Sonntag, 16. Juni 2024

Die Wochenschau (10.06.-16.06.2024): Ghostface Killah, Gunna, Kings of Leon, Incubus und und und...


 
 
 
 
 
 
KINGS OF LEON
Can We Please Have Fun
Capitol

 
 
 
 
 
 
 
 
Ich hatte mich nach dem Release der tollen Leadsingle Mustang ja schon gefreut, dass es für das neue Album der Kings of Leon nach Jahren, in denen ich mich fast ein bisschen wie ihr letzter Fan auf Erden fühlte, mal wieder ein etwas größeres Medienecho um diese Band gab, das in meinen Augen auch absolut gerechtfertigt war. Der Song hatte eine rauhbeinige Energie, die ihre Musik schon lange nicht mehr hatte und außerdem eine erfrischende Schrägheit, die man selbst in der Frühphase der Band nur ganz vereinzelt finden konnte. Meine Erwartungen für Can We Please Have Fun gingen also schon irgendwie in die Richtung eines abenteuerlichen neuen Albums, das nach den zwar tollen, aber auch sehr betulichen letzten zwei Platten durchaus cool gewesen wäre. Leider führte Mustang aber ein bisschen auf die falsche Fährte, denn nicht nur bleibt das Songwriting der Kings of Leon auf den meisten Songs hier weiter verhalten, Can We Please Have Fun ist auch das erste der Band, das ich wirklich als ein bisschen langweilig bezeichnen würde. Nachdem Sachen wie Walls oder der Vorgänger When You See Yourself von 2021 subtile und nachdenkliche LPs waren, die auf den ersten Blick etwas öde waren, auf den zweiten aber vier gereifte und selbstsichere Musiker zeigten, ist hier nun tatsächlich etwas die Luft raus. Das Ergebnis ist ein Album, das größtenteils aus Füllertracks besteht und in einer bitteren Ironie die titelgebende Frage beantwortet: Nein, anscheinend nicht hier.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠 06/11





A.G. COOK
Britpop
New Alias

Parallel zur Abwicklung seines alten und stilprägenden Labels PC Music veröffentlicht A.G. Cook 2024 auch ein weiteres Soloalbum, das technisch gesehen und je nach zählweise sein drittes beziehungsweise fünftes ist. Klanglich und strukturell ist es aber ganz eindeutig der ideelle Nachfolger des 2020 veröffentlichten 7G, das eher eine Art umfassendes Werkschau-Projekt mit Ideen und Skizzen war, das als siebenteiliger Song-Zyklus erschien. Im Vergleich zu dessen knappen drei Stunden Spielzeit ist Britpop mit ganz knapp über 100 Minuten aber nicht nur in seinen Dimensionen bekömmlicher, sondern in meinen Augen auch das mit Abstand bessere Album. Denn obwohl der Charakter einer Ideensammlung auch diesem Release anhaftet und man sich ob der Staffelung der Tracks ein bisschen an frühe Platten von Aphex Twin erinnert fühlt, ist vieles hier deutlich runder und nicht so skizzenhaft wie zuvor oft. Gerade der Titelsong ist mit seiner Jingle-artigen Hook hätte als Interlude auch auf einer LP von Charli XCX Platz gefunden und Songs wie Pink Mask, Crescent Sun oder Heartache sind mehr Song als fast alles auf 7G. Ein bisschen indifferent bin ich noch gegenüber den gelegentlichen Akustikgitarren-Anflügen von Cook, die es hier wieder gibt, auch die sind aber maximal etwas füllerig und strapazieren im hinteren Teil der Platte, wenn man schon über eine Stunde Musik hinter sich hat, eher ein bisschen die Geduld, als wirklich zu nerven. Man muss also anerkennen, dass Britpop für die Art seiner Strukturierung und Komposition, mit der A.G. Cook es sich weiß Gott nicht leicht macht, das beste an Material herausholt. Und so sehr der Brite nach wie vor jemand ist, der dem Format Album gegenüber allergisch scheint, so sehr ist das hier sein bisher stärkstes Gesamtwerk als Solokünstler.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





GUNNA
One of Wun
Young Stoner Life

Die eine Sache, die ich an Gunna in den vergangenen paar Jahren am meisten mochte und die sich während dieser Zeit auch in einigen überraschend genialen Platten aus seiner Feder äußerte, war ja seine schamlose Campigkeit und die fehlende Scheu davor, sich vor der Rap-Community auch mal so richtig zum Obst zu machen. Sicher, viele fanden den Output von ihm während seiner gesamten Karriere auch eher albern, wenigstens fiel er damit aber auf. Und das in meinen Augen zumindest musikalisch häufiger positiv als negativ. Und nachdem es letztes Jahr anscheinend das dröge und ziemlich ungelenke A Gift & A Curse brauchte, um seine Gedanken über den unsäglichen Young Stoner Life-Prozess, bei dem er als Kronzeuge gegen das Label aussagte, aus dem System zu kriegen, hatte ich gehofft, dass er auf One of Wun verrichteter Erklärungsnot zu seinem üblichen Modus Operandi zurückkehrt. Und ein bisschen findet dieser hier tatsächlich statt und äußert sich zumindest in einigen wieder sehr unfreiwillig komischen Lines wie "Lion in the field, I ain't no mice" oder "suck the nut out the pee hole". Im Rahmen des grundsätzlich eher seriös anberaumten Sounds der Platte wirkt das aber oftmal eher dämlich als auf lustige Weise campy und verheddert sich mit gewichtigen Aussagen, die Gunna an manchen Ecken plötzlich machen will. Allem anschein nach hat der Denkprozess auf A Gift & A Curse ihm den Floh ins Ohr gesetzt, dass er jetzt reifere und intelligentere Musik machen sollte, was gleich aus mehreren Grunden eine ganz schön blöde Idee ist. Einerseits deshalb, weil er damit klangästhetisch im Einheitsbrei der soften Trap-Sounds untergeht, den er vorher immer so geschickt umschiffte, zweitens deshalb, weil er eine solche Tragweite - haben wir auf dem Vorgänger ja gesehen - lyrisch einfach nicht ownt und plump gesagt zu untalentiert als Texter ist, um diese Inhalte zu stämmen. One of Wun ist dabei zwar insgesamt okay-er als A Gift & A Curse und thematisch nicht ganz so heulsusig, schönreden kann man damit aber nichts. Gunna hat sein größtes Talent als Musiker und Performer hier bewusst an den Nagel gehängt und das merkt man ziemlich deutlich. Hoffentlich findet er irgendwann nochmal zurück dazu.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠 06/11






