Montag, 23. Dezember 2019

Unterm Strich 2019: Vermischtes

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Persönlichkeit des Jahres
Lizzo
Weil die Sängerin dieses Jahr nicht nur einen traumhaften Senkrechtststart als Popstar hinlegte, der sie von relativer Obskurität zu diversen Grammy-Nominierungen katapultierte, sondern vor allem, weil man ihr das so unglaublich gönnt. Denn ein Format-Promi ist die Frau weiß Gott nicht. Was sie so faszinierend macht, ist die Art und Weise, wie sie ihre spezielle Ausstrahlung ownt und wie sie diese Dinge auch in ihren Songs kommuniziert. Und die zeigt, wie entspannt das alles sein kann, wenn man es richtig macht. Eine Künstlerin, die am Ende des Tages deshalb hier steht, weil sie ein Popstar ist, zu dem kleine Mädchen ausnahmsweise tatsächlich mal aufschauen können.


Idiot des Jahres
Gzuz

Es mag ein bisschen opputunistisch wirken, da ich bisher auch einer der Leute war, die Gzuz ziemlich hofiert haben und ihn für eine positive Ausnahme im deutschen Rap hielten, und die jetzt, wo sich die öffentliche Meinung verschiebt, auf einmal anderer Meinung sind. Und ja, genau so ist es am Ende auch. Was ich jahrelang für ironische Distanz und witzige Kommentare hielt, war am Ende leider doch ein bisschen ernster gemeint und der Künstler selbst sehr viel unreflektierter, als ich ihm zugestand. Aber immerhin kommt die Einsicht besser spät als nie, dass frauenverachtende Texte und generelle Mysoginie auch dann nicht cool ist, wenn man einer der Vordenker des deutschspachigen Gangsterrap ist.


Heulsuse des Jahres
DJ Khaled
So verwöhnt muss man erstmal sein, dass man damit droht, Billboard zu verklagen, weil die eigene Platte nicht auf Platz eins einsteigt. DJ Khaled war schon immer komisch, aber bisher immer auf eine drollige Art. Seine eingeschnappte Grundhaltung 2019 zeigte allerdings, dass er tatsächlich ein Musiker ist, für den Kohle und Status die einzigen relevanten Faktoren sind. Die gute Nachricht: Dass sein neues Album Father of Asahd nicht die Eins holte, ging zugunsten einer Platte, die es tatsächlich viel mehr verdiente: Igor von Tyler, the Creator.


Arbeitstier des Jahres
Kenny Beats
Es war vielleicht bloß ein Eindruck, weil Kenny Beats 2019 mit den richtigen Leuten zusammenarbeitete, aber ich für meinen Teil hatte den Eindruck, dass der Typ dieses Jahr jeden zweiten Track produzierte. Zuletzt vertrauten sich so namhafte und vielfältige Künstler*innen wie Rico Nasty, Ed Sheeran, FKA Twigs, Dababy, Gucci Mane und Idles dem Beatmaster an, was ihm wahrscheinlich nicht nur viel Arbeit, sondern auch reichlich Knete bescherte.


Newcomer des Jahres
Jace
Die im Frühjahr veröffentlichte Pudding-EP war der Moment, an dem auch ich von diesem Typen überzeugt war. Stilistisch steht er irgendwo zwischen dem Deutschrap von LGoony, OG Keemo, Taktlo$$ und SSIO. Das tolle: Er kann nicht nur rappen und gute Vergleiche bringen, er ist auch entsprechend stilbewusst und schafft es, die richtigen Leute auf den Track zu holen. Das alles reicht dafür, auf sein Debüt (oder überhaupt auf eine etwas längere Platte) sehr gespannt zu sein.

Enttäuschung des Jahres
Ty Segall
2018 machte Ty Segall mit Freedom's Goblin die bisher beste LP seiner Karriere, 2019 kam dann nur Rotz. Das von Steve Albini produzierte Live-Album Deforming Lobes war ein künstlerischer Totalausfall und sein "richtiges" Studioprojekt First Taste zeigte ein paar Monate später einen gelangweilten Künstler, der die abgekauten Grundelemente seines Songwritings durchleierte. Als kurzes Formtief lasse ich ihm diese Saison durchgehen, aber 2020 will ich wieder Erfolge sehen.


Beste Platte, die alle anderen doof fanden
Lil Pump-Harverd Dropout
Selbst diejenigen, die das selbstbetitelte Debüt vor zwei Jahren mochten, waren von seiner zweiten LP durch die Bank enttäuscht. Ich hingegen finde, dass der Rapper hier erst so richtig in seine Schuhe hereinwächst. Das die Platte vollkommen albern ist, textlich sehr eintönig bleibt und Pump ein bisschen dümmlich rüberkommt, ist dabei in meinen Augen ein Qualitätsmerkmal. Genauso wie die Tatsache, dass sie musikalisch einfach ein totales Brett ist.


Schlimmste Platte, die alle anderen geil fanden
Lana del Rey-Norman Fucking Rockwell
Meiner Ansicht nach war Norman Fucking Rockwell qualitativ kein großer Unterschied zu Lanas letzter Platte Lust for Life: dröge, einschläfernd und viel zu lang. Das einzige, was diesmal anders war war die Tatsache, dass diesen Mist plötzlich alle zu mögen scheinen. Die Künstlerin tauchte 2019 in so vielen Bestenlisten auf, dass man sich fragen musste, was die denn alle geraucht hatten und das Ding viele Male nachzuhören, um das gewisse Etwas vielleicht noch zu entdecken. Aber sorry Leute, für mich ist hier nichts dabei.

Positive Überraschung des Jahres
Capital Bra & Samra-Berlin lebt 2
Sequels erfolgreicher Rap-Platten sind ohnehin eine schwierige Sache und daran gemessen, dass mir die Musik von Capital Bra vorher sehr egal war, hatte ich hier eigentlich keine großen Erwartungen. Mit dem sehr talentieren Newcomer Samra als Protegé und den besten Beats, die der Berliner jemals hatte, schneidert er hier aber ein äußerst befriedigendes Gesamtergebnis, das Deutschrap auch nicht nur zahlenmäßig was vormachen kann.


Bestes Comeback
Possessed-Revelations of Oblivion
Es ist nicht so, dass ich auf dieses Album gewartet hätte oder ähnliches. Als Possessed das letzte Mal aktiv waren, war ich noch in der Grundschule. Dennoch ist es großartig, hier eine Death Metal-Band der gaaanz alten Schule zu sehen, die sich mit ihrem ersten Studio-Gesamtwerk nach Ewigkeiten felsenfest in einer Szene positioniert, die sich in der Zwischenzeit mehrmals grundlegend verändert hat.


Debüt des Jahres
Walther Luft's Konflikt-Walther Luft's Konflikt
Weil es so lange und qualvoll für die Band war dieses Album zu machen und weil sich die ganze Mühe am Ende sowas von gelohnt hat. WLKs Debüt schafft es, die schwere Energie der Brand-Erbisdorfer für ein DIY-Projekt unglaublich gut einzufangen und glänzt durch ein geniales inhaltliches Konzept.



Schlechteste Platte des Jahres
Iggy Pop-Free
Es sah eigentlich so aus, als würde es musikalisch wieder aufwärts gehen mit Iggy: Sein letztes Band-Album Post Pop Depression von 2016 war gar nicht schlecht und seine Kollaboration Teatime Dub Encounters mit Underworld stellenweise sogar ziemlich genial. Free ist ein Jahr später aber einfach nur ein Totalausfall: Die Songs klingen wie in einer halben Stunde geschrieben, Instrumentierung und Produktion sind dünn wie Papier und dem Künstler selbst fehlt absolut jeder Charakter. Hoffentlich nur ein grober Ausreißer in der nach oben tendierenden Iggy-Diskografie.


Popsong des Jahres
Lil Nas X-Old Town Road
Es kann am Ende nur einen geben. Beziehungsweise viele, denn wenn man die unzähligen Remixes mitzählt, die Old Town Road in den letzten Monaten verpasst bekam, hat man fast ein ganzes Album zusammen. Alles in allem war dieser Track von Lil Nas X 2019 so omnipräsent wie Greta Thunberg und Impeachment-Anhörungen und wurde einfach nicht nervig. Auch wenn es der Karriere dieses Künstlers wahrscheinlich langfristig nicht gut tut.


Pop-Album des Jahres
Mark Ronson-Late Night Feelings
Ein Album voller genialer Hits und hochkarätiger Features, das aber die Konsistenz und die klangliche Führungsfeder hat, die eine gute LP für mich ausmacht. Gemeinsam mit Miley Cyrus, Yebba, Lykke Li, Camila Cabello und diversen anderen schafft der ewige Guru der unsterblichen Dauerbrenner eine sehr zeitgenössische LP, die aber auch sein typisches Disco- und Neo-Soul-Fieber teilt. Vielleicht sein bestes Album bisher.


Sommerhit des Jahres
Metronomy-Salted Caramel Ice Cream
Persönlicher Sommerhit, sollte man hinzufügen. Denn abgesehen von meinen gefühlt tausend Aufrufen lief dieser Song 2019 eher ein bisschen unter dem Radar. Was aber unfair ist, denn Metronomy sind nach wie vor für genau diese Tracks zu haben. Elektronisch abgekühlte Dancepop-Jams mit Texten wie aus einem Kinderlied und im übrigen auch einem sehr niedlichen Video. Zum dahinschmelzen.


