Sonntag, 23. Juni 2024

Die Wochenschau (17.06.-23.06.2024): Billie Eilish, Shellac, Kerry King, Beth Gibbons und und und...

 




IGLOOGHOST
Tidal Memory Exo
LuckyMe

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Es ist ein bisschen komisch, jetzt in einer Welt zu leben, in der Iglooghost anscheinend ein ganz normaler Musiker ist, der alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht und auch ansonsten ein mehr oder weniger normales Release-Verhalten an den Tag legt. Und klar ist es irgendwie auch schön, sein Talent als Komponist und Produzent jetzt öfter mal besser komprimiert zu hören (zumal er ja mit der letzten Platte Lei Line Eon von 2021 zeigte, dass er das Format Album strukturell richtig gut ausdeuten kann), es macht seinen Output aber auch irgendwie gewöhnlich. Gerade in Hinblick darauf, dass die Art von glitchigem Elektropop, den er Mitte der Zwotausendzehner erstmals kultivierte, mittlerweile allgemein ziemlich en vogue ist und er das Zeug jetzt auch selbst schon eine Weile macht, ist das Material auf Tidal Memory Exo nichts mehr, weswegen man komplett im Dreieck springt und ist zudem konzeptuell nicht mehr so vertrackt wie seine frühen Sachen. Ich meine das alles aber im besten Sinne, da es eben trotzdem bedeutet, dass man sich bei seinen Platten inzwischen ziemlich auf eine gewisse Qualität verlassen kann und er seinen Stil gefunden hat und Tidal Memory Exo zwar ein Album ohne riesige Highlights ist, aber eben auch ein durchweg richtig gutes. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





MARINA SATTI
P.O.P.
Golden Records | Minos | Universal

Viele Künstler*innen, die beim Eurovision Song Contest teilnehmen, veröffentlichen in dessen unmittelbaren Nachgang neue Singles, Alben und EPs, was ja rein aufmerksamkeitsökunomisch total sinnvoll ist. Dabei muss man aber ganz klar sagen, dass die meisten dieser Produktionen eher klar machen, dass der ESC-Song der war, in den die größte Aufmerksamkeit geflossen ist und die Luft daneben schnell dünn wird. Nicht so bei Marina Satti, der diesjährigen Kandidatin für Griechenland, die beim Wettbewerb im Mai nicht nur eine der progressivsten Performances zum Besten gab, sondern noch in der selben Woche eine Folge-EP veröffentlichte, die diese tatsächlich in den Schatten zu stellen mochte. Der ESC-Song Zari ist auf P.O.P. auch nochmal dabei, von allen Tracks allerdings das mit Abstand konservativste Stück Musik, während das meiste drumherum gängigen Pop-Trends konsequent vorauseilt. Marschrichtung ist dabei bratziger Neoperreo, der aber auch mal nach der kuschligeren Version von Omar Souleyman, Musical-Breaks aus Bollywood-Filmen oder wilden Soundcollagen klingt. Nicht zu vergessen die starken agäischen Folk-Einflüsse, die Satti auf mehr als eine Art zu einer Art griechischen Rosalía machen. Und das beste daran: Mit 27 Minuten Spielzeit geht P.O.P. strukturell eigentlich als Album durch.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





