Sonntag, 19. November 2023

Die Wochenschau (13.11.-19.11.2023): The Rolling Stones, Conny Ochs, Earl Sweatshirt & the Alchemist, Haiyti, Sampha, the Streets, Myrkur


 
 
 
 
 
The Streets - The Darker the Shadow the Brighter the Light
THE STREETS
the Darker the Shadow the Brighter the Light
Warner
 
So richtig hat mich Mike Skinner auch mit dem zweiten Album nach seinem Comeback noch nicht und die vielen Teile, die er hier mit seinem nachdenklich-melancholisch gewordenen Spoken-Word-Rap verbaut, passen hier nach wie vor nicht immer ganz zusammen. Trotzdem wirkt the Darker the Shadow... zumindest im Vergleich zu seinem Vorgänger von 2020 wie das bewusstere und besser strukturierte Album. Das liegt zu einen daran, dass Skinner selbst diesmal mehr im Zentrum seiner Songs steht und nicht alles bis hinten gegen mit Features zugepappt ist, zum anderen fügen sich die Momente wie Something to Hide oder Troubled Waters, in denen er doch experimentiert, besser in das Gesamtgeschehen ein. Womit zumindest in einzelnen Tracks die magische Symbiose aus Musik und Message klappt, die diesen Typen im Optimalfall zu jemadem macht, der einem direkt aus der Seele spricht. Und dass er das nach wie vor sein kann, ist vielleicht die beste Nachricht, die dieses Album mir mitzugeben hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11


 
 
 
The Rolling Stones - Hackney Diamonds THE ROLLING STONES
Hackney Diamonds
Polydor

Ich hatte es nicht für unmöglich gehalten, dass die Rolling Stones im 61. Jahr ihres Bandbestehens und fast zwei Jahrzehnte nach ihrem letzten richtigen Album nochmal eine überzeugende Platte hinbekommen, denn neben gehörig Stamina, das ich in ihrem Alter gerne mal hätte, besitzt diese Band auch 2023 noch ein beneidenswerte musikalische Neugier. Und tolle Elemente gibt es hier durchaus so einige. So mag ich die bluesig-soulige Ausrichting der meisten Stücke, die tatsächlich relativ erfolgreich die Brücke zu ihren ersten Platten Mitte der Sechziger schlagen und in denen vor allem Keith Richards nochmal zeigt, dass er zu Recht als einer der ganz Großen gilt. Nach über einem halben Jahrhundert noch so arschcoole Riffs rauszuhauen wie in Whole Wild World oder Angry, ist bemerkenswert. Und würde der Rest der Band mitziehen, wären diese Songs echte Banger. Leider sind seine Kollegen in den meisten Fällen aber eher mäßig überzeugend bis effektiv peinlich unterwegs und besonders Mick Jagger ist mir durchweg zu theatralisch und berufsjugendlich, als das ich es mit altersbedingter Färbung abtun könnte. Auf eine weirde Weise ist Hackney Diamonds damit gleichzeitig das beste und das schlimmste, was einem Stones-Album im Jahr 2023 passieren konnte und damit wahrscheinlich eine relativ gute Schnittmenge dessen, wozu die Band in dieser Kapazität fähig ist. Wenn es nach diesem aber nicht nochmal eins gibt, kann man zumindest beruhigt sagen, dass die Rolling Stones so aufhören, wie sie angefangen haben: Im Blues verwurzelt und irgendwie ehrlich, aber auch ein bisschen überkanditelter und lasziver, als es ihnen gut tun würde.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11




Sampha - LahaiSAMPHA
Lahai
Young


Sampha ist einer dieser kunstigen R'n'B-Typen, die ich schon seit einer Weile mit einem gewissen Argwohn betrachte und obwohl ich sein Debüt Process 2017 recht positiv besprach, legte sich meine Begeisterung dafür doch sehr schnell. Folglich war der Brite auch niemand, dessen Input ich in den inzwischen fast sieben Jahren ohne neuen Longplayer sehnlich vermisste oder an den ich besonders viel dachte. Dass sein zweites Album Lahai gelungen ist, muss ich aber trotzdem zugeben. Nicht nur ist es in sich kohärent, hat eine Menge kreativer Songwriting-Ideen und findet genau die richtige Balance aus Abwechslung und stimmigem Flow, vor allem muss es nicht viel am Konzept des Vorgängers ändern, um immer noch up to date zu klingen. Das reicht am Ende zwar auch nicht dafür, dass ich hier völlig aus den Socken falle und in Begeisterungsstürme ausbreche, es stillt aber meinen Argwohn gegenüber Sampha und gibt mir den Glauben, dass diese Platte ein bisschen besser altern wird als das Debüt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





