Mittwoch, 18. Januar 2023

Review: Rhythm is It

Sheila Jordan - Portrait of Sheila
SHEILA JORDAN
Portrait of Sheila
Blue Note
1963













[ sanft | minimalistisch | nokturnal ]

Ich bin ja normalerweise jemand, der seinen Jazz gerne ein bisschen flamboyant mag und aufbrausende Bombast-Platten mit großzügiger Big Band-Begleitung, klassizistischen Verquickungen, Fusion-Elementen oder wenigstens abgefahrenen Soli stets der minimalistischen und ätherischen Grundlagenarbeit vorziehe, wie es sie gerade in der Cool Jazz-Bewegung der späten Fünfziger und frühen Sechziger nur zu zahlreich zahlreich gibt. Und als Faustregel für mein Verhältnis zu solchen Projekten kann ich schon irgendwie sagen, dass proportional zur Anzahl der beteiligten Musiker*innen auch meine Begeisterung dafür steigt. Weil Ausnahmen aber wie immer die Regel bestätigen, möchte ich euch an dieser Stelle eines meiner liebsten Alben vorstellen, das genau das nicht tut und eben gerade dadurch glänzt, wie wenig es von all seinen Beteiligten ausgeschmückt wird. Wobei die Person auf dem Cover für dieses Glanzstück ebenso eine wichtige Rolle spielt wie die Performance der Akteure im Hintergrund, die sich in vielen Momenten perfekt ergänzen. Aber eins nach dem anderen und zunächst mal die Fakten: Portrait of Sheila war 1963 das Debütalbum der US-amerikanischen Jazzvokalistin Sheila Jordan, ihrerseits kurzzeige Ehegattin des ebenfalls fantastischen Pianisten Duke Jordan, das gleichzeitig auch ihr letztes bis 1975 bleiben sollte. Und obwohl es dabei beim Branchenriesen Blue Note verlegt wurde, bei dem damals ja diverse namhaften Jazzgrößen zuhause waren und immerhin von Rudy van Gelder als Toningeneur betreut wurde, ist es von der Sache her doch eher ein Projekt der Außenseiter und einer Reihe von MusikerInnen, die im gängigen Kanon des klassischen Jazz keine große Rolle spielen. Dass sie als Band hier trotzdem eine optimale Chemie finden und aus sehr wenig Input sehr viel klangliche Qualität machen können, ist in meinen Augen aber nicht von der Hand zu weisen. Von Jordan ursprünglich als reines Vokalalbum mit Bassbegleitung konzipiert (was Blue Note dann doch etwas zu karg fand und ablehnte) findet sich auf Portrait of Sheila ein Dreigespann gehörig talentierter Instrumentalisten zusammen, die an vielen Punkten gerade dadurch strahlen, dass sie die richtigen Dinge weglassen. Vor allem Denzil Best am Schlagzeug, der für seine spärliche Rhythmusbegleitung fast nur mit Snare und Besen arbeitet, ist für diese ästhetische Umsetzung hauptverantwortlich, während Steve Swallow am Bass und Barry Galbraith an der Gitarre zurückhaltend akzentuieren und oft nur mit wenigen Tönen das auskleiden, was ein Song als Gerüst braucht. Denn wichtigstes und einzig federführendes Melodieinstument ist dann in jedem Moment Jordan als Sängerin, die sich zwischen den seidenen Fäden des instrumentalen Aufbaus ordentlich breit macht und damit ganz und gar genug ist, um mit ihrem Gesang ein vielschichtiges emotionales Spektrum abzudecken. Wo flotte Tracks wie Falling in Love With Love oder Let's Face the Music and Dance von jeder anderen Produktion wahrscheinlich mit aufbrausender Big Band- oder Hardbop-Ausstattung versehen worden wären, glänzen sie hier als reine Rhythmusstücke, mit denen Jordan sich nach Lust und Laune austobt und dabei kein bisschen weniger euphorisch ist als zur gleichen Zeit ein Count Basie mit dreißig Mann. Und wo das schon so fantastisch klappt, ist es natürlich auch kein Wunder mehr, dass die balladeske und entschleunigte Seite der LP mit Songs wie If You Could See Me Now, I'm A Fool to Want You und Willow Weep for Me ebenfalls durchweg überzeugt. Mit Dat Dere (dem einzigen Song, der tatsächlich als reine Bass-Gesangs-Kombination umgesetzt wurde) und Hum Drum Blues finde ich lediglich zwei der ingesamt zwölf Nummern nicht ganz optimal, wobei ich aber auch sie zumindest in der Hinsicht schätze, dass die nochmal ganz andere stilistische Facetten aufmachen und auf ganz eigene Art experimentieren. Womit Portrait of Sheila für mich vor allem ein eindrucksvoller Beweis dafür ist, wie wenig es manchmal braucht, um einen richtig guten Song zu schreiben und wie viel davon allein durch eine Gesangsperformance getragen werden kann. Zu schade, dass es Sheila Jordan in den Folgejahren nicht gelang, genau daran anzusetzen und diese Art von Minimalismus erfolgreich weiter zu erforschen. Denn selten hat Minimalismus im Jazz in meinen Augen so aufregend funktioniert wie auf dieser LP.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
Falling in Love With Love | If You Could See Me Now | Am I Blue | When the World Was Young | Let's Face the Music and Dance | I'm A Fool to Want You | Willow Weep for Me

Nicht mein Fall
Dat Dere


Hat was von
Anita O'Day
And Her Tears Flowed Like Wine

Wes Montgomery
the Incredible Jazz Guitar of Wes Montgomery


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