Samstag, 14. Januar 2023

Review: Embryonale Schwärze

God Speed You Black Emperor! - All Lights Fucked on the Hairy Amp Drooling
GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
All Lights Fucked On the Hairy Amp Drooling
Die-Ai-Wei
1994/2022
 








[ experimentell | klangcollagig | dreckig ]

Auf die Gefahr hin, mich jetzt mal wieder als schlechter Fan zu outen und das wenige bisher von mir über dieses Album gesagte direkt wieder zu diskreditieren: Ich muss gestehen, dass es dann doch ganz schön lange gedauert hat, bis ich die vorliegende Platte vollständig gehört hatte und wirklich bereit war, mir darüber eine Meinung zu bilden. Denn obwohl ersteres natürlich mein unmittelbarer Instinkt war, als ich erfuhr, dass sie nun doch endlich draußen war und der Leak sogar von der Band verifiziert war, wollte ich mir die Illusion des legendären, die dieser LP anhaftete, vielleicht doch nicht direkt mit zu viel Realität verbauen. Selbst wenn Godspeed You! Black Emperor nicht eine meiner absoluten Lieblingsacts wären und mir ihre Musik weniger bedeuten würde, wäre das hier sicherlich eine der größten musikalischen Entdeckungen in der Welt der alternativen Musik seit Ewigkeiten, der man irgendwie mit gebührendem Respekt begegnen muss. Einfach schon deshalb, weil sich um diese Platte in den letzten 25 Jahren so viele Mythen rankten und es häufig nicht mal ganz klar war, ob denn nun überhaupt noch Exemplare davon existierten. Was es umso erstaunlicher macht, dass ebenjenes im vergangenen Februar geleakte Material so lange brauchte, um letztlich doch noch an die Oberfläche zu driften. Aber für alle uneingeweihten sollte ich die Geschichte dieses Albums vielleicht nochmal ganz von vorne erzählen, die ganz bescheiden im Jahr 1993 mit einem frankokanadischen Punk namens Efrim Manuel Menuck beginnt. Dieser ist damals der einzige, der personell hinter dem Projektnamen Godspeed You! Black Emperor (oder wie in damaliger Punktuation God Speed You Black Emperor) steht und im stillen Kämmerlein an allerlei frankensteinesken Klangexperimenten tüftelt , mit denen er letztlich - gemeinsam mit seinen Kumpels Mike Moya und Mauro Pezzente - eine Demokassette füllt und bei Shows an ein paar Freund*innen verkauft. 33 davon sollen ursprünglich existiert haben, weil Menuck sich damals ganz einfach nicht mehr leisten kann, was für nischige DIY-Punkprojekte ja bis heute gängige Praxis ist. Weil sein Projekt in den nächsten Jahren aber kein solches bleiben wird, sondern sich bis zum Ende der Neunziger zu einer der wichtigsten Speerspitzen der neuen Instrumentalrock-Bewegung mausert, wird das erste Tape, das nur wenige wirklich gehört haben, schnell zur Legende. Lange heißt es, dass Originale nur noch in den Archiven vom neuen Godspeed-Label Constellation und wahrscheinlich bei den Bandmitgliedern in der Nachttischschublade existieren und als 2013 erstmals ein Leak von Teilen der LP aufploppt, verunglimpfen viele diesen als Fake. Menuck selbst beurteilt die Sache wie immer notorisch nüchtern und spricht in den seinen wie üblich rar gesäten Interviews davon, dass er einen vollständigen Leak eigentlich längst erwartet hätte und die Sache ja eh nicht so spektakulär sei, weil das Tape kaum nach den heutigen Godspeed klänge. Und obwohl letztere Aussage prinzipiell stimmt und All Lights Fucked definitiv in einer anderen Welt stattfindet als ihr "richtiges" Debüt F# A#∞ drei Jahre später, zeigt es doch bereits Teile des Wegs auf, den Menuck mit seinem Projekt in näherer Zukunft gehen wird. Wobei letzteres der Punkt ist, der dieses Material auch aus heutiger Perspektive noch extrem spannen macht. So funktioniert das ganze Konzept dieser Platte zwar eher als wüste Klangcollage, die mehr nach Noise-, Avantgarde-, und komischem Tapeloop-Kram klingt als nach fertigem Postrock und auf der zudem viel gesungen wird, wichtige Grundelemente eines gewissen Sounds finden sich darin dennoch. Und das nicht nur von Godspeed selbst, sondern vor allem auch von seiner Arbeit mit the Silver Mt. Zion und ein bisschen auch von seinen Soloprojekten. Sachen wie die großzügige Verwendung von Sprachsamples, Menucks Texte und vokale Inflektionen, das Denken in mehrteiligen Movements und nicht zuletzt auch ein Verständnis dafür, über lange Spielzeiten hinweg nicht die Zugkraft zu verlieren. Und soviel kann gesagt sein: recht selten begegnet man einem so rudimentär aufgenommenen Demotape, das über eine Dauer von 68 Minuten so abwechslungsreich und spannend bleibt. Was vielleicht daran liegt, dass Menuck schon hier alle Ideen irgendwie ineinander fließen lässt und weniger Songs macht als groteske Klangreisen, die man als ganzes verstehen kann. Und wenn man wirklich nach Parallelen zu späteren Godspeed-Sachen sucht, braucht man hier nicht weiter zu schauen als zu Songs wie Buried Ton, Deterior 17 oder And The Hairy Guts Shine, in denen schon viel von der verdichtet-melancholischen Schwärze heraufbeschworen wird, die ich an seinen späteren Sachen so liebe. Wobei es ein bisschen auch die Unterschiede zu ebenjenen sind, die All Lights Fucked letztendlich besonders machen. Es brauchte für mich nicht viel um zu akzeptieren, dass es sich hier um ein anderes Erlebnis handelt als beim Rest des Godspeed-Katalogs und Dinge wie die opulenten Streicherparts oder die großen instrumentalen Flächen haben mir selten gefehlt. Viel eher mag ich es, dass hier über weite Strecken sehr verdichtet und chaotisch gearbeitet wird und eben auch noch viel rotziger Punk-Spirit Platz hat, den es nachher vielleicht nur noch theoretisch und ideell gab. Sicher sind am Ende so gut wie alle späteren  Platten der Kanadier musikalisch spannender und imposanter als diese hier und selbst gegen ein G_d's Pee at State's End! oder Asunder, Sweet & Other Distress würde ich sie nicht tauschen wollen. Für mich als Nerd ist es aber unglaublich interessant, in dieser Form sozusagen meine Lieblingsband im Embryonalzustand zu sehen und dabei festzustellen, dass ich das hier wahrscheinlich auch gut fände, wenn ich den Rest der Geschichte nicht kennen würde. Letztendlich bin ich also alles in allem sehr froh darum, das hier noch erleben zu dürfen und danke der Magie des Internets, dass sie es möglich gemacht hat. Fehlt jetzt nur noch das offizielle Vinyl-Repressing.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11


Persönliche Höhepunkte
Drifting Into Open | Threethreethree | When All the Furnaces Exploded | Beep | Glencairne 14 | Loose the Idiot Dogs | Diminishing Shine | Dadmomdaddy | 333 Frames Per Second | Buried Ton | And the Hairy Guts Shine | Deterior 17 | Deterior 3 | No Job / Dress Like Shit | Perfumed Pink Corpses From From The Lips Of Ms. Celine Dion

Nicht mein Fall
-


Hat was von
John Fahey
Requia

Motorpsycho
Demon Box


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