Textplatte des Jahres
Kate Tempest-the Book of Traps & Lessons
Das "Buch" hat Kate Tempest diesmal schon im Titel und dass die Britin gerne ausführliche Texte schreibt, sollte man mittlerweile gewöhnt sein. Diesmal gräbt sie mit ihren psychoanalytischen Lyrics über die Gesellschaft um sich herum aber besonders tief und findet dabei so einige Narben zum aufkratzen. Vor allem aber eine Platte, die ohne diese Texte nicht viel wäre und die von den Dingen lebt, die die Rapperin hier sagt. Und lebendig ist sie auf jeden Fall.


Politisches Album des Jahres
Kate Tempest-the Book of Traps & Lessons
Von allen Alben, die in den vergangenen Jahren das Thema Brexit aufgriffen ist das hier bisher ganz klar mein Favorit. Und gerade deshalb, weil es sich eben nicht auf die üblichen Fick-das-System-Texte beschränkt, sondern tatsächlich abbildet, wie sich eine Gesellschaft verändert hat, wie sich darin Hass breit macht und wie es so viele gibt, die sich einfach verloren fühlen. Ein Album, das mit jeder Faser 2019 darstellt, ob nun auf der Insel oder hier.


Konzeptalbum des Jahres
Grim104-Das Grauen, das Grauen
Fast hätte hier ja auch Kate Tempest gestanden, aber dann erschien vor ein paar Wochen noch diese Platte und hatte nicht nur ein gutes Konzept, sondern ging dieses auch subversiv an. Das Grauen, das Grauen ist ein Horror-Album, allerdings eines, das ein sehr reales Bild von Grusel zeigt. Die Geister und Vampire hier sind vor allem Begegnungen des Alltags, Mitmenschen sowie innere und gesellschaftliche Zustände. Ein Album also, das die komplette Definition von Horror umdenkt und das ganze dann auch noch sehr gut umsetzt.
Coverversion des Jahres
Kirin J. Callinan-the Whole of the Moon
Das Coveralbum Return to Center von Kirin J. Callinan ist nicht das beste seiner Art und es umfasst vor allem seltsame Momente, mit einer Bearbeitung des Waterboys-Titels the Whole of the Moon gelingt ihm aber ein echter Knüller. Der Song hat in der Version des Australiers den ganzen Pomp eines Achtzigerpop-Hits im Stil von REO Speedwagon, dem Berlin-Bowie oder Spandau Ballet. Ein stimmungsvolles Retro-Cover mit jeder Menge Soul, das jetzt schon fast 12 Monate Spaß macht.

Schlechtester Song des Jahres
Andreas Gabalier ft. Arnold Schwarzenegger-Pump It Up (the Motivation Song)
Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Bei der Tatsache, dass Andreas Gabalier ganz generell nicht klargeht oder bei der, dass er hier auf englisch (!) rappt (!!!!), bei der furchtbaren Streichermusik oder bei der furchtbaren Performance, die Schwarzenegger hier abliefert. Ganz allgemein ein Song, den es nicht geben sollte und der trotzdem irgendwie passiert ist. Pfui deibel!






Punchline des Jahres

"Du weißt ich bin gemein, ich ess' dein Joghurt mit der Ecke" - Jace


Bester Beat des Jahres
Silkersoft-Graf Grim (Song von Grim104)

Bester Posse Cut
Fatoni, Mauli, Dexter, Juicy Gay & Mädness-Burj Khalifa Remix
Auf der Album-Version von Burj Khalifa gibt es schon einen ziemlich guten Part von Casper, dass Fatoni aber als Tour-Promo den Song nochmal mit seinen gefühlt fünftausend Openern aufnimmt, macht das Ding endgültig zum Knüller. Vor allem, weil auch alle Strophen erstaunlich gut geworden sind und Spaß machen. Trotzdem: Bei so viel Auflauf hätte Edgar Wasser hier auch noch hingepasst.

Am besten produzierte Platte
Föllakzoid-I
Eine so dermaßen experimentelle und meditative Platte würde gar nicht funktionieren, wenn sie mittelmäßig klingen würde und Föllakzoid wissen das. Deshalb haben die Chilenen für diese LP auf das komplette HiFi-Soundsystem aufgefahren, sodass man hier jeden Trommelschlag, jeden Basston und jede klangliche Nuance perfekt hört. Bringt dann natürlich auch nur was mit guter Anlage oder Kopfhörern.


Bestes Live-Album
Kettcar-...und das geht so
Quasi sowas wie das inoffizielle Greatest Hits-Album der Hamburger. In fast zwei Stunden spielen Kettcar hier alle wichtigen Hits ihrer Karriere, inklusive einiger von Marcus Wiebusch und fangen mit ein paar Zach Condon-Gedächnis-Bläsersätzen auch noch ein sehr schickes Ambiente ein, das vielen Tracks eine neue Perspektive gibt. In kurz: Das beste, was man als Fan von einer Kettcar-Live-LP erwarten kann.

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