BETH GIBBONS
Lives Outgrown
Domino

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Lives Outgrown ist eines dieser Alben, von denen man nicht so richtig glaubte, dass sie irgendwann nochmal passieren würden, aber die, wenn man es recht bedenkt, auch gut in das geduldige Zeitgefühl dieser Künstlerin passen: 16 Jahre nach dem bisher letzten Studioalbum von Portishead und über zwei Jahrzehnte nach einem wenig beachteten ersten Solo-Ausflug mit Rustin Man ist das hier das offizielle "Debüt" von Beth Gibbons, das die Britin nur wenige Monate vor ihrem sechzigsten Geburtstag veröffentlicht. Und obwohl man darauf schon irgendwie merkt, dass sie ein wichtiger Teil der Faszination war und ist, die eine Band wie Portishead ausmacht, ist es nur logisch, dass Lives Outgrown davon quasi völlig losgelöst funktioniert. Was man hier hört, ist eher melancholische Folk-Musik mit orchestralen Touches und jeder Menge ausgefallener Instrumentierung, die vor allem durch ihre durchweg geniale Produktion auffällt. Das ist an vielen Stellen echt gelungen und das songwriterische Talent von Gibbons ist offenkundig, ein bisschen seicht und gefällig ist es aber auch. Lives Outgrown ist also vielleicht ein bisschen Beth Gibbons für ein gesetztes Kulturradio-Publikum, was in diesem Fall aber zum Glück nicht heißt, dass es ein belangloses Album ist.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






SHELLAC
To All Trains
Touch & Go

Es wäre ohnehin nicht im Stil eines Steve Albini gewesen, wenn das (wahrscheinlich) letzte Album, das er zu Lebzeiten aufnahm, ein gigantisches Statement gewesen wäre und auch die Tatsache, dass To All Trains die erste LP von Shellac seit zehn Jahren ist, ändert nichts an ihrer pragmatischen Nüchternheit. 28 Minuten ist das Ding lang, 10 Songs sind darauf zu hören und keiner davon hat den Anspruch irgendetwas weltbewegendes zu sein. Das ist kein wirkliches Drama, es ist aber auch alles andere als eine ruhmreiche Rückkehr der Band, über die man sonst womöglich nur leicht enttäuscht mit den Schultern gezuckt hätte. Mit dem Fakt allerdings, dass zwischen Ankündigung und Release der Platte das wichtigste Mitglied von Shellac verstarb, hat sie plötzlich zwangsläufig diese spezielle Bedeutung und macht dabei in meinen Augen leider keine besonders gute Figur. Denn obwohl die meisten Songs hier nicht weniger kompetent gemacht sind als die älteren Sachen dieser Band, gibt es eben doch ein paar echte Füller-Songs und Momente wie Chick New Wave, die ein bisschen dämlich sind. Und was die Produktion angeht, muss man leider auch sagen, dass To All Trains leider eher ein Album ist, das die Schwächen in Albinis Arbeit offenbart: trocken, hölzern, flach und manchmal auch ein bisschen schludrig. Wer nach dem Ableben dieses großen Künstlers also in dessen Katalog eintauchen will, ist mit dieser Platte eher schlecht beraten. Ein Glück also, dass ich genau zu diesem Thema vor kurzer Zeit eine Review verfasst habe, die in meinen Augen einen wesentlich stärkeren Einstieg vermittelt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11






BILLIE EILISH
Hit Me Hard and Soft
Darkroom | Interscope

 
 
 
 
 
 
 
 
Sorry dass ich es so deutlich sagen muss, aber seit ihrem Debüt vor fünf Jahren hat Billie Eilish in meinen Augen komplett aufgehört, interessante Musik zu machen. Das ist tragisch, denn mit besagtem ersten Album positionierte sich die Kalifornierin quasi aus dem Stand heraus als einer der spannendsten großen Popstars der Gegenwart und machte wirklich etwas neu und anders, nur um zwei Jahre später mit dessen Nachfolger in ein schlurfiges Jammer-Lamento abbzudriften, das seither ihren Output gänzlich dominiert. Nicht, dass ihre Songs inhaltlich uninteressant wären, aber für meine Begriffe entschuldigt das eben nicht die furchtbar schnarchige Kompositorik, in die sie diese einbettet und vor allem die Produktion, die für mich der tragischste Faktor an dieser LP ist. Finneas' klangliche Ausgestaltung der Songs auf dem Debüt war für mich ganz klar dessen bemerkenswerteste Eigenschaft und es ist schlichtweg schockierend, wie uninspiriert und dröge seine Arbeit seitdem geworden ist. Es ist schon ein ziemliches Armutszeugnis, wenn Songs wie das gemächliche Lunch oder das vorsichtig elektronische Outro von L'Amour de Ma Vie die energischsten Momente auf diesem Album sind und es unter den vielen balladesken Tracks nicht mal welche von der Sorte When the Party's Over gibt, die kompositorisch irgendwie Tiefe zeigen. Musik wie diese machen normalerweise eher alternde Popstars mit Anfang Vierzig, die nicht wissen, wie man emotional Reife Songs schreibt und nicht eine aufblühende Künstlerin, deren Karriere eigentlich erst angefangen hat. Wo wo ich beim dritten Album also eigentlich echt gehofft hatte, dass Eilish die Kurve kriegt und wieder etwas kreativer wird, schafft sie auf Hit Me Hard and Soft eher die weitere Vertiefung einer Ästhetik, der es eklatant an Frische und Charakter fehlt.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11






KERRY KING
From Hell I Rise
Reigning Phoenix

Es ist schon ein bisschen erstaunlich, dass ein Typ wie Kerry King im Wettbewerb um den Titel des unsympathischsten (Ex?-)Slayer-Mitglieds Leute wie Jeff Hannemann (hatte zeitlebens einen fragwürdigen Hang zu Nazi-Memorabilien) und Tom Araya (kriecht seit Jahren Donald Trump in den Arsch) als Mitstreiter hat und es trotzdem manchmal so aussieht, als hätte er die Nase vorn. Gerade in diesem Jahr wurde dies mit seinem eigenartigen Verhalten rund um die Ankündigung seines ersten Soloalbums und die jetzt doch irgendwie stattfindende Reunion von Slayer nochmal deutlich, nachdem er zunächst kein gutes Haar an sämtlichen Bandmitgliedern ließ, dann aber neue gemeinsame Konzerttermine verkündete, als wäre nichts gewesen. Sein Debütalbum From Hell I Rise sollte in diesem Tornado von miesem Charakter dann eigentlich das sprichwörtliche Easy Target sein, das als zynische Fan-Verarsche die Falschheit der ganzen Aktion entlarvt, leider fuktioniert die Welt aber nicht auf diese Weise. Denn im Gegensatz zu dieser Annahme zeigt sich King hier songwriterisch entfesselt und nimmt ein Album auf, das es musikalisch durchaus würdig gewesen wäre, das ideelle Erbe seiner Band anzutreten. Da ist es auch geschenkt, dass er kompositorisch das Rad nicht neu erfindet und als Texter nicht über die üblichen Plattitüden herauskommt, denn nach fast zehn Jahren ohne neues Material von Slayer bin ich für den üblichen Stiefel mehr als empfänglich. Und falls es nun tatsächlich zur Reunion und vielleicht sogar zu einem neuen Album mit Band kommen sollte, müssen die erstmal auf dieses Niveau kommen.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11
 
 



ONE STEP CLOSER
All You Embrace
Run For Cover

Vielleicht finde ich das zweite Album von One Step Closer ja nur so gut, weil es in mir irgendwie eine Nostalgie für die Zeit triggert, in denen Title Fight ihre besten Platten machten, vielleicht würde das aber auch das songwriterische Talent dieser Band unter den Scheffel stellen. Denn All You Embrace ist ein überaus kompetent gemachtes Melodic Hardcore-Album mit deutlichen Emorock-Bezügen und damit vielleicht etwas klischeebehaftet, was aber absolut kein Problem darstellt. Zu stark ist einfach das Gespür der Band für Dynamiken und Hooks, als dass man ihre Songs irgendwie als billigen Kopismus abtun würde. Viel eher würde ich vorsichtig behaupten, dass hier vielleicht ein aufgehender Stern am Hardcore-Firmament zu hören ist.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11









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