Dienstag, 19. März 2024

Konzertbericht: Nur heute Nacht

 




BOHREN & DER CLUB OF GORE
HAMMERHEAD
15.03.2024
Die Börse, Wuppertal


Wenn ich sage, dass das Konzert der Gruppen Hammerhead und Bohren & der Club of Gore an diesem Freitag in der Wuppertaler Börse ein einzigartiges war, dann meine ich das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn dass sich die Konstellation aus beiden Bands an einem Abend ergab, ist ein einmaliges Phänomen in ihren jeweiligen Tourkalendern und rein stilistisch ja auch alles andere als eine naheliegende Verbindung. Auf der einen Seite Bohren als nominelle Headliner, eine zum Teil fast ambient anmutende Darkjazz-Combo ohne Texte, auf der anderen Hammerhead, das frisch zurückgekehrte NRW-Hardcore-Urgestein, eine Punkband im besten Sinne mit rotzigen Auf die Fresse-Parolen gegen Staat und Kapital. Weshalb es völlig logisch ist, dass ein solcher Konzertabend quasi in zwei verschiedenen Welten stattfindet, die beide auf ihre Art fantastisch und somit berichtenswert sind.
Den Anfang machen ziemlich pünktlich um Viertel Neun die Punker aus Bonn mit einem knackigen, 45-minütigen Set ohne viel Schnickschnack. Ihr Konzert besteht aus einem hingebolzten Knüppel nach dem anderen, der Sound ist herrlich lärmig und konsequenterweise gehen die meisten Ansagen von Tobias Scheiße auch länger als die Songs selbst. Nur knapp ein Viertel des Sets bestreiten Hammerhead dabei mit Stücken von der neuen Platte, gespielt wird stattdessen überwiegend Zeug von ihrem Weißen Album und der Opa war in Ordnung-EP. Und da es in ihrem Katalog eh keine wirklichen Hits gibt, braucht es auch weder einen epischen Closer noch hochstilisierte Zugaben. Weshalb sie ebenso zackig und unkompliziert wie sie angefangen haben auch schon wieder weg sind. Inklusive der Beseitigung aller Andeutungen auf eine Punkrock-Show, denn etwa eine halbe Stunde später begibt man sich mit dem Set von Bohren & der Club of Gore nicht nur musikalisch in ein Paralleluniversum. Hier ist von der pragmatischen Rock-Einrichtung der Vorband nichts mehr zu sehen, dafür wurde der Teil des Saals, in dem gerade noch vorsichtige Pogo-Ansätze zustande kamen, komplett bestuhlt. Auf der Bühne herrscht schon zum Aufbau Dämmerlicht und neben dem leuchtenden Bohren-Bandlogo steht nun fast schon abstrakt das kombinierte Multifunktions-Equipment des Trios. Zehn Minuten vor Beginn des Konzerts fährt das Licht dann komplett runter und ein lulliger Synth-Loop übernimmt die Atmo-Konserve, auf den die Band Schlag 21 Uhr 30 den ersten Takt von Prowler im türkisen Schummerlicht spielt. Insgesamt drei Stücke nutzt die Band anschließend, um das Publikum in die gloomige Nachtclub-Atmosphäre einzuspinnen, bevor Christoph Clöser das erste Mal zum Publikum spricht. Als Neuling der Bohren-Konzerterfahrung hatte ich eigentlich überhaupt nicht mit Moderationen gerechnet, im folgenden Verlauf des Gigs erweisen sich diese durch ihre trockenhumorige Art aber immer wieder als Highlights der Show, die zwischendurch die kunstige Schwere der Musik brechen. Diese selbst ist in jedem Moment klasse, komplett on point performt und auch klanglich ahnbar beeindruckend. Nicht zuletzt dadurch, dass man aufgrund der verhaltenen Lautstärke nicht zwingend einen Gehörschutz braucht und viel mehr einzelne Nuancen raushört. Eine besondere Konzerterfahrung sind die Mülheimer aber auch strukturell. Denn ebenso wie auf ihren Alben haben Bohren auch live einen gewissen Hang zur Monotonie, den man mögen muss. Ich würde die Gleichförmigkeit ihres Sets, das sowohl aus alten Songs als auch Sachen von der neuen Platte und komplett unveröffentlichten Tracks besteht, nicht mal als etwas negatives sehen, sondern schlichtweg als ungewohnt. Denn auch sie sind auf ihre Art eine Band ohne offensichtliche Setcloser und große musikalische Finalmomente, weswegen die Spannungskurve ihrer Show sehr linear verläuft. Bohren live zu sehen ist ein bisschen wie ein Alpenpanorama zu betrachten: Es macht keinen Unterschied, ob man es drei Minuten oder drei Stunden tut, schön ist es so oder so. Ebenso wird es mit der Zeit aber auch nicht besser oder schlechter, sondern hält den Grad seiner Faszination sehr konstant. Das einzige, was ab einem bestimmten Punkt dieses konkreten Abends nervt sind Teile des Publikums, die offenkundig eher wegen Hammerhead hier sind und sich ab und zu aus dem Barbereich in den Saal verlaufen. Und weil die Musik des Konzerts wie gesagt verhältnismäßig leise ist, hört man hier immer wieder Einzelgespräche, beziehungsweise schwappt zum Teil der wesentlich höhere Lautstärkepegel aus dem Foyer herein und zerstört ein bisschen die sonst perfekte Immersion. Ein großes Problem ist das aber nicht und am Ende vielleicht der einzige kleine Wermutstropfen einer sonst echt genialen Live-Konstellation.
Gerade das Hammerhead und Bohren auf so unterschiedliche Weisen ihren jeweiligen Genre-Klischees entsprechen, macht diese zwei Konzerte für mich letztlich zu so einer speziellen Erfahrung, die mir wohl lange im Gedächnis bleiben wird. Es hätte ja an sich schon gereicht, hier zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und an einem Abend zwei Bands zu sehen, die ich eh gut finde. Es hätte auch die Gewissheit gereicht, hier eine Kombi von Acts zu erlebt zu haben, die wahrscheinlich nie mehr wieder gemeinsam spielen wird. Die Wucht war aber letztlich, wie geil und wie krass unterschiedlich beide Konzerte waren und wie ebendiese Kombi am Ende doch mehr war als die Summe ihrer Teile. Definitiv mein erstes großes Konzerthighlight 2024.



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