup der Enttäuschung erwartet, die Görlitzer Park in meiner Erwartung garantiert werden würde. Nun ist es fast ein bisschen andersrum. Auf der einen Seite ein überraschend mutiges und gelungenes Hauptalbum, auf der anderen ein okayes, aber alles in allem vernachlässigbares Nebenprodukt.

Görlitzer Park:
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
Und der Anschlag auf die U8:
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11





SUMAC
the Healer
Thrill Jockey
 
Immer wieder denke ich bei einem neuen Album von Sumac, dass sie jetzt vielleicht den Punkt der experimentellen Überreizung erreicht haben, an dem zwischen dem ganzen Dröhnen, Fiepsen und Gegrummel kein kompositorischer Mehrwert mehr übrig bleibt und zumindest die meiste Zeit werde ich am Ende doch eines besseren belehrt. Auch the Healer, ihr inzwischen sechstes Album, ist mit zwei Songs über 25 Minuten, einer grundsätzlichen Drone- und Noise-Ausrichtung und Aaron Turners infernalischem Gebrüll alles andere als ein gefälliges Stück Musik, mal wieder funktionieren aber die auflockernden Parameter, die diese Band schon immer gut konnte: Kleine Postrock-Flächen zwischendurch, immer mal ein deftiges Sludge-Riff und durchweg subtile Strukturbezüge zum Jazz machen the Healer zu einer weiteren abenteuerlichen Platte, die mir trotz aller Kunstigkeit und Lärmigkeit absolut zusagt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






HA VAY
Baby I'm the Wolf
Die-Ai-Wei

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ich habe vor kurzem schon in meinem Text zum neuen Bat for Lashes-Album darüber geschrieben, dass in letzter Zeit irgendwo in den Indie-Kreisen dieser Welt ein paar Platten wie die aktuellen von the Last Dinner Party und Birdy aufgetaucht sind, bei denen es mich in den Fingern juckt, sie stilistisch in einen Topf zu werfen und als neue Art- oder sogar Barockpop-Bewegung zu branden. Und in meiner Ahnung erneut bestätigt werde ich nun dadurch, dass es mit Ha Vay eine weitere junge Künstlerin gibt, die ziemlich gut in dieses Muster passt und gerade ihr Debütalbum vorlegt. Auch sie scheint auf eine etwas mondäne Ästhetik mit operettenhaftem Pomp zu stehen, der sich musikalisch mit einem sehr theatralischen Indierock paart, keine Angst vor großen Hooks und viel instrumentalem Nippes hat. Baby I'm the Wolf merkt man dabei kaum an, dass es das erste Album einer noch relativ unbekannten Künstlerin ist und mit Songs wie Vampires, Pretty Baby, Ophelia und dem Titeltrack schreibt sie gleich mehrere Stücke, die ihr musikalisches Konzept richtig gut verkaufen. Um wirklich begeistert zu sein, fehlt mir am Ende noch ein bisschen der Nachdruck in der Performance, eine der größeren Entdeckungen meiner bisherigen Saison ist Ha Vay aber auf jeden Fall schonmal.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




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