Donnerstag, 14. März 2024

Review: Nice to Know You

INCUBUS
Morning View
Epic
2001
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ aufgeklart | sauber | meditativ ]
 
In ein paar Monaten werden Incubus nach einigen Verzögerungen und nicht mehr ganz pünktlich zum zwanzigjährigen Jubiläum des Albums eine komplett neu aufgenommene und überarbeitete Version von Morning View veröffentlichen, auf die ich aktuell tatsächlich mehr gespannt bin als ich es vielleicht sein sollte. Denn eigentlich schaffen Projekte dieser Art, bei denen alte Bands ihre großen Platten von einst nochmal neu aufnehmen, ja in den seltensten Fällen wirklichen Mehrwert und sind meistens eher zynische Cashgrabs für die Nostalgie-Kundschaft. Nicht nur bin ich aber gewissermaßen Teil ebendieser Kundschaft, da Incubus und insbesondere Morning View eine der größeren Obsessionen meiner Teenagerzeit waren (tatsächlich war die zweite oder dritte Besprechung, die ich überhaupt jemals über ein Stück Musik schrieb, eine zu diesem Album), auch klingen die bisher veröffentlichen Tracks nach einer wirklichen Aufwertung des Materials. Aber kommen wir dazu, wenn das Ding tatsächlich draußen ist. Erstmal will ich meine Vorfreude auf das Release hier mit einer (erneuten) Besprechung des Originals kanalisieren und dabei auch für mich zwei Fragen klären. Erstens: Finde ich Morning View überhaupt noch so geil wie mit sechszehn und zweitens: Heißt eine Neuaufnahme dieses Albums eigentlich, dass es rückblickend das wichtigste von Incubus ist? Und wenn ja, wieso? Zugegeben, Frage Nummer eins ist recht einfach zu beantworten: Ja. Obwohl ich im Nachhinein froh bin, dass es eine Phase gab, in der ich mich von meinem Fantum zu dieser Band emanzipieren konnte, ist Morning View für mich das Gegenteil einer Jugendsünde. Auf paradoxe Weise hat gerade das kürzliche Revival von New Metal aus dieser Zeit dafür gesorgt, dass Incubus als einer der wenigen Acts dieser Gattung, die immer schon mehr auf Zeitlosigkeit bedacht waren, jetzt etwas altbacken klingen, eine Kritik soll das aber nicht sein. Denn letztlich bedeutet das einfach nur, dass sie weniger dem Klischee dieser Musik entsprechen. Wobei ich beim erneuten Hören der Platte noch etwas festgestellt habe: Wo andere Bands im Laufe der Zeit (zumindest potenziell) weiter über den Tellerrand schauen und experimenteller werden, bestand die Größe von Incubus in entscheidenenden Momenten darin, sich zu reduzieren und klarer zu werden. War S.C.I.E.N.C.E. 1997 noch ein ziemlicher Kraut- und Rüben-Mix an Stilen und Dynamiken, war der Nachfolger Make Yourself deshalb besser, weil er diese besser ordnete. Morning View setzte diesen Sortierungsprozess fort und auch danach waren die Incubus-Alben die besten, die sich auf eine Richtung von neuen Ideen begrenzten und dafür alte aussortierten. Wobei das auch nie hieß, dass die Band sich kreativ zurückhielt. So war es auf diesem Album Gitarrist Mike Einzigers Faible für ostasiatische Harmonien und Kompositionsweisen, die in Songs wie Just A Phase, Echo und vor allem dem Closer Aqueous Transmission neue Richtungen vorgab. Auf der anderen Seite ist Are You In? den funkig-jazzigen Ideen auf den ganz frühen Incubus-Platten nicht unähnlich, funktioniert aber als wesentlich cleanere Version ohne Schnickschnack. Überhaupt ist Morning View für mich die Platte der Band, die abgesehen von ihren ganz neuen Sachen am saubersten klingt. Einerseits in der Produktion, wo selbst die krachigen Riff-Momente eine anregende Klarheit haben, andererseits im restlosen Abstreifen der Edgyness, die auf Make Yourself noch in Spurenelementen da war. Am Ende ist letzteres sicher auch der Faktor, der Incubus zu einer der New Metal-Bands mit der besten Halbwertszeit machte: Ab einem bestimmten Punkt bauten sie nicht mehr auf einen Schockeffekt oder angstige Psychosen, sondern auf die Komplexität ihres eigenen Innenlebens. Brandon Boyd als Texter ist dabei von entscheidender Bedeutung und auch wenn ich ihn inzwischen nicht mehr für so clever halte wie als Teenager, ist er doch an vielen Punkten der Motor der klanglichen Reife dieser Band. Zeilen wie "7 A.M. / the garbage truck beeps as it backs up / and I start my day thinking about what I've thrown away" wären trotz ihrer manchmal etwas prätenziösen Art eben nie im Leben von einem Jonathan Davis oder Chester Bennington gekommen. Außerdem hat sein Gesangsstil trotz einer nicht unkomplizierten Technik eine gewisse Leichtigkeit, die gemeinsam mit der Musik immer mal den Druck rausnimmt. Kurz gesagt: Ja, Morning View ist immer noch geil. Die Frage, ob es nun das wichtigste der Band ist, ist schon etwas komplizierter. Auf der einen Seite hat es für mich immer eine sehr zentrale Bedeutung in ihrem Katalog eingenommen, was aber auch daran liegen könnte, dass es ihr erstes war, das ich überhaupt vollständig hörte. Und an sich entstammt es zumindest der Zeit ihrer größten Bekanntheit. Auf der anderen Seite kann man aber auch argumentieren, dass die Hauptarbeit der Vorgänger Make Yourself schon gemacht hatte. Er war es, der dem Sound von Incubus in ein knackiges Korsett verpasste und ihn für die nächsten Jahre definierte. Ganz zu schweigen davon, dass sich auf dieser Platte mit Drive auch der eine richtig große Mainstream-Hit der Band befindet. Morning View hatte drei Jahre später mehr Aufmerksamkeit, ging damit aber nicht wirklich weit. So sehr ich das Album in vielen Punkten auch mag, ist es doch kaum eine wirkliche Weiterentwicklung seines Vorgängers und vergeht sich eher in minutiösem Finetuning als in wirklicher Progression. Und mit Wish You Were Here hat es zwar auch einen Hit, der tritt aber auch ein bisschen auf der Stelle. Um einzuschätzen, wie Morning View das Projekt Incubus wirklich voranbrachte, muss man sich nur seinen Nachfolger A Crow Left of the Murder angucken: Hier wagte die Band wirklich einen größeren Stilwechsel, war aber auch wieder grantiger und definitiv weniger eingängig. Weswegen sie bis heute eine der Platten der Band ist, die ich am wenigsten mag und mit der ich nie wirklich warm wurde. Und kommerziell gesehen war das auch die Phase, in der Incubus (wohl auch durch das Ende von New Metal als großer Trend) wieder stärker als Indieband wahrgenommen wurden und sich als potenzielle Popstars verbraucht hatten. Obwohl Morning View also ein tolles Album und vielleicht sogar das beste dieser Band ist, kann es im großen und ganzen nicht der Klassiker der Band sein. Dass es trotzdem das Reissue-Treatment kriegt und seinem Vorgänger in dieser Hinsicht vorgezogen wird, sehe ich aber trotzdem gerne. Denn für mich persönlich ist es auch jeden Fall das wesentlichste Incubus-Album.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11


Persönliche Höhepunkte
Nice to Know You | Wish You Were Here | Just A Phase | 11 AM | Mexico | Echo | Are You In? | Aqueous Transmission

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Audioslave
Audioslave

Deftones
Koi No Yokan


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen