Sonntag, 14. Januar 2024

Die Wochenschau (11.12.-31.12.2023): Peter Gabriel, Casper, Badmómzjay, Nicki Minaj, Grim104, Baumarkt, Mamoré, Nornír, Polis und und und...


 
 
 
 
CASPER
Nur Liebe, immer
Warner

 
 
 
 
 
 
 
Da hat er es eben doch gemacht, das "unkomplizierte Rap-Album", das Fans und Presse (zumindest einige davon) spätestens seit zehn Jahren herbeisehnen. Eine gute halbe Stunde geht das ganze und ist mit gewissen Abstrichen (ein Cro-Feature, ein komplett gesungener Track) genau das, was man sich darunter vorgestellt hat: Die Texte sind weiterhin emotional und ähnlich tief schneidend wie letztes Jahr auf Alles war schön und nichts tat weh, aber eben ohne den ganzen Indie-Soul-Gospel-Folkpop-Schnickschnack. Das Ergebnis ist dabei stabil, aber auch ernüchternd, denn obwohl es nicht wirklich schlechte Songs gibt und die Platte davon profitiert, die Lyrics stärker in den Fokus zu stellen, ist durch die geradlinige musikalische Ausrichtung auch der Mehrwert futsch, den die Alben des Bielefelders sonst meistens haben. Wo Nur Liebe, immer also keineswegs effektiv schlecht ist, ist sie die erste von Casper, die sich auch irgendwie wie nichts besonderes anfühlt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11




BAUMARKT
Kellerduell
Rö13 | Latenz

Die beste Chemnitzer Band der Welt hat ein neues Album gemacht, das sich trotz vieler Releases in den letzten paar Jahren anfühlt wie ihr vielleicht zweites richtiges. Auf nüchternen Magen in ihr Oeuvre einzusteigen, ist dabei mittlerweile schwierig geworden, so sehr wie sie sich inzwischen in ihre eigene Seltsamkeit einkuscheln und komplett an jeder Logik vorbeitaumeln. Dass Kellerduell ein schlechtes Album ist, heißt das aber keineswegs, sondern eher, dass sie auch ihre Stärken weiter ausbauen. Als eines der - wie ich finde - innovativsten und spannendsten Projekte im deutschen Subkultur-Kosmos haben die Chemnitzer die halbe Miete schon vorher drin gehabt, hier hört man das jetzt nochmal halbwegs ordentlich auf Konserve aufbereitet. Gerade Songs wie Zellstoff oder Guacamolebrot bringen die Quotables mit, die ich an dieser Band so toll finde und auch wenn sie live besser funktioniert haben, ist das hier doch Material, an dem man sich dazwischen ganz gut festhalten kann. Klanglich und (wenn man das so nennen will) inhaltlich ändert sich dabei nicht viel, was aber aus dem gleichen Grund irgendwie gut ist: Man hat jetzt etwas in der Hand, was nicht so fluktuierend und fahrig ist wie die tausend Singles, EPs und Splits zwischendurch, sondern das irgendwie als geschlossene Sache funktioniert. Auch wenn die Existenz von sowas den Geist einer Band wie Baumarkt fast schon wieder einengt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11



BADMÓMZJAY
Survival Mode
Universal

Badmómzjay - Survival ModeIch bin gerade immer noch ein bisschen schockiert darüber, wie ernsthaft stark ich das zweite Album von Badmómzjay finde, die ich bislang immer für eine der anstrengenderen neueren Erscheinungen im Deutschrap gehalten hatte. Wobei es irgendwie auch logisch ist, nachdem ich mich vor ein paar Jahren schon ziemlich für Shirin David und jemanden wie Bhad Bhabie begeistern konnte. Ein paar mittelschwere Stilverbrechen wie die furchtbaren Producer-Tags von Beatmaster Jumpa, Angeberei über die MTV Awards (?!) und das völlig unnötige Airplanes-Cover mit Kool Savas gibt es zwar, all das findet aber im Rahmen eines erstaunlich stilvollen und kohärenten Gesamtwerks statt. Wobei es die Berlineren vor allem hinbekommt, von lyrischen Realtalk-Momenten bis zu fluffigen Sommerhits alles unter einen Hut zu kriegen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11





FULL OF HELL & NOTHING
When No Birds Sang
Closed Casket Activities

Full of Hell & Nothing - When No Birds SangEs gab mal eine Zeit, da waren Full of Hell-Kollabo-Platten wie diese hier garantierte Banger und sind für mich nach wie vor die Alben, die ich zu meinen Favoriten in ihrem Katalog zählen würde. When No Birds Sang ist aber die erste seit einer ganzen Weile (um genau zu sein seit etwa Ascending A Mountain of Heavy Light von 2017), die an diesen Standard wieder herankommt. Die Shoegaze-Band Nothing ist dabei nicht der erste ungewöhnliche Sparringpartner, gerade durch ihre sehr unterschiedlichen Ansätze ergänzen sich beide Bands hier aber hervorragend und finden sich zwischen Grindcore und Dreampop am Ende irgendwo bei atmosphärischem Sludge Metal ein. Damit ist die Platte für beide Gruppen eines der kreativsten ihrer Karriere und insbesondere für Full of Hell das erste echte Highlight seit einer ganzen Weile.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11






PANOPTICON
The Rime of Memory
Bindrune Recordings

Als letzte Platte des Jahres 2023, die es noch in unter meine 30 Liebingsplatten der Saison geschafft hat, habe ich dort schon vor Release dieser Wochenschau schon einmal über the Rime of Memory geredet und würde euch an dieser Stelle einfach dorthin verweisen, wenn ihr genaueres wissen wollt. Hier steht es nur nochmal für die Punktzahl.

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9/11
 



PETER GABRIEL
i/o
Real World

Das erste Album des großen Peter Gabriel seit New Blood von 2011 und auf den ersten Blick ein ziemlich wuchtiges Ding: In zwei unterschiedlichen Versionen gemixt kommt die Platte als Gesamtpaket auf stolze 24 Tracks in fast zweieinhalb Stunden. Das wirkt erstmal einschüchternd, kommt aber sehr schnell auf einen gefälligen Umfang, zieht man erstmal das ganze Tamtam ab. So sind auf beiden Platten grundsätzlich die gleichen zwölf Songs, die eine vollständige Runde auf bekömmliche(re) 78 Minuten bringen und musikalisch auch eher bewährter Gabriel-Standard sind als große Artpop-Höhenflüge. Die Sache mit den beiden Mixen ist dabei ziemliche Augenwischerei, sind die Unterschiede dazwischen doch marginal und das zugrundeliegende Gimmick mit "Light Side" und "Dark Side" nicht nur ausgelutscht, sondern auch kaum spürbar umgesetzt. Wer die bestmögliche und am wenigsten künstlich aufgeputschte Erfahrung will, hört den "Light Side"-Mix und bekommt ein zahmes, aber nicht inkompetentes Album von Peter Gabriel. Der Rest ist in meinen Augen durch die Bank überflüssig.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡 07/11






GRIM104
Ende der Nacht
Recycled Earth

 
 
 
 
 
 
 
Es ist ein bisschen schmerzlich, dass die wenigen Schwachpunkte, die der Solo-Output von Grim104 bis hierhin hatte, auf diesem Album größere Posten einnehmen: Mäßig motivierte Sozialkritik-Versuche wie Nepo Baby, komische Features von Leuten wie Dissy und Paula Engels, langweilige Nabelschau-Texte wie in Butter Chicken. Das tolle ist aber, dass es die poetische Grundkompetenz und musikalische Stimmigkeit des Berliners weiterhin schaffen, diese Makel zu überstrahlen und Songs wie Sterne hervorzubringen, die im deutschen Rap-Kosmos niemand anderes so schreibt wie dieser Typ. Wo ich also schon irgendwie der Meinung bin, dass er mit Ende der Nacht nachlässt, ist die Platte trotzdem irgendwie eine, die mein Grundvertrauen in seine Musik stärkt und Hoffnung macht, dass das Konzept Grim104 als Solokünstler langfristig funktioniert.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11




MAMORÉ
Mamoré
Die-Ai-Wei

Als jemand, der die Jenenser Mamoré jetzt schon seit einigen Jahren hört, empfinde ich ihr selbstbetiteltes Debütalbum fast schon wie ein Best-Of, da viele ihrer bisher veröffentlichten Songs hier nochmal in neu aufgenommenen Varianten vorkommen. Stilistisch ist das Duo dabei zwar in einer ziemlich engen Definition von Retro-NDW-Pop unterwegs, misst diesen Raum aber mit haufenweise extrem eingängigen Songs aus und schafft es dabei sogar, einen halbwegs originellen Twist einzubringen. In den falschen Ohren kann dabei vor allem der stark gekünstelte Gesang im Geiste von Heinz-Rudolf Kunze ein Buzzkill sein, ich persönlich empfinde gerade das aber als eines der coolsten Alleinstellungsmerkmale von Mamoré. Und auch wenn ich manche Songs hier in ihrer ursprünglichen Version ein bisschen cooler fand, macht diese Band sich hiermit doch nochmal ganz schön interessant.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11





