Montag, 15. Juli 2024

Review: Oh Schöne Schwermut

FRANÇOISE HARDY
Françoise Hardy (L'Amitié)
Vogue
1965












 
 
 
[ romantisch | mädchenhaft | poetisch ]

Mit Françoise Hardy verstarb vor wenigen Wochen eine Künstlerin, die nicht nur zweifelsfrei als eine Ikone und Legende der französischen Pop-Landschaft bezeichnet werden kann, sondern die zeitweise nicht weniger als dessen unmittelbares Gewissen gewesen sein könnte. Zumindestens wenn man sich ihre "klassische Periode" Mitte der Sechziger bis Anfang der Siebziger ansieht, war sie für die Wahrnehmung der Populärkultur in Frankreich die Art Revolutionärin, die es zu dieser Zeit in so vielen Varianten überall auf dem Globus gab. Sie war eine Songwriterin, die selbst ihre Musik schrieb (damals vor allem bei Frauen noch äußerst ungewöhnlich) und sehr jung zu ersten Erfolgen kam, gerade diese ersten Durchbrüche aber auch schaffte, weil sie einen bestimmten Zeitgeist einfing, der sich in der europäischen Nachkriegsjugend manifestierte. Am bekanntesten sind in dieser Hinsicht bis heute sicherlich ihre legendären ersten Singles Le Temps De L'Amour und Tous Les Garçons et les Filles, mit denen sie 1962 als Teenagerin durchstartete, über die möchte ich an dieser Stelle aber nicht sprechen. Denn von den Platten, die ich stand jetzt von ihr gehört habe, hat sie mich mit einer anderen erst wirklich überzeugt: Ihr fünftes Album L'Amitié von 1965. Ich sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass ich mit dem ganz frühen Output von Hardy, den ich die letzten Jahre über mehr oder weniger ausgiebig studiert habe, bis heute nicht so richtig warm geworden bin. Ich halte ja an sich große Stücke auf viele Sachen, die zu Beginn der Sechziger im französischen Pop passierten, bevorzuge dabei aber entweder den richtig poppigen Yé-Yé-Bubblegum-Pop von Leuten wie France Gall oder chansonhaftere Sachen von Serge Gainsbourg, Jane Birkin, Jacques Brel oder manchmal auch Charles Aznavour. Hardy mit ihrem folkigen, rock'n'rolligen Stil der Anfangsjahre ist mir da fast schon zu amerikanisch. Und obwohl L'Amitié (eine Art halbkanonischer Titel, da fast alle ihre Alben aus dieser Zeit eigentlich titellos sind und Fans sich später, ähnlich wie bei Peter Gabriel, Titel zur Einordnung ausdachten) in dieser Hinsicht eigentlich nicht viel anders macht, stellt er doch einen Sweet Spot dar, auf dem das Talent dieser Künstlerin ungehindert nach außen strahlt. Die zwölf Tracks der Platte sind eine Mischung aus Hardys Eigenkompositionen und ins Französische übertragenen Coverversionen englischsprachiger Originale, unter anderem von Patsy Cline und Samantha Jones. Die musikalische Kombination ist somit einigermaßen vielschichtig und geht über fetzigen Soul-Schlager (Ce N'est Pas Un Rêve) über rockige Nummern (Dis-Lui-Non) und balladige Momente (Il Se Fait Tard) bishin zu quirligen Barockpop-Songs (Ce Petit Coeur) in mehr als eine Richtung. Man kann dabei durchaus den Versuch erkennen, Hardy als Teil der damals grassierenden Yé-Yé-Bewegung zu verkaufen und rein stilistisch würde ich L'Amitié auch in den Trend einordnen, ein lächelnder Teeniestar wie beispielsweise France Gall ist Hardy aber zu keinem Zeitpunkt. Denn selbst in diesen aufgedonnerten Schalala-Pop-Nummern schwingt bei ihren Bearbeitungen und Performances stets jene ihr eigene Melancholie mit, die einfach das gewisse Etwas ihres musikalischen Charakters ausmacht. Gerade deshalb sind meine Lieblingssongs des Albums auch eher fetzige Nummern wie Dis-Lui Non oder Ce Petit Coeur, weil sie durch den Gesang fast ein bisschen in ihrer adoleszenten Sorglosigkeit gebrochen werden. Und die einzigen Songs, bei denen dieser doppelte Boden nicht funktioniert, sind entweder glatte Balladen wie Il Se Fait Tard oder Tracks wie C'est Ne Pas Un Rêve, bei dem der dicke Orchester-Schmand am Ende doch knapp gewinnt. L'Amitié ist damit eines dieser Alben aus den mittleren Sechzigern, auf denen versucht wird, eine spätere Legende als junge Künstlerin in vorgefertigte Pop-Korsagen zu spannen, diese aber schlichtweg durch Charaktergröße und musikalisches Charisma daraus ausbricht. Und L'Amitié ist auch nicht das erste Mal, dass ich sowas ziemlich faszinierend finde. Und wo es deshalb irgendwie logisch ist, dass diese LP vielleicht nicht direkt zu Hardys Klassikern aus ihrer prägenden zählt, ist sie vielleicht gerade dadurch meine Lieblingsplatte von ihr. Zumindest von meinem jetzigen Horizont aus.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
Ce Petit Coeur | Il Se Fait Tard | L'Amitié | En L'Attendant | Quel Mal Y A-T-Il à Ça | Les Temps de Souvenir | Dis-Lui Non

Nicht mein Fall
Tout Ce Qu'on Dit


Hat was von
France Gall
France Gall

Jane Birkin & Serge Gainsbourg
Jane Birkin & Serge Gainsbourg


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen