Freitag, 6. Dezember 2019

Rock'n'Roll zu Ende gedacht














Man sieht Thees Uhlmann ein bisschen an, dass er nervös ist. "Ich hab mir heute extra meinen Anzug angezogen" sagt er, es wäre ja schließlich Tourauftakt heute. Und es hat schon seine Berechtigung, dass heute ein bisschen Muffensausen auf der Tagesordnung ist: Sein drittes Soloalbum Junkies & Scientologen war im September ganze acht Wochen auf Platz zwei in den deutschen Charts, das öffentliche Interesse an seiner Musik ist momentan so groß wie nie und wenn man sich die reinen Zahlen anguckt, ist es gerade nicht abwegig, Thees Uhlmann als Popstar zu bezeichnen. Noch dazu sind seit dem Release der Platte fast drei Monate ins Land gegangen und Teile der Band sind nicht mehr die, die sie bei der letzten Tour waren. Der Auftakt in Dresden an diesem Abend war also in vielerlei Hinsicht eine Bewährungsprobe für die Hamburger, weshalb vor allem der Kopf der Gruppe erstmal ein bisschen fahrig ist. Es wirkt ein wenig so, als würde Uhlmann gerade das erste Mal die Eltern seiner Zukünftigen treffen, so wie er sich auf der Bühne gebahrt. Das schwarze Sakko (als Kombination mit T-Shirt statt Hemd für die Working Class-Credibility) steht ihm, passt aber nicht so gut ins Bild wie die sonst allgegenwärtige Lederjacke, die ersten Ansagen sind anfangs noch etwas daneben und ohne Gitarre wirken seine Bewegungsabläufe etwas ungelenk. Man hat den Eindruck, dass die legendäre Rampensau Thees Uhlmann, angeblich einer der besten Livemusiker der Bundesrepublik, sich und das Publikum erstmal aufwärmen muss. Mit zwei neuen Songs zu Beginn (Fünf Jahre nicht gesungen löst seit kurzem den Traditions-Opener Römer am Ende Roms ab, danach kommt Danke für die Angst) macht er es sich damit auch nicht einfach. Die richtig fleißigen können zwar schon die Texte vom neuen Album und die Stimmung ist proaktiv, nur ist das hier eben auch nicht Slayer. Man muss sich die Ausgelassenheit mit solcher Musik schon härter erarbeiten. Wobei das Konzert schon in den ersten Minuten nicht am Arbeitsaufwand der AkteurInnen scheitert. Die Performance der Band ist von Anfang an on point und der Sound fantastisch, lediglich den Gesang hört man zunächst nicht ganz so klar. Ein toller Bonus ist die nicht sehr aufwändige, aber trotzdem extrem schicke Lichtshow, die tatsächlich einfach sehr gut darin ist, die gespielte Musik zu untermalen und Atmosphäre zu schaffen, ohne gleich vom Geschehen abzulenken. Wie gesagt, wir sind hier nicht bei Slayer. Die sehr stimmige Umgebung bewirkt aber trotzdem sehr gut, dass sich langsam die Euphorie aufbaut. Gleich als dritten Song spielt die Band einen Track vom ersten Album, der schonmal den kleinen Nostalgiefaktor auslöst und spätestens als nach ungefähr der Hälfte des Sets die erste von vier Tomte-Nummern angekündigt wird, platzen die letzten Knoten. Und an dieser Stelle ist auch der Meister selbst lange schon wieder in seinem Element. Zu diesem Zeitpunkt hat sich Uhlmann durch ein sehr solides Anfangsset geackert, bestehend aus den Perlen seiner bisherigen drei Soloalben. Zugvögel finde ich in der Live-Version das erste Mal richtig gut, in & Jay-Z singt uns ein Lied wird ohne mit der Wimper zu zucken Caspers Part mal eben selbst gerappt und in die Toten auf dem Rücksitz wird der erste Mitsing-Part gewagt. Die traditionelle Begleiterscheinung einer jeden Thees Uhlmann-Show ist dann natürlich auch immer ein gefühlt viertelstündiger Monolog vor jedem Song, bei dem der Render des öfteren schon zu spielen ansetzt, ihm dann aber doch noch diese eine großartige Räuberpistole einfällt, die noch fix abgefeuert werden muss. Man kann das nervig finden, für mich war es aber durchaus ein Hauptgrund für den Konzertbesuch und letztendlich auch genauso ein Highlight wie viele der Songs. Vor allem, weil der Mann ja nicht nur Blödsinn quatscht. Zwischen einer großartigen Zote über einen Liverpool-Besuch mit den Toten Hosen und seltsame Telefonate mit seiner Mutter war ich tatsächlich überrascht, wie viel tatsächliche Ansage in manchen dieser - nun ja - Ansagen steckt. Im Vorfeld eines gewissen Stücks über Hiphop-Videos gibt es einen sehr klaren Front gegen Sexismus im Rap (cool!), vor einem anderen gewissen Stück über seine Heimat Hemmoor eine Analogie über das Wasser der Elbe und dass Menschen nicht so verschieden sind, wie sie oft denken (auch cool!) und vor dem als Zugabe gespielten Avicii eine Botschaft über Mentale Gesundheit (supercool!). Das schönste daran ist, dass Uhlmann das alles nicht als Kampfansage formulieren muss, damit es Gewicht hat und er am Ende trotzdem einen blöden Joke machen kann, ohne dass es dem zuvor gesagten schadet. Ginge es nach mir, hätte er deshalb ruhig den ganzen Abend quatschen können. Aber man ist ja wegen der Songs hier. In der zweiten Hälfte überrascht die Band mit einem akustischen Toten Hosen-Cover von Liebeslied und dem rabiaten Tomte-Oldie Korn & Sprite, beides Songs, für die ich definitiv zu jung bin. Interessant für mich sind eher die zum ersten Mal live gespielten Tracks Katy Grayson Perry und 100.000 Songs vom neuen Album, die allerdings auch in jenem Moment verblassen, als die ersten Takte von Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf anklingen, denn an diesem Abend ist "der Fischsong" mehr als ein Hit. Es ist die Konsens-Hymne, die am Ende irgendwie alle Uhlmann-Fans eint, ob nun alter Tomte-Veteran oder Laufkundschaft aus den Diffus-News. Folglich ist es auch nur konsequent, dass das "uuuh-huhuuu" des Refrains auch noch dann durch den Saal getragen wird, als die Band eigentlich schon die Bühne verlassen hat. Wobei die erste Zugabe definitiv noch Teil des Plans ist. Zuerst spielt die Band das Haiyti-Cover Gold, das leider auch live kein Charisma entwickeln will, danach Schrei den Namen meiner Mutter und Avicii als garantierte Banger. Das ist schon ganz cool, richtig krass wird es aber erst, als Uhlmann nach erneutem Verlassen der Bretter mit Mundharmonika bewaffnet zurückkehrt und im lilanen Licht sein heimliches Opus Magnum Römer am Ende Roms performt. Für mich persönlich ist hier der Höhepunkt des Konzerts erreicht, auch wenn die unermüdliche Band danach mit die Schönheit der Chance nochmal ordentlich einen draufgibt. Die anschließende Verbeugung zieht sich auch nochmal ewig hin, Thees Uhlmanns endlosem Mundwerk sei Dank. Aber die Anspannung vom Anfang ist jetzt definitiv weg und die eigene Euphorie ist wahrscheinlich der schönste Lohn für eine gelungene Premiere, wie sie an diesem Abend stattgefunden hat. "Rock'n'Roll zu Ende gedacht" nennt der Künstler selbst das Phänomen am Ende und es gibt schon deutlich schlechtere Resultate für das erste Konzert der ersten Tour nach fünf Jahren. Thees Uhlmann ist wieder warmgespielt. Die nächsten Shows können also nur gut werden.

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