Donnerstag, 26. Dezember 2019

Unterm Strich 2019: Die 25 besten Songs

FIDLAR
By Myself
aus dem Album Almost Free
Man kann By Myself als musikalische Antithese sehen, in der ein Partysong im Stil von Smash Mouth und Sublime auf Lyrics über depressive Episoden und Alkoholismus trifft, im Grunde genommen ist genau das aber die konsequente Forführung des inhaltlichen Grundgedankens der Gruppe Fidlar. Weil sie irgendwie schon immer die Band sind, die auch dann noch weiterfeiert, wenn es eigentlich schon lange nicht mehr lustig ist. Anhören

COLDPLAY
Orphans
aus dem Album Everyday Life
Es wird sich von den alten Fans ja viel darüber aufgeregt, aber in meinen Augen ist die euphorische Poprock-Hymne inzwischen eine der Sachen, die die Briten perfektioniert haben. Und mit Orphans schaffen sie eine weitere sehr ertragreiche Nummer in diesem Stil, die mich auch inhaltlich als Stück über eine im Krieg verlorene Jugend irgendwie überzeugt. Textlich einer der besten Coldplay-Songs der letzten Jahre und musikalisch eine der gute Laune-Bomben, die mich immer noch an diese Band glauben lässt. Anhören
HAIM
Summer Girl
aus der Single Now I'm in It
2019 war das Jahr, in dem die Haim-Schwestern ernsthaft damit anfingen, mich zu interessieren. Das lag an vielen guten Momenten und PR-Songs, maßgeblich verantwortlich dafür war allerdings dieser lauwarm-milde Sommerjam, der sich mit seinem arschcoolen Lou Reed-Vibe und den prominenten Saxofon-Passagen vom ersten Moment an bei mir festsetzte. Weniger Pop als man von dieser Band gewohnt ist, dafür wesentlich mehr kompositorsiche Tiefe. Anhören
JACE
Pudding
aus der Pudding-EP
Ein offensichtlicher Banger ist Pudding auf den ersten Blick nicht, weil der Beat eher subtil im Hintergrund knattert und die meisten Punchlines ein bisschen brauchen. Allerdings sind es letztlich auch genau diese beiden Faktoren, die mich dieses Jahr immer und immer wieder zu diesem Song zurückgebracht haben und es mittlerweile an den Punkt bringen, wo ich im Supermarkt nicht mehr an den Milchprodukten vorbeigehen kann, ohne einen Ohrwurm zu kriegen. Anhören
VAMPIRE WEEKEND
Harmony Hall
aus dem Album Father of the Bride
Zunächst war ich skeptisch, was die Comeback-Single der New Yorker anging, doch je öfter ich es hörte, desto sicherer war ich mir: Mehr Wiedergeburt des alten Sounds von Vampire Weekend werden wir so schnell nicht bekommen. Denn Harmony Hall hält zwar am sterilen neuen Sound der Band fest, bringt darin aber die ollen Afrobeat- und Sixties-Einflüsse sehr schön zurück und ist nebenbei ein lyrisch echt genialer Song, den die Gruppe früher so nicht geschrieben hätte. Anhören
THEES UHLMANN
Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hiphop-Videodrehs nach Hause fährt
aus dem Album Junkies & Scientologen
Thees Uhlmann ist eigentlich jemand, der in seinen Songs selten deutliche Ansagen macht und auch hier muss man ein bisschen nach dem suchen, was die große Message am Ende sein soll, doch es gibt sie. In Form einer kleinen Parabel, die sich sehr klar gegen Misogynie im Hiphop stellt und Uhlmann ein weiteres Mal als gutes Gewissen der deutschen Popmusik ausweist. Anhören

TUA
FFWD
aus dem Album Tua
Eigentlich ist Vater ja der stärkste Track auf dem neuen Tua-Album, proforma erschien der allerdings schon 2018. Ein Grund mehr, hier nochmal einen der besten Deep Cuts der Platte hervorzuholen, der beeindruckend zeigt, wie sehr der Stuttgarter dran ist am aktuellen Hiphop, wie wenig er sich aber trotzdem von der ganzen Sache beeindrucken lässt. Und natürlich, wie weit er inhaltlich über Deutschrap steht, aber trotzdem daran festhält. Anhören

BRING ME THE HORIZON feat. RAHZEL
Heavy Metal
aus dem Album Amo
Einer der Gründe, warum das neue Bring Me the Horizon-Album so viel besser ist als ihre alten Sachen ist die Selbstironie, mit der sie hier oft spielen. Und auf keinem Song funktioniert diese so schön wie auf Heavy Metal, einem Song über den oft gehörten Vorwurf, die Briten würden ihre Szene verraten. Was zusätzlich zu den salzigen Lyrics toll ist, weil hier trotz einem unszenigen Rahzel-Feature der härteste Song der ganzen Platte bei rumkommt. Anhören
THE CHEMICAL BROTHERS
We've Got to Try
aus dem Album No Geography
Nach inzwischen 30 Jahren Karriere müsste man meinen, die Chemical Brothers würden irgendwann auch mal ein Formtief erreichen, aber nichts da: die beiden Briten sind 2019 stabil wie eh und je. Und mit We've Got to Try haben sie auch im neuesten Albumzyklus einen dieser unfassbar genialen Banger angefertigt, der vielleicht ein bisschen altbacken klingt, aber dafür noch immer pumpt wie nichts gutes. Solche Jubilare hat man doch gerne! Anhören
RICHARD DAWSON
Jogging
aus dem Album 2020
Ich mag ja viele von diesen Songwriter*innen-Typen, die in ihren Songs auf sehr ausführliche, prosaische Lyrics bauen und dafür auch gerne Mal länger brauchen. Von all denen schafft es aber niemand, auf diese Weise einen Hit zu schreiben. Niemand bis auf Richard Dawson. Seine Leadsinge Jogging schaffte es diese Saison, gleichzeitig eine tiefschürfende Beobachtung psychischer und gesellschaftlicher Nöte und ein tierischer Ohrwurm zu sein. Und das ist nur eine wundersame Eigenschaft dieses Titels. Anhören
SHACK WES
YKTS
Veröffentlicht als Single
Shack Wes' Überraschungs-Hit Mo Bamba von 2018 war für mich ehrlich gesagt nie ein großes Thema, auch wenn er den Rapper als einen der Merkwürdigeren seines Metiers etablierte. Mit YKTS geht er diesen Weg konsequent weiter und schreibt hier einen Banger, der mit dem Wort "seltsam" noch unzureichend beschrieben ist. Allerdings diesmal so, dass ich davon nachhaltig fasziniert bin und den Typen nicht nur aufgrund seiner weirden Ästhetik feiern kann. Anhören
BEAST IN BLACK
Die By the Blade
aus dem Album From Hell With Love
Es ist offiziell: Ich mag jetzt auch Power Metal. Oder zumindest war dieser Track von Beast in Black ein Grund, neugierig zu werden. Die By the Blade ist tiefster Metal-Schmalz, inklusive Lederkutten, V-Neck-Klampfen und Mortal Combat-Lyrics, aber mit der kompositorischen Finesse von Modern Talking und Journey. Und bei aller Befremdlichkeit sorgt diese Kombination am Ende für einen kleinen Megahit, der vor allem Spaß macht. Anhören

ALDOUS HARDING
the Barrel
Aus dem Album Designer
Im Februar diesen Jahres machte mich the Barrel kurz sehr neugierig auf den intelligenten Erwachsenen-Pop von Aldous Harding. Das dazugehörige Album fiel dann leider sehr enttäuschend aus, doch dieser Song wurde im Laufe der Monate immer besser. Nicht nur wegen des ulkigen Tanzperformance-Videos der Australierin, sondern vor allem, weil hier wirklich viel musikalischer Charakter und Charme mit einfließt. Anhören

WAVING THE GUNS feat. SKETCHONE
Das Privileg
aus dem Album Das muss eine Demokratie aushalten können
Man kann und sollte diesen Song von Waving the Guns natürlich für die politische Message feiern, die sie hier wieder mal sehr schön formulieren. Ein Highlight ist das Privileg für mich aber vor allem deshalb, weil es so viel klassischen Hiphop-Geist atmet. Beat und Hook erinnern an gut gezogenen Endneunziger-Bambule-Style und die Band nimmt sich hier den Platz, auch lyrisch große Gedanken zu positionieren. Dass die Botschaft dabei genauso stimmt, ist dann nicht mehr als ein schicker Bonus. Anhören
LEONARD COHEN
Happens to the Heart
aus dem Album Thanks for the Dance
Ganz kurz vor Jahresende erschien mit Thanks for the Dance noch der posthume Konterpart zu Leonard Cohens letztem Album You Want it Darker, der insbesondere mit diesem starken Opener nochmal richtig Eindruck schindet. Happens to the Heart ist ein Song voller Weisheit, der von der unbarmherzigen Schwere des Lebens handelt und in das Cohen nochmal sein ganzes finsteres Timbre legt. Sicherlich die letzte große Nummer des genialen Songwriters. Anhören
SLAYYYTER
Cha Ching
aus dem Album Slayyyter
Slayyyter war für mich 2019 nicht weniger als die logische Konsequenz und die konsequente Abrundung der ganzen Post-PC-Music-Bewegung der letzten Jahre und ganz nebenbei die LP, die mit der halbironischen Arufarbeitung des Max Martin-Sounds der frühen Zwotausender die fettesten Banger produzierte. Cha Ching klingt dabei ein bisschen weniger nach Britney Spears und mehr nach M.I.A. und Gwen Stefani, der Spirit ist aber auf jeden Fall da. Anhören
FUTURE FRANZ
Raucher
aus der EP Normal
Dass der Humor des ersten Soloprojekts von Future Franz aka Äh, Dings am Ende doch ziemlich einseitig und die Musik nervtötend ist, fand ich sehr schade, gerade weil das ganze im Frühjahr mit Raucher so schön anfing. Die Single ist ein Bilderbuch-Beispiel für coolen Comedy-Indiepop, bei dem die verpeilte Performance des Künstlers ausnahmsweise zu seinen Gunsten funktioniert. Anhören

CONNY OCHS
Dark Tower
aus dem Album Doom Folk
Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass Conny Ochs solche Perlen noch schreiben, doch kam im Januar dann zumindest diese eine. Dark Tower ist der musikalische Nachruf des Hallensers an Soundgarden-Frontmann Chris Cornell, was man im Songwriting auch ein bisschen merkt und was dem Titel indirekt vielleicht diese schicken Gesangsmelodien verpasst hat. Abgesehen davon ist es aber durch und durch ein Conny Ochs-Stück, das nach langem mal wieder zeigt, was der Typ kompositorisch drauf hat. Anhören
GRIM104
Graf Grim
aus dem Album Das Grauen, das Grauen
Meine erste Reaktion war ehrlich gesagt, dass Grim hier ganz schön dreist bei Denzel Curry geklaut hat. Und irgendwie stimmt das auch immer noch, nur habe ich zwischendurch auch andere Facetten daran erkannt. Dinge wie die poetische Sprachwahl, die großartige technische Leistung des Berliners oder die Art, wie er sich hier sehr innovativ an verstaubten Gruselroman-Klischees abarbeitet. Am Ende des Jahres einer der ungewöhnlichsten Banger, die ich seit langem hören durfte. Anhören
KIRIN J. CALLINAN
the Whole of the Moon
aus dem Album Return to Center
Es ist schon fast das ganze Jahr her, dass Kirin J. Callinan diese Coverversion des Waterboys-Songs the Whole of the Moon veröffentlichte, und bis heute konnte ich mich nicht dazu durchringen, auch nur einmal das Original anzuhören. Primär liegt das aber daran, dass es an Callinans Interpretation nichts gibt, das ich vermissen würde und er die Nummer so genial performt, als wäre es seine eigene. Und dass ich sie am Ende besser finden würde als die ursprüngliche, davon bin ich sowieso überzeugt. Anhören
KING GIZZARD & THE LIZARD WIZARD
Fishing for Fishies
aus dem Album Fishing for Fishies
King Gizzard & the Lizard Wizard waren auch 2019 wieder ziemlich überpräsent und viel blieb von dem allem wieder nicht hängen, mit Fishing for Fishies jedoch haben sie vielleicht einen ihrer größten Konsens-Nummern geschrieben. Zwar ist die jazzige Veganismus-Hymne auf der Rock'n'Roll-Skala verhältnismäßig weit unten, doch ist der Song einfach unfassbar catchy und tut mit dem niedlichen Trick-Video das übrige. Anhören
METRONOMY
Salted Caramel Ice Cream
aus dem Album Metronomy Forever
Das neue Metronomy-Album setzt als innovative Neuerung erstmals stärker auf Rock- und Indie-Einflüsse, was auf jeden Fall ein spannendes Thema für sich ist. Der beste Song daraus ist jedoch nach wie vor ein klassischer Joe Mount: Salted Caramel Ice Cream ist ein sommerlich-cooler Elektropop-Jam mit herrlich naiven Lyrics und dem typisch schmalen Falsett des Briten, der an die goldenen Zeiten von the English Riviera erinnert. Vielleicht ihr größter Hit seitdem. Anhören
JUJU
Coco Chanel
aus dem Album Bling Bling
Lange habe ich mich gefragt, ob nicht lieber die großartige Hit-Ballade Vermissen an dieser Stelle stehen sollte, doch am Ende ist der beste Juju-Song in diesem Jahr ganz klar Coco Chanel. Er ist nicht nur definitiv der größte Rap-Moment auf dem Album, sondern auch die definitive Visitenkarte für den Style der Berlinerin: Technisch brilliant, arrogant und asozial, aber auch mit mehr Understatement als bei SXTN. Wenn das so weitergeht, könnte ich mich daran gewöhnen. Anhören
BILDERBUCH
Europa 22
aus dem Album Vernissage My Heart
Es ist einerseits der krönende Abschluss und die Sahnehaube auf dem neuen Album der Österreicher, bedeutet für Bilderbuch aber eigentlich noch viel mehr. Nämlich nicht weniger, als das die Band hier vollends ausgebrochen ist aus dem Korsett der Hitmaschine, die sie vor fünf Jahren waren. Mit neun Minuten exzessiver Jam-Romantik ist Europa 22 die Single, die endgültig mehr und anders sein will und die dem Konzept Bilderbuch damit besser tut als jedes Bungalow der Welt. Anhören
KATE TEMPEST
People's Faces
aus dem Album the Book of Traps & Lessons
People's Faces ist ein Song der wehtut, mehr noch als die ganzen anderen schmerzhaften Songs auf dem neuen Album von Kate Tempest. Er tut aber auch deshalb weh, weil er viele sehr wahre Dinge sagt. Weil er viele unschöne Dinge erkennt, die die Welt in diesem Jahr beschäftigen und der aufzeigt, wie es alle um uns herum fertig macht. Deshalb ist er für mich irgendwie sowas wie die Essenz von 2019. Kein schöner letzter Eintrag für so eine Liste, aber wie ich finde ein sehr passender. Anhören


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