Myrkur - SpineMYRKUR
Spine
Relapse Records

Amalie Bruun war ja schon immer ein bisschen die Version von Enya, die auch für Blastbeats und dämonisches Gekeife zu haben war, ihr neuestes Album zeigt das aber deutlicher als alle vorherigen. Dabei ist es kein Widerspruch, dass Spine sowohl die bisher poppigste Myrkur-Platte als auch die härteste seit etwa Mareridt von 2017 ist. Denn das beste, was Bruun hier zurückbringt, ist die ästhetische Vielschichtigkeit ihrer Frühphase. Da haben Songs wie Mothlike eine deutliche New Wave-Note, My Blood is Gold könnte auch von Soap&Skin sein, Valkyeriernes Sang badet nochmal ganz großzügig im mystischen Pagan-Sirup und mit Menneskebarn ist der beste Song mal wieder der Closer. Damit ist Spine vielleicht nicht die urige Black Metal-Fusion, die ich mir von Myrkur immer ein bisschen (zurück)gewünscht hatte, so oder so aber ihr bisher bestes Album. Und das fühlt sich nach so vielen Jahren mit eher mittelmäßigen Sachen schon wie eine echte Erlösung an.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




CONNY OCHS
Wahn & Sinn
Exile On Mainstream

Ein deutschsprachiges Album von Conny Ochs ist etwas, das ich herbeisehne, seitdem ich vor etwa zehn Jahren von der Existenz von Zombie Joe erfuhr und ich hätte lange nicht wirklich gedacht, dass es nochmal passieren würde. Dass Wahn & Sinn kein neues Schlachthaus, Baby! werden würde, war mir dabei aber auch bewusst. Stattdessen sind die neun Songs vor allem von Ochs' Zusammenarbeit mit Sicker Man bei Trialogos beeinflusst, der hier auch als Produzent agiert und viele Texte noch abstrakter und freiförmiger als in den Zwotausendern. Das alles erzielt größtenteils den erwünschen Effekt, das Oeuvre des Songwriters nochmal um ein paar Facetten zu erweitern und erfüllt an nicht wenigen Stellen sogar ein gewisses Artpop-Prädikat. Obwohl Wahn & Sinn aber keine Nostalgie füttert, habe ich als Fan am Ende doch jede Menge davon und sehe es am Ende so oder so als das beste Ochs-Album seit gut und gerne zehn Jahren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11






Haiyti - JunkyHAIYTI
Junky
Die-Ai-Wei

 
 
 
 
 
 
 
Schon in den wenigen Malen, die ich Junky jetzt gehört habe, hat sich die Platte als echter Grower erwiesen und Haiytis lange Zeit größtes Problem, dass ihre Platten so wenig kohärent und komplett chaotisch waren, ist hier ein weiteres Mal gut gelöst. Auch dass das Album grundsätzlich weiterhin sehr mixtapig wirkt und die Hamburgerin wieder mal völlig ADHS-mäßig Ideen aufeinanderschichtet, ist hier kein so großes Problem wie früher manchmal. Viel eher schafft Haiyti es auf Junky endlich mal, daraus die Spannung herauszukitzeln, die diese Herangehensweise eine ganze Weile nur theoretisch hatte. Womit der einzige mittelgroße Kritikpunkt hieran bleibt, dass ein Drittel der Songs locker gereicht hätten. Nach dem schon ziemlich gelungenen Ich lach mich tot vom letzten Jahr ist es aber schon das zweite Mal, dass die Künstlerin nach langen Jahren des verschenkten Potenzials eine durchweg gute Platte macht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





EARL SWEATSHIRT & THE ALCHEMIST
Voir Dire
Tan Cressida

 
 
 
 
 
 
 
 
 
Der Rollout von Voir Dire mit der ganzen NFT-Nummer war ziemlich seltsam und es hat gedauert, bis endlich eine Streaming-Version der Platte zu hören war, am Ende spricht das Ergebnis aber für sich: Das hier ist - zumindest meiner Ansicht nach - das beste Album von Earl Sweatshirt seit I Don't Like Shit, I Don't Go Outside von 2015. Das liegt vor allem daran, dass der Rapper es hier endlich mal hinkriegt, sich mithilfe eines Top-Produzenten ein gescheites Layout für seinen hingeschlacksten Style zu verpassen, das einfach mehr hermacht als seine letzten beiden Platten. Wobei sich auch zeigt, dass sich an der eigentlichen Sache nicht viel ändern muss, damit sie funktioniert: Als Rapper ist Earl Sweatshirt weiterhin stark, nur besser ausgeleuchtet und und auch die beiden Featuregäste Mike und Vince Staples machen einfach nur konsequent ihr Ding. Damit ist der Unterschied hier kein inhaltlicher, sondern ein aufbereitungsmäßiger. Hoffen wir, dass Sweatshirt auf dieser Ebene weiterarbeitet.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 

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