NORNÍR
Skuld
Northern Silence

Schon mit ihrer ersten EP Urd von 2017 empfand ich Nornír als eine der spannendsten Newcomer-Bands aus meiner alten Heimat, die zwar eine sehr klassische Variante von skandinavischem Black Metal spielten, diese aber echt mit Leben erfüllten. Skuld ist inzwischen ihr zweiter richtiger Longplayer und ein bisschen die Platte, die ich mir immer von ihnen gewünscht habe. Ein winziges bisschen ist die Band inzwischen in die Pagan-Ecke abgedriftet und unterstreicht diese Tendenz immerhin mit einem Wardruna-Cover, abgesehen davon ist Skuld aber ein hemmungsloses Black Metal-Brett, das spät im Jahr nochmal zu den besten Releases gehört, die 2023 in dieser Sparte stattfanden. Habe ich leider bloß zu spät gehört, um es in meiner Bestenliste zu berücksichtigen 😓.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11






NICKI MINAJ
Pink Friday 2
Republic

Jedes Jahr seit Queen von 2018 war ein neues Album von Nicki Minaj für mich eine der Sachen, die ich mir am Beginn einer neuen Plattensaison wünschte. Die Shenanigans der Rapperin in letzter Zeit ließen mich zwar irgendwann auch nicht mehr damit rechnen, dass so ein Album tatsächlich gut werden würde, hören wollte ich es trotzdem unbedingt. Und noch nervöser wurde ich ob der Bekanntgabe, dass Minaj hier eine LP veröffentlichen würde, die der geistige Nachfolger von Pink Friday, ihrem einen großen Klassiker, werden sollte. Dass sie sich dieser Aufgabe als würdig erwiesen hat, finde ich an diesem Punkt folglich auch immer noch etwas komisch zu sagen und dass mir viele dabei widersprechen werden, ließ sich schon an den Kritiken rund ums Release der Platte ablesen. Gut ist sie aber trotzdem geworden, und das nicht nur ein bisschen. Geschenkt, dass Minaj in vielen Songs kackendreist alles von Rick James bis Blondie samplen lässt und sich virale Hits auf dem unläuteren David Guetta-Weg erschleicht, wenn die Tracks dahinter so stark und eingängig sind wie hier. Noch dazu schafft Minaj es tatsächlich, ein emotional sehr dynamisches Album zu schaffen, dass von Pop-Bangern wie Super Freaky Girl über knallharte Ansagen wie Red Ruby Da Sleeze bishin zu ernsthaft melancholischen Momenten wie Just the Memories vieles abgrast und richtig klasse macht. Nachdem also quasi alle in den letzten Jahren diese Künstlerin abgeschrieben haben und sie langsam in die Irrelevanz abzudriften drohte, hat sie hier vielleicht nochmal ihre beste Platte überhaupt gemacht. Zumindest, wenn es nach mir geht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




POLIS
Unterwegs I
Die-Ai-Wei

 
 
 
 
 
 
 
 
Da ich noch kurz vor Ende des letzten Jahres das Vergnügen hatte, der Release-Party dieses Albums beizuwohnen, kann ich gerade noch ziemlich gut abgleichen, wie viel von der fantastischen Live-Energie der Plauener hier auf die Konserve übergeht. Wobei ich sagen muss, dass Unterwegs I zwar in allen Dingen gut gemacht ist, im Vergleich zu ihren Studioplatten aber nicht wirklich einen Mehrwert darstellt. Eine der tollen Sachen an dieser Band ist ja, mit wie viel Liebe zum Detail sie ihre Albumsongs auf der Bühne umsetzen, die sich dann hier bis auf ein paar kleinere Jam-Eskapaden aber auch kaum von den Ursprungsversionen unterscheiden. Mit Die Einsamkeit und Das erste Leuchtfeuer gibt es zwei sehr überzeugende Songs, die bisher noch auf keinem Album sind, deren Aha-Effekt ist damit aber zeitlich begrenzt. Wer Polis noch gar nicht gehört hat, könnte mit dieser Platte einen ebensoguten Einstieg in ihren Katalog finden wie mit ihren Studioalben, die wären an der Stelle aber eher meine Empfehlung. Die beste Variante von allen wäre natürlich, die Band tatsächlich live zu sehen, das wird aber leider erst wieder in ein paar Monaten möglich sein.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11



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