INCUBUS
Morning View XXIII
Virgin

In meiner ausführlichen Besprechung zur Originalversion von Morning View habe ich ja vor einigen Monaten schon dazu Stellung genommen, warum dieses Album für mich ein sehr besonderes ist und warum es wie bisher keine andere Platte dafür gesorgt hat, dass ich mich für nostalgische Rerecordings dieser Sorte interessiere. Eine kleine Weile später bin ich nun sehr froh zu verkünden, dass Morning View XXIII so ziemlich alle meine hohen Erwartungen erfüllt hat und für mich persönlich sogar noch ein klitzekleines Upgrade zum Original ist. So ist es schnell vergessen, dass Brandon Boyd gesanglich nicht mehr jede geschmetterte Note von 2001 mit so viel Nachdruck singt (obwohl seine Performance hier absolut stabil ist) und das Album öffnet einem die Ohren für die vielen kleinen Verbesserungen, die es hier und da vornimmt. In erster Linie fällt da der rundum durchgepustete Sound auf, der so viel klarer und organischer ist als auf dem Original und bei dem man so viel mehr Details hört. Nicht nur in den Instrumenten, sondern vor allem in Boyds Texten, die diesmal viel mehr im Mittelpunkt stehen. Ab und zu ändert die Band dann auch mal ein Riff, fügt Backing Vocals von Neu-Mitglied Nicole Row ein oder schreibt wie in Nice to Know You ein komplett neues Intro, bleibt dabei aber bei Details und fokussiert sich so eher auf die klanglichen Aspekte der Neuaufnahmen. Auch cool finde ich, dass es dazu dann eben nicht noch ein Add-On mit einem halben Dutzend Bonustracks gibt, sondern lediglich die 13 Originaltracks. Womit Morning View XXIII zwar auf jeden Fall eher Fanservice für wirklich eiserne Anhänger*innen ist, zu denen zähle ich mich aber mittlerweile durchaus dazu.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





GHOSTFACE KILLAH
Set the Tone (Guns & Roses)
Mass Appeal

Nach fünf Jahren ohne richtiges Soloalbum und sogar fast einer ganzen Dekade ohne einem unter dem Namen Ghostface Killah fühlt sich Set the Tone nur deshalb nicht nach dem großen Comeback des New Yorkers an, weil irgendwie niemand darüber redet. Was schade ist, denn in meinen Augen macht der Rapper hier eine der besten Platten, die ich überhaupt je von ihm gehört habe und die zeigt, wie vielseitig er als Künstler ist. Zwar könnten einige die Querschläger in Richtung Dancehall (Champion Sound), Reggaetón (Shots) und vor allem R'n'B (quasi die komplette zweite Hälfte des Albums) einige seiner Oldschool-Fans abschrecken und auf jeden Fall ist Set the Tone eines seiner kommerziellsten Projekte, in meinen Augen verleiht er aber all diesen musikalischen Exkursen seinen eigenen Stempel, ohne sich dabei selbst zu sehr anzubiedern. Wer Ghostface einfach nur als guten Rapper und Erzähler schätzt, kommt hier definitiv auf seine Kosten und klassische Hiphop-Nostalgiemomente gibt es vor allem im ersten Drittel des Albums trotzdem mehr als genug. Das einzige was ich richtig dumm finde ist am Ende der Song No Face, der musikalisch und lyrisch zwar einer der besten der LP ist, dies aber vor allem einem Produktions- und Strophencredit von Kanye West verdankt, den man 2024 halt nicht mehr unproblematisch featuren kann. 

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





KNOCKED LOOSE
You Won't Go Before You're Supposed To
Pure Noise Records

Schon seit Mitte der Zwotausendzehner gelten Knocked Loose für die Szene-Nerds als eine der erfrischenderen Bands im Bereich des modernen Metalcore und mit ihrem dritten Album You Won't Go Before You're Supposed To sieht es so aus, als hätten sie ihr bisheriges Maßstabswerk vorgelegt. Thematisch setzt sich die LP an vielen Stellen kritisch mit organisierter Religion auseinander und geht dabei emotional auch echt an die Substanz, musikalisch ist sie passend dazu voller proggiger Hakenschläge, messerscharfer Riff- und Schlagzeug-Gewitter und schneidenden Performances von Sänger Bryan Garris. Nicht zu verachten ist auch die Produktion von Drew Fulk, die aus allen diesen Elementen das Maximum an Lärm herausholt und trotzdem dafür sorgt, dass alles nicht zu monoton wird. Womit You Won't Go in vielen Punkten ein Metalcore-Album ist, dem selbst Skeptiker*innen dieser Stilrichtung einiges abgewinnen könnten und das der dem Genre oft vorgeworfenen Stumpfheit eine ernsthaft intelligente Platte mit großen Ambitionen entgegensetzt. Vorausgesetzt man hat kein Problem damit, wenn es lauter wird.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen