Um Festzustellen, welch eine besondere und einzigartige Bedeutung das Jahr 1967 in der Popkultur bis heute hat, braucht man sich in meinen Augen nur eine einzige Sache vergegenwärtigen. Nämlich dass eines der wenigen Jahre im kollektiven Gedächnis unserer Zeit ist, das nicht nur durch sich selbst bezeichnet wird, sondern dem zudem auch noch ein klangvoller Spitzname zuteil wurde: Der des sagenumwobenen Summer of Love. Ein Name der auch über ein halbes Jahrhundert danach noch den Hauch von Aufbruch, Spiritualiät und hippieskem Selbstverständnis versprüht. Und wo ich bisher immer dachte, dass eine solche Bezeichnung einfach nur ein bedeutungsloser Mythos der Babyboomer-Generation war, um eine bestimmte Form von Nostalgie zu manifestieren, habe ich in den 12 Monaten, in denen ich nun an diesem Post gearbeitet habe, schon ein bisschen festgestellt, dass etwas sehr spürbares dahintersteckt. Zumindest dann, wenn man sich mit der Musik aus dieser Zeit beschäftigt und die auf eine durchaus greifbare Weise anders klingt als die in den Jahren davor. Irgendwie befreiter, irgendwie experimenteller und irgendwie komplexer. Zwar muss man der Korrektheit halber sagen, dass die Wurzeln dieser Befreiung von einzelnen bereits davor gesät wurden und insbesondere 1966 eigentlich den Charakter eines Durchbruchs haben sollte, in der Musik von 1967 ist der aber universell nachzufühlen. Nicht nur in der Hinsicht, dass das Schlagwort der Psychedelik in allen Ecken und Enden um sich greift und selbst bieder-gefällige Acts wie Peter, Paul & Mary oder the Mamas & the Papas sich vorsichtig daran orientieren, auch außerhalb der Stilgrenzen der Rockmusik ist eine neue Abenteuerlust zu spüren. Jazz wird spirituell und esoterisch, Folk entdeckt seine verschwurbelte Seite, Soul und Funk werden zunehmend politisch und in Jamaika entwickelt sich die Ska-Bubble langsam in Richtung des religiös-prophetischen Sounds des Reggae weiter. Klar gibt es dabei hier und da auch Acts, die bei dieser klanglichen Revolution nicht mitziehen und einige davon werden sich in dieser Liste auch weiterhin finden, doch ist es schon erstaunlich, wie hier tatsächlich eine Art Kipppunkt in der modernen Popmusik stattfindet, der auch heute noch nachzuvollziehen ist. Und der in dieser Instanz nicht nur der Beginn einer neuen Zeit für selbige ist, sondern vor allem freudestrahlend optimistisch in die Zukunft weist: 1967 erscheinen die Debütalben der Doors, von Jimi Hendrix, Pink Floyd, David Bowie und the Velvet Underground. Und obwohl keine dieser Platten letztendlich auf dieser Liste auftaucht, zeigen sie sich schon hier als Vorhut einer neuen Ära von Künstler*innen, die in dieser Saison beginnt. Wo wir aber schon mal bei meinen Hot Takes dieser Liste sind: Ebenfalls nicht in diesem Post vertretene Alben sind Forever Changes von Love, Safe As Milk von Captain Beefheart, I Never Loved A Man the Way I Loved You von Aretha Franklin, Disraeli Gears von Cream und Surrealistic Pillow von Jefferson Airplane. Ich bin und bleibe eben ein Querulant bei solchen Sachen. Dafür sind allerdings zum ersten Mal seit ihrem Debüt die Beatles wieder gelistet. Allerdings auch nicht mit der Platte, an die man jetzt auf Anhieb denken würde. Und gerade in den oberen zehn Plätzen mag es einige vielleicht erstaunen, dass es eben nicht nur die Großgötzen der Rockmusik sind, die diese einnehmen, sondern vornehmlich Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Soul, Jazz und Funk sowie verschiedener internationaler Strömungen. Bei einer solchen Dichte an Klassikern und tollen Impulsen, wie sie diese eine Saison produziert hat, hat man aber auch echt die Qual der Wahl. Und ich habe lange genug gebraucht und gründlich genug recherchiert, um meine hier begründet zu verkünden.
Zum abschließenden Vorgeplänkel noch ein paar übliche Richtlinien und Hinweise:
1.
Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und
nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht
auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so
nennenswert, dass es hier auftaucht
2.
Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen und ist sogar sehr
wahrscheinlich, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier zu einem
späteren Zeitpunkt ändere oder hinterfrage.
29.
JEFFERSON AIRPLANE
After Bathing at Baxter's
RCA Victor
Psychrock
Einer
dieser Fälle, in denen das vorangegangene Album definitiv das
innovatiere und bekanntere ist, das künstlerisch die Impulse setzte, die
Platte danach daraus aber die besseren Songs machte. Den groben Entwurf
von Psychrock, den im Februar desselben Jahres Surrealistic Pillow andachte, setzt After Bathing at Baxter's
neun Monate später nochmal ein ganzes Stück wilder, kompromissloser und
trotzdem zentrierter um. Weg von den Radiosingles des Vorgängers
verfassen die Kalifornier hier plötzlich mehrteilige Suiten, die dann
auch gerne mal in vertüdelten Klangcollagen resultieren und den
bluesig-folkigen Vibe ihrer ersten Platten ein ganzes Stück in die
Richtung von etwas peitschen, das kurze Zeit später als Acid Rock
bekannt werden sollte. Wobei das zum Glück auch nicht heißt, dass Jefferson
Airplane keine fantastische Einzeltracks wie Martha oder Young Girl Sunday Blues
mehr schreiben oder ihre Wurzeln im Folkrock vernachlässigen würden.
Definitiv eines der Alben, das beispielhaft für den Aufbruchsgeist des
Summer of Love steht und in meinen Augen genauso deutlich in die Zukunft
weißt wie sein legendärer älterer Bruder.
Das beste daran: Wie man in Young Girl Sunday Blues quasi schon die halbe Origin Story des Sounds von Can heraushören kann.
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28.
THE PEANUT BUTTER CONSPIRACY
the Peanut Butter Conspiracy is Spreading
Columbia
Sunshine Pop
Dass the Peanut Butter Conspiracy is Spreading
auf jeden Fall einer der besten Plattentitel der gesamten Pophistorie
ist, sollte ich nicht extra betonen müssen und in meinem Fall hat dieser Umstand
immerhin dafür gesorgt, dass ich auf diese Band überhaupt erst
neugierig wurde. Wo man hinter so einem Namen aber eigentlich hirnverbrannten
Psychrock der Marke Zappa oder Captain Beefheart vermuten würde, ist hier
eher das Gegenteil der Fall und das Debüt der Kalifornier eine ziemlich
zahme und Folk-inspirierte Sunshine Pop-Angelegenheit irgendwo zwischen
den Byrds und Jefferson Airplane. Ernüchternd ist das keineswegs, da diese Gruppe trotz allem das ausdrucksstarke Songwriting und das
performative Charisma hat, um hier eine ganze Reihe starker Songs
aneinanderzureihen und damit durchaus für jede Menge Kurzweil zu sorgen. Schade,
dass die im Titel angedeutete Verbreitung das ganzen dann doch eher
verhalten stattfand und die Platte ihrerzeit nur knapp die Top 100
knackte.
Das beste daran: Dass Jefferson Airplane sich wünschen würden so coole Gesangsharmonien zu haben.
🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
27.
THE MOODY BLUES
Days of Future Passed
Deram
Barockpop
Wahrscheinlich
hat keine andere Band während der Hochzeit der Bewegung die Prämisse
des Barockpop so weit getrieben wie the Moody Blues auf diesem Album,
die hier mit ihrem dritten Longplayer ein vollwertiges Klassik-Crossover
mit allen Registern auftafeln und es ist ein bisschen schade, dass den
meisten davon nur die reichlich eingekürzte Leadsingle-Version des
Closers Nights in White Satin in Erinnerung geblieben ist. Denn
was die Briten hier drumherum gestalten, ist nicht weniger als eine
filigran konzipierte Pop-Sinfonie, die es tatsächlich schafft, die
kategorisch gegensätzlichen Disziplinen des Popsongs und des
orchestralen Zyklus zu verbinden und für beides ein ziemlich gutes
Beispiel zu sein. Inklusive diverser über die gesamte Spielzeit immer
wieder aufgegriffener Themen und einer kompositorischen Strategie, die
fast den beethoven'schen Entwurf eines Sonatenhauptsatzes
wiederspiegelt. Ein ebenso skurriles wie opulentes Kleinod der
verrückten musikalischen Phase, die die späten Sechziger waren und alles
in allem ein Album, das definitiv mehr Fans haben sollte.
Das beste daran: Dass Nights in White Satin trotzdem noch mit Abstand der beste Song der Platte ist.
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26.
ERIC BURDON & THE ANIMALS
Winds of Change
MGM Psychrock
Die Animals um den ewig kreativ pushenden Eric Burden waren schon zu
Anfang der Sechziger eine ziemlich ideenreiche und gehörig innovative Band, die
auch um eine gewisse Wildheit nicht verlegen waren und unter den Pionieren der
British Invasion zu den ungezähmtesten und zotteligsten gehörten. Mit der
Herausstellung von Burdon als Frontmann findet 1967 auch die Hinwendung ins experimentelle statt und resultiert vor allem auf Winds of Change
in
einem herrlich flamboyanten und freakigen Mission Statement, das an
vielen Punkten schon die Arbeit andeutet, die dieser später mit War
weiter vertiefen würde. Da gibt es eine
der besten Coverversionen des Stones-Klassikers Paint It Black, mit the Black Plague eine mittelalterliche Spoken Word-Sinfonie, mit
Man-Woman einen der ersten Funk-Ausflüge von Burdon und mit Yes I
Am Expierienced sogar eine ziemlich gute Jimi Hendrix-Parodie. Alles in
allem mag das etwas ungelenk und albern wirken, irgendwie ist es aber auch wahnsinnig
unterhaltsam und vor allem ein wichtiges Zeugnis der wilden Energie, die Eric
Burdon hier nicht zum letzten Mal anzapft.
Das beste daran: Wie die Animals das bei den Stones so knackige Paint It Black auf satte sechs Minuten auswalzen.
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25.
ZIMBO TRIO
Zimbo Trio + Cordas: É Tempo de Samba
RGE
Samba Jazz
Es
ist nicht das erste Mal, dass ich das Zimbo Trio aus São Paulo hier als
Meistertechniker des Samba Jazz über den grünen Klee lobe und in der
stetigen Entwicklung der Brasilianer seit Anfang der Sechziger war ihr
erstes Cordas-Album 1967 einfach nur der logische nächste
Schritt. Wo der Einsatz von Streichern bei so manchem MPB-Sternchen ja
dafür sorgte, dass deren Songwriting plötzlich verkitscht und seifig
wurde, ist es hier ein weiteres Mal der technischen Brillianz dieser
Band geschuldet, dass genau das auf É Tempo de Samba nicht
passiert. Denn für die uhrwerkpräzise Rhythmik und die fluffigen
Harmonien des Trios bedeutet der zusätzliche Zinnober letztendlich nur,
dass es hier ein paar aufaddierte Schnörkel gibt, die zwar durchaus
prominent platziert sind, in der Komposition der Gruppe aber in keinem
Moment rumpfuschen. Im Gegenteil, diese wird dadurch sogar optimal
ergänzt. Schade bloß, dass sich davon inzwischen kaum Versionen mit
zufriedenstellendem Sound finden lassen.
Das beste daran:
Wenn in Anoiteceu nach dem kurzen Klavierpart zum ersten Mal die
üppigen Streicher hereinschwallen und man weiß, dass das hier ein neues
Erlebnis mit dieser Band sein wird.
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24.
THE HOLLIES
Butterfly
Parlophone
Barockpop
Ausgerechnet die Hollies, die immer ein bisschen als tingelig und verkitscht geltende britische Konsenstruppe (bekannt hierzulande vor allem durch ihren Schmacht-Hit the Air That I Breathe von 1974), machte 1967 nicht nur eines, sondern mit Evolution und Butterfly gleich zwei der meiner Meinung nach stärksten Barockpop-Alben der Saison, die für mich beide zur goldenen Mitte dessen gelten, was die Bewegung zu dieser Zeit in Großbritannien veranstaltete. Wobei letzteres hier als das marginal bessere den Vorzug erhält. Die besten Tricks klauen sie darauf von den Beatles und den Beach Boys, klingen aber stilistisch gefestigter (damals war ja immerhin noch Graham Nash mit dabei) und setzen psychedelische Schwurbelei sehr bewusst ein. Und klar machen sie damit eher gängige Popmusik als große Schritte in die Zukunft, sie verpassen der Marke Barockpop aber einige echt starke Hits und zwei mehr als solide Gesamtwerke, die stilistisch so richtig im Saft stehen.
Das beste daran: Wie der Echoeffekt im Opener Dear Eloise gleich am Ende der ersten Strophe klar macht, dass Psychedelik hier ein Thema ist.
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23.
BOBBIE GENTRY
Ode to Billie Joe
Capitol
Country Rock
Ihren
Status als eine der ersten wirklich großen weiblichen Singer-Songwriterinnen, die
tatsächlich mit ihrem eigenen Material bekannt wurde, ist Bobbie Gentry
in der Welt des Country eine kleine Legende und nachdem ich ihr
Debütalbum nun kennengelernt habe, verstehe ich auch warum.
Denn was die damals 23-jährige aus Mississippi hier veranstaltet, hat
wenig vom betulichen Hausfrauen-Folkpop ihrer Zeitgenoss*innen, sondern
ist in nicht wenigen Momenten eine effektive Blaupause für soulige
Country-Entwürfe und im weiteren Sinne die gesamte Sparte des Southern
Rock. Gerade in den etwas ruppigeren Songs wie Nick Hoeky und vor allem Mississippi Delta
höre ich deutlich die Sorte Rock heraus, die wenige Jahre später Bands
wie Lynyrd Skynyrd oder Creedence Clearwater Revival machen würden und
dass sie an anderen Stellen auch sehr smoothe Lounge-Nummern mit
Orchesterbegleitung macht, spricht nur noch mehr dafür, dass sie schon
hier eine sehr vielseitige Künstlerin mit jeder Menge kreativer Energie
ist. Wobei ich mich jetzt vor allem darauf freue, ihren Katalog von hier
aus weiter zu erforschen.
Das beste daran: Wie Mississippi Delta mit seinen roughen Gitarrenlicks effektiv mit den besten Hendrix-Songs aus dieser Zeit in einer Liga spielt.
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22.
HOWLIN' WOLF
More Real Folk Blues
Chess
Blues
Ergiebige
Mengen an Archivmaterial sowie der nicht enden wollende Hype um die
Wurzeln des Chicago Blues veranlassten Chess Records 1967 dazu, nach der
ersten Reihe an the Real Folk Blues-Releases in der Vorsaison
noch eine weitere Edition anzufügen, die zumindest aus den Katalogen der
beiden größten Fische des Labels - Muddy Waters und Howlin' Wolf -
nochmal alles rausholen wollte. Und dass beide daraus resultierende
Platten auf dieser Liste vertreten sind, zeigt mir, dass das ein
weiteres Mal funktioniert hat. Und das, obwohl man gerade im Fall dieser
LP sagen muss, dass die Aufnahmequalität wirklich nicht die beste ist.
Die generell sehr hartkantige Performance des Südstaatlers sowie seine
legendär kratzige Mundharmonika-mit-Amp-Kombo lassen einen das aber als
fast schon garagenpunkige Edge verkaufen, von der beispielsweise ein
Jack White sich definitiv die ein oder andere Scheibe abgeschnitten hat.
Das grundsätzliche Urteil, dass man mit diesen Samplern aus dem Hause
Chess vielleicht das beste Portfolio an klassischem Chicago Blues
beisammen hat, bleibt also auch hier.
Das beste daran: We in I'll Be Around die komplette Aufnahme übersteuert und man verstehen kann, warum die Garagenbands dieser Zeit alle genauso klingen wollten.
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21.
THE WEST COAST POP ART EXPERIMENTAL BAND
Part One
Reprise
Psychrock
Zwar gab es in der Vorsaison schonmal eine Platte namens Volume One
von der West Coast Art Pop Experimental Band, die heute eine Existenz
als begehrte Rarität für Sammler*innen führt, im Geiste ist das hier
aber definitiv das kanonische Debüt der Kalifornier. Wie viele Gruppen
ihrer Zeit spielen sie darauf vor allem Coverversionen, formen diese
aber sehr kohärent und mit viel eigenem Charakter um, wodurch hier ein
durch und durch stabiles Psychrock-Album mit einem sehr vielschichtigen,
aber dennoch stetigen Sound entsteht. Und obwohl es schon damals
durchaus Bands gab, die das Prädikat des experimentellen und
kunstpoppigen mit größerem Eifer erfüllen, ist das hier in manchen Momenten
schon eine ziemlich kauzige Angelegenheit und mit Sicherheit eine
überaus unterhaltsame. Das noch im selben Jahr erschienene Volume Two ist übrigens auch zu empfehlen, auch wenn es nicht durchweg so stark ist.
Das beste daran:
Dass ich die Platte eigentlich schon vor fast zehn Jahren entdeckt
hatte, aber so lange verdrängt hatte, dass das Widerhören jetzt umso schöner war.
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20.
PEDRO ITURRALDE
Jazz Flamenco
Hispavox
Jazz
Jazz-Crossover wie diese - vor allem die Art von Platten, die exotische Folk-Gattungen mit smoothem Modaljazz verbanden - waren schon seit Mitte der Sechziger der heiße Scheiß in der Szene und fanden durch Leute wie Joe Harriott oder Hideo Shiraki auch schon Eingang in diese Listen. Denn obwohl das meiste Zeug aus dieser Trenderscheinung der Zeit zugegebenermaßen ziemlicher Humbug ist, finden sich eben auch immer wieder Künstler*innen, die mit echer Hingabe jede Menge aus dieser Vermählung von Stilen herausholen. In diesem Fall der Spanier Pedro Iturralde mit der ersten seiner zwei fantastischen Jazz Flamenco-Volumes, deren kreative Strategie ob des Titels ziemlich offensichtlich sein dürfte. Wobei das Quintett an Musikern, das sich sowohl im Vokabular des einen als auch des anderen Genres verständigen kann, hier die optimale Symbiose aus beidem schafft, bei der eben nicht nur die eine Seite ein paar Elemente der anderen aufhübscht, um mit dem Instrumentarium des Jazz die nächste Hürde in ein obskures Folk-Territorium zu nehmen, sondern beide Ideen einander großen Respekt zollen.
Das beste daran: Wie nach drei ausgedehnten Jams das knapp vierminütige Soleares das Mission Statement der Platte nochmal in aller Kürze zusammenfasst.
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19.
DESMOND DEKKER & THE ACES
Action!
Beverley'sRocksteady
Desmond
Dekker ist neben Laurel Aitken und Prince Buster definitiv eine der
wichtigsten Figuren in der Entstehungsgeschichte des Proto-Reggae und die späten
Sechziger für ihn und das gesamte Genre des Rocksteady eine immens prägende
Zeit. Mit seiner Single 007 (Shanty Town) landeten er und seine Band die Aces 1967 den
entscheidenden Crossover-Hit, mit dem er die Szene in den englischen
Charts repräsentierte und sehr wahrscheinlich wesentliche Inspiration
für Paul McCartneys Ob-La-Di-Ob-La-Da war, zudem sind es Platten wie Action!,
die ganz entscheidend die Übergangsphase vom eher zackigen Ska der
frühen Sechziger hin zum souligen und gediegenen Rocksteady prägten, aus
dem sich später der klassische Roots Reggae entwickelte. Was auch nicht
verwunderlich ist, denn auf dieser LP jagt ein kolossaler Jam den
nächsten und als Sänger und Performer ist Dekker ein absoluter
Hingucker. Definitiv einer von vielen ersten großen Glanzmomenten
jamaikanischer Popmusik auf dem internationalen Spielfeld und dabei auch
definitiv eine Platte, der man das anhört.
Das beste daran: Wie besonders 007 (Shanty Town) auch direkt die sozialkritische Message des Reggae vorweg nimmt und Dekker dabei zum Sprachrohr seiner Community wird.
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18.
ALTON ELLIS
Sings Rock & Soul
Coxsone Rocksteady
Für
sich gesehen ist dieses schlicht betitelte Debütalbum des Jamaikaners
Alton Ellis nichts weiter als das, was es verspricht: Eine Reihe an
bescheidenen Eigenkompositionen, aber vor allem auch Coverversionen
bekannter britischer und amerikanischer Künstler*innen, performt im
Gewand des in seiner Heimat gerade entstehenden Rocksteady-Sounds, den
Ellis mit seinen frühen Aufnahmen entscheidend mitprägte. Wo man auf
kreativer Seite dadurch aber den Punkt abziehen muss, dass hier eben
wenig eigenes Material gespielt wird, ist die Platte allein durch ihren
Klang doch eine haltende Säule dieser Stilistik, die vor allem die Do
Wop- und Soul-Verwandtschaft der Bewegung illustriert wie wenige andere
Acts seiner Zeit. Und vielleicht kann man gerade dadurch, dass Ellis
sich hier mit fremden Federn schmückt besonders gut nachvollziehen und
sezieren, was die Beweggründe und Andockpunkte von Rocksteady waren,
ganz abgesehen davon dass die Songs, die er hier spielt, meistens schon
vorher bekannt sind. In meinen Augen also vielleicht die Platte, mit der
man sich in dieses Genre mit am besten eingrooven kann.
Das beste daran:
Ellis' herrlich trockene Coverversion von A Whinter Shade of Pale. Noch
eine großartige (Proto-)Reggae-Umsetzung eines Klassikers, von der ich
nie gedacht hätte, dass sie funktionieren könnte.
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17.
DONOVAN
A Gift From A Flower to A Garden
Epic Psychedelic Folk
Schon mit seinen frühen Alben Mitte der Sechziger hatte Donovan sich als
eine Art Prototyp des psychedelisch angetünchten Folkstar-Charakters gepromptet und war
mit seiner Mischung aus sonnigem Gitarrenflausch, barockpoppiger Extravaganz
und einem dezenten Sockenschuss sowas wie ein Early Adapter des hippiesken Summer of Love-Spirits.
Wirklich gut waren seine Platten dabei aber lange nicht, zumindest nicht bis
auch der Rest der Musikwelt ein Stück weit der seinen näherkam. 1967 war für
den Schotten dabei ein immens kreatives und ertragreiches Jahr, allerdings
auch ein etwas kompliziertes, was Releasepolitik anging. Schon Mellow Yellow,
sein erstes Album der Saison, erschien erstmal nur in Übersee und nicht in
Großbritannien und auch vorliegende LP als dessen Nachfolger ereilte ein ähnliches
Schicksal. Nur in manchen Versionen erschien es nämlich als das eigentlich
geplante Doppelalbum, in anderen als zwei separat veröffentlichten Platten. Welche Variante
letztendlich aber die „richtige“ ist, ist 66 Jahre später eigentlich egal, denn
fantastische Musik findet auf beiden statt. Mit Donovan auf dem Zenit seines
verschwurbelt-zauberhaften Bardentums, der hier einen fantastischen Song nach
dem anderen aufnimmt.
Das beste daran: Das kleine bisschen Heimatromantik, das er sich in Isle of Islay gönnt.
16.
THE BEATLES
Magical Mystery Tour
Parlophone
Psychedelic Pop
Magical Mystery Tour ist definitiv eine Kuriosität im Katalog der Fab Four: Als einzige Album des US-amerikanischen Release-Zyklus, das dem offiziellen Kanon zugerechnet wird, ist es eigentlich eher die Deluxe-Version einer EP, die als Soundtrack eines fragwürdigen TV-Specials theoretisch ein bisschen zurechtgeschustert wirkt. Und gerade im Schatten des legendären Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, das nur wenige Monate zuvor erschien, wirkt es immer ein bisschen blass und unspezifisch. Ich persönlich empfinde sie aber als das eigentliche Highlight dieser Phase ihrer Diskografie, die nicht nur klanglich wegweisend und kompositorisch mutig ist, sondern auch erstaunlich kohärent für die Art und Weise ihrer Entstehung. Wobei insbesondere die B-Seite des Albums, die mit Penny Lane, Strawberry Fields Forever, Baby, You're A Rich Man und vor allem mit All You Need is Love - quasi der inoffiziellen Hymne des Summer of Love - einige der größten Nummern der Beatles enthält. Womit es in meinen Augen inzwischen ihre beste Platte seit dem Debüt von 1963 ist. Sollen die Nerds mich doch dafür steinigen.
Das beste daran: Das ultimative klimaktische Ereignis von All You Need is Love als Closer der Platte.
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15.
JAMES BROWN & THE FAMOUS FLAMES
James Brown Live at the Garden
King
Funk
Eigentlich könnte ich zwei Drittel des Textes, den ich für meine 1963er-Liste über James Browns Live at the Apollo-LP geschrieben habe, hier unverändert einfügen und es würde quasi genauso meine Empfindungen über dieses Album wiedergeben: Um den Godfather of Soul und die musikalische Funk-und-Soul-Magie seines Outputs in den Sechzigern zu verstehen, muss man sich vor allem seine Liveaufnahmen anhören, in denen man auch über fünfzig Jahre später noch leibhaftig hören kann, wie dieser Typ so gut wie jede Bühne nach Strich und Faden zerlegt. Marker dafür sind auch hier wieder die intensive Dynamik, die er mit seinem Publikum entwickelt, die spielerische Tightness und der unfassbare Affenzahn seiner Backingband, der definitiv seinesgleichen sucht und nicht zuletzt seine passionierte und energische Performance als Sänger, mit der er hier im Minutentakt zwischen grantigem Funk und herzzereißenden Soul hakenschlägt. Mit dem Vorteil, dass er an diesem Punkt in seiner Karriere auch ein paar Hits hat, die man auch heute noch kennen könnte und an deren rabiater Zerfahrung man merkt, was für eine Energie im Raum geherrscht haben muss, als diese Aufnahme entstand. In meinen Augen also eine LP, die ihrem berühmten großen Bruder in vielen Punkten mindestens ebenbürtig ist.
Das beste daran: Wie Brown und seine Band hier im Handumdrehen die klangliche 180-Grad-Wende zwischen dem fetzigen Bring It Up und dem souligen Try Me hinbekommen. Das ist wahre Bandchemie.
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14.
KEN KESEY
the Acid Test
Psycho
Klangcollage
Wahrscheinlich das weirdeste Projekt auf dieser Liste und in diesem Sinne auch eines, von dem man eigentlich behaupten könnte, dass es die Qualifikation eines klassischen Musikalbums nur unzureichend erfüllt. Viel eher gleicht es an vielen Punkten einem grotesken Radiofeature, das im Grundsatz seines Entstehens auch eher dokumentarisch gemeint ist und ziemlich ungefiltert die Exzesse einer Gruppe von "Proband*innen" aufnimmt, die zwischen 1965 und 1966 in einer Versuchreihe experimenteller LSD-Trips durch ein Tonstudio marodiert. Mit dabei ist unter anderem Jerry Garcia von Grateful Dead, der zumindest einige an Songwriting erinnernde Passagen beisteuert, auf der anderen Seite beinhaltet die LP aber auch ein siebenminütiges Interview mit Ken Kesey, dem Initiator des Experiments, das dann doch eher nach einer Mischung aus Reportage und Klangpoesie klingt. Was ich the Acid Test bei alledem aber nicht absprechen kann ist, dass es mich mit seiner uferlosen Skurrilität nachhaltig beeindruckt hat und sehr eindrucksvoll die kuriosere, ernsthaft seltsame Seite des Summer of Love repräsentiert, die hier mitunter auch mal effektiv gruselig werden kann.
Das beste daran: Definitiv das Zeug, das diese Typen genommen haben.
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13.
ELZA SOARES
O Máximo Em Samba
OdeonSamba
Es ist recht wahrscheinlich, dass Elza Soares auf dem
besten Weg dahin
ist, ab jetzt regelmäßig auf dieser Art von Listen aufzutauchen,
zumindest auf absehbare
Zeit. Denn dass mich ihr hochenergischer und derbe ansteckender Entwurf
von
tanzbarem Samba irgendwann langweilen könnte, ist für mich gerade
unvorstellbar und mit jeder Platte, die ich von ihr höre, finde ich sie
musikalisch stärker und performativ aufregender. Und
wie schon der Vorgänger Com A Bola Branca aus dem letzten Jahr ist auch O
Máximo Em Samba in dieser Hinsicht wieder eine echte Wucht: Rhythmisch ordentlich auf Zack und
musikalisch ausgelassen gibt diese LP schon vom instrumentalen Setting her ein
Mordstempo vor, das von Soares selbst formvollendet abgerundet wird, deren
Performance auf gewohnte Weise nach dem Spaß ihres Lebens klingt. Womit sie hier nicht nur die
beste Platte vorstellt, die ich bisher von ihr gehört habe, sondern tatsächlich
eine der stärksten aus dem Feld der brasilianischen Popmusik Mitte der
Sechziger.
Das beste daran: Wie viel krasser Soares hier im Vergleich zum Vorgänger auch nochmal als Sängerin wird.
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12.
TAGES
Studio
Parlophone
Barockpop
Kennengelernt
hatte ich Tages aus Göteborg auf ihrem Debüt von 1965 als eine der
vielen drolligen Beat-Exportbands im Windschatten der British Invasion,
spätestens zwei Jahre später hatten sie sich aber zu einer ernsthaften
Konkurrenz im Bereich der zeitgenössischen Rockmusik entwickelt, die
mindestens genauso starke Songs schreiben können wie ihre Kameraden aus
Großbritannien. Und insbesondere Studio, ihr letztes Album unter
diesem Namen, ballert goldenen Sechzigerpop quasi am laufenden Band aus
allen Rohren, dem man seine Herkunft höchstens an den etwas awkwarden
(aber
niemals effektiv schlechten) Lyrics anhört. Songs wie It's My Life, Like A Woman, Have You Seen Your Brother Lately oder She's A Man
haben ihre Tricks zwar eindeutig bei den Beatles, Stones und Kinks vom
anderen Ende der Nordsee gelernt (ein bisschen auch von den Byrds von
noch weiter weg), machen aus diesen Einflüssen aber richtig coole Sachen
und darüber hinaus ein Gesamtwerk von einer Kohärenz, die manche der
eben genannten leider nicht schafften. Schade also, dass es anschließend
nur noch ein weiteres Album von ihnen geben sollte.
Das beste daran: Wie It's My Life an manchen Stellen schon schnurstracks in Richtung Hardrock marschiert.
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11.
FRANZ-JOSEF DEGENHARDT
Väterchen Franz
Polydar Liedermacher
Das Debüt Spiel nicht mit den
Schmuddelkindern von 1965 (das ich ja auch schon echt gerne mochte) mag das visionäre
Magnum Opus von Franz Degenhardt sein, mit dem er wichtige Pionierarbeit für
das Mitte der Sechziger aufkeimende Liedermacher-Genre leistete, Väterchen
Franz als dessen Nachfolger ist für mich aber die Platte, auf dem
das zwei
Jahre zuvor ausgeschnapste Konzept erst so richtig aufblüht und nochmal
musikalisch potenter wird. Lyrisch clever mit
starker politischer Kante gegen die Verdrängung der jüngsten Vergangenheit und diverse Formen von
Diskriminierung, die wieder mal sehr spitz und treffend einen deutschen
Gesellschaftsentwurf der Nachkriegszeit kritisch durchdringt und
kompositorisch noch vielfältiger als der
Vorgänger, ist es einer der wenigen Phänotypen des Kosmos Liedermacher,
die ich
wirklich ohne Vorbehalte bewundere und trotz etwas klanglichem Staub
noch immer sehr unverändert zeigen, wie cool
diese Stilrichtung bei richtiger Ausführung sein kann.
Das beste daran: Dass man einen Song wie Tonio Schiavo so oder so ähnlich immer noch über Rassismus in Deutschland schreiben könnte.
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10.
DUKE ELLINGTON
Duke Ellington's Far East Suite
RCA Victor
Big Band
Man
verbindet gemeinhin schon andere Dinge mit dem Jahr 1967 als opulenten
Big Band-Jazz dieser Art und Weise, für einen Duke Ellington kann man
aber schon mal eine Ausnahme machen. Insbesondere dann, wenn es sich um
eine seiner besten Platten seit dem Anfang der Dekade handelt, mit der er sich ein weiteres Mal als Großmeister des Genres erweist. Und hey,
zumindest der plakative Orientalismus ist im Kontext von hinduphilen
Beatles und entfesselter fernöstlicher Spiritualität irgendwie
zeitgemäß. Zum Glück macht Ellington dabei aber nicht den Fehler, sich
mit billigen Sitar-Crossover-Covern bekannter Standards ins gemachte
Nest zu setzen, sondern kuratiert hier einen Zyklus hochwertiger
Eigenkompositionen, die songwriterisch herrlich detailverliebt,
klanglich perfekt nuanciert und fantastisch performt
sind. Und wäre es nicht um die exotisierende Aufmachung und ein paar
eingestreute asiatische Tonleitern könnte man Far East Suite auch
einfach nur als toll gemachtes Big Band-Album zelebrieren, das es am
Ende des Tages auch einfach ist. Denn wenn es um kulturelle
Klischeeverwurstung asiatischer Folklore geht, habe ich aus dieser Zeit
definitiv schon wesentlich schlimmeres gehört.
Das beste daran: Wie Harissa Mountain am Anfang eigentlich eher nach soften Guanguanco klingt als nach fernöstlicher Musik.
🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
09.
THE CANNONBALL ADDERLEY QUINTET
Mercy! Mercy! Mercy!
Capitol
Jazz
Klar haben wir auch 1967 noch Platz für ein gut gemachtes Jazz-Album in dieser Liste. Insbesondere dann, wenn es ein Livealbum ist und ganz besonders dann, wenn es von Cannonball Adderley ist. Einem Typen, der eigentlich schon mehrmals Teil solcher Listen hätte sein sollen. Mercy! Mercy! Mercy! ist dabei ein ebenso tight performtes wie ursympathisches Konglomerat aus sechs Stücken in 41 Minuten, in denen die unglaubliche Chemie und das solistische Talent aller Mitglieder des Quintetts zum Strahlen kommt, die alle herrlich smooth um den genialen Bandleader herumorgeln, der seinerseits eine göttliche Performance am Saxofon abliefert. Cool finde ich auch, wie nicht wenige Songs in dieser Ausführung (insbesondere der Titeltrack) großzügig Einflüsse aus Gospel und Soul einbeziehen und damit an manchen Punkten fast schon etwas sakrales haben. Definitiv eines der Alben, das mich aus meiner Übersättigung mit dem Jazz der frühen Sechziger herausgeholt hat und mir zeigt, dass ich nur mal wieder was richtig gutes brauchte, um meinen Optimismus zu reanimieren.
Das beste daran: Wie passend es ist, dass Adderley und Band die Stücke Fun und Games direkt hintereinander spielen.
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08.
NICO
Chelsea Girl
Verve Kammerpop
Hängt mich auf, aber ich für meinen Teil habe zu diesem Solodebüt von
Nico schon immer emotional die größere Verbindung als zu ihrem kurzfristigen Stint bei the Velvet
Underground auf deren legendärem Erstling. Und das liegt nicht etwa daran, dass ich
letzteres nicht mögen würde. Ich würde sogar sagen, dass es dort die weitaus
spannenderen Höhepunkte gibt und die Sängerin großartig in Szene gesetzt wird. Chelsea Girl
hat dafür aber deutlich
weniger awkwarde Momente und ist alles in allem auch die stilistisch
konsistentere Platte. Allein wenn man mal die Szene in Wes Andersons Royal Tenenbaums gesehen
hat, in der These Days läuft, sollte man nachvollziehen können,
warum
ich in diese Platte so verliebt bin und es ist eben toll zu wissen, dass
es davon hier noch neun weitere gibt (Na gut eher acht, It Was A Pleasure Then fällt schon extrem aus dem Gesamtkonzept raus). Ganz abgesehen davon, was für eine
charismatische Sängerin Nico hier durchweg ist. Kurzum: Wenn man das Velvet
Underground-Debüt vor allem ihrer Beteiligung wegen mag, gibt es eigentlich
keine Entschuldigung, sich das hier nicht auch zu Gemüte zu führen.
Das beste daran: Wie soft auf diesem Album die Gitarren produziert sind und wie gut sie mit den ganzen kantigen Streicherpassagen klingen.
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07.
THE DUBLINERS
More of the Hard Stuff
Major Minor
Folk
Ein paar Jahre ist es inzwischen her, dass ich mich bei der Arbeit an meiner 1964er-Liste dieser Rubrik in das selbstbetitelte Debütalbum der Dubliners verliebte, was sich mittlerweile auch auf große Teile ihres weiteren Outputs ausgeweitet hat. Gleich zwei richtig gute Alben gibt es dabei von ihnen aus der Saison 1967, für das letztere von beiden habe ich mich hier entschieden. Musikalisch hat sich bei den Iren dabei wenig verändert, abgesehen davon, dass die Produktion hier um Längen besser ist und die Gruppe auch in ihrer Bandchemie souveränder klingen. Im Kontext ihrer sehr traditionsbelassenen Folklore ist wenig inhaltliche Veränderung aber auch durchaus ein gutes Zeichen, da die größte Stärke der Dubliners ja schon immer war, sowas wie die musikalischen Botschafter Irlands zu sein. Nur logisch, dass das in diesem Fall auch jede Menge Liegdut über gepflegten Alkoholgenuss (könnte man anhand des Titels ja durchaus ahnen) sowie ein paar deftige Mittelfinger gegen die blöden Nachbarn aus England zu dieser Botschaft dazugehören.
Das beste daran: Mehr denn je Ronnie Drew als Leadsänger, auch wenn alle immer nur über Luke Kelly reden.
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06.
THE ROLLING STONES
Their Satanic Majesties Request
Decca Psychrock
Es war nur ein kurzer Ausflug, den die Rolling Stones 1967 in die
Psychedelik machten und bis heute wird das eine daraus resultierende Album von
großen Teilen ihrer Fanbase mit großem Argwohn betrachtet. Zum einen deshalb,
weil sich nach wie vor die Mär davon hält, dass es von Sgt. Pepper’s Lonely
Hearts Club Band abgekupfert sei (was es faktisch nicht ist, denn obwohl es
erst im Dezember der Saison erschien, starteten die Produktionsphasen beider
Platten ungefähr zur gleichen Zeit), zum anderen weil die Stones hier so weit außerhalb ihrer Komfortzone agieren und zum Teil echt chaotisch werden können. Wo viele die LP deswegen aber als
überkandidelten Quatsch nach einer LSD-Party zu viel abtun, empfinde ich es als
einen der spannendsten Exkurse der Band, der vor allem das Talent des zwei
Jahre später verstorbenen Brian Jones besonders hell strahlen lässt. Bis zu
diesem Zeitpunkt ist es in meinen Augen definitiv auch das beste Album der
Briten und gerade wegen seines kapsulären Daseins wegen so ein verdammt wertvolles musikalisches Dokument. Wobei ich
es auf der anderen Seite auch gut und richtig finde, dass die Stones auf lange
Sicht sie selbst geblieben sind und sich nicht von den Trends der Hippies haben
mitreißen lassen.
Das beste daran: Dass die Stones nur auf so einem Album einen Song wie She's A Rainbow hätten machen können.
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05.
PRINCE BUSTER
Prince Buster On Tour
Blue Beat Rocksteady
Ginge
es in diesen Listen allein darum, wie visionär und einflussreich die
Arbeit eines bestimmten Acts rückblickend war, hätte Prince Buster schon
wesentlich früher auf einer davon auftauchen müssten. Denn mit Platten
wie I Feel the Spirit oder Fly Flying Ska vom Beginn der
Sechziger (die ich grundsätzlich auch sehr empfehlen kann) ist er
definitiv einer der ersten wichtigen Pioniere der jamaikanischen
Ska-Bewegung und damit einer der unumstößlichen Säulen des Genres. Und
wo man monieren könnte, dass ein Album wie dieses, das aus Liveaufnahmen
einer Tour Mitte der Sechziger besteht, eigentlich erst nach dieser
prägenden Zeit entstand, funktioniert es für mich doch fantastisch als
eine Art Zusammenfassung der stärksten Momente davon. Der unfassbar
eingängige Konsens-Hit Madness wirkt live mit seinen Bläsersätzen nochmal extra fett, Busters Version von Desmond Dekkers 007 steht dem Original in wenig nach und Take It Easy
ist mit seinem rhythmisch vertrackten Refrain einer meiner
Geheimfavoriten. Definitiv kein essenzielles Album, um diesen Künstler
kennenzulernen, aber im Moment trotzdem irgendwie mein liebstes von ihm.
Das beste daran: "have some fish 'n chips / with cup o' tea / steady earners / and just rock steady"
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04.
MUDDY WATERS
More Real Folk Blues
ChessBlues
More Real Folk Blues ist die mittlerweile fünfte Platte, die ich im Rahmen der Oldies-Rubrik von Muddy Waters auf eine dieser Liste schreibe, was ihn in dieser Disziplin definitiv zum Künstler mit den häufigsten Nennungen macht. Und warum das so ist, zeigt er auch 1967 wieder eindrucksvoll. So gründet er gemeinsam mit Little Walter und Bo Diddley in diesem Jahr eine Art Supergroup des Chicago Blues und veröffentlicht mit denen auch ein gemeinsames Album, die stärkste musikalische Kraft kommt aber ein weiteres Mal aus seinem Archiv. Als einer der fünf Künstler, die Chess Records schon in der Vorsaison für die Compilationserie the Real Folk Blues einspannte, die vor allem altes Material aus den Fünfzigern veröffentlichte, war er einer von zweien, bei denen ein Jahr später sogar noch genug für einen zweiten Teil da war. Und keine Ahnung wieso, aber dieser zweite Teil klingt mit seiner souveränen und charismatischen Basisarbeit am Werkstück Blues an vielen Punkten sogar noch cooler als der erste und ist damit ein weiteres absolutes Highlight in der Diskografie des Chicagoers. Und erneut eine seiner Platten, die ich Genre-Neuligen ganz unbedingt als Einstieg in die Materie empfehlen kann.
Das beste daran: Selten so gute Moves an der Slidegitarre gehört wie hier.
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03.
ETTA JAMES
Call My Name
CadetSoul
Ich habe während der Arbeit an den letzten Listen immer
wieder nach den
Punkten gesucht, in denen der noch sehr schnieke und an vielen Stellen
noch reichlich brave Soul-Entwurf der mittleren Sechziger, vornehmlich
gestaltet vom legendären Motown-Label, in die spirituelle und
performative Urgewalt
umkippt, die er in den Siebzigern werden würde. Und wo es bei den
üblichen
Verdächtigen wie James Brown, Nina Simone, Aretha Franklin, Ray Charles
oder
Otis Redding immer schon Momente gab, in denen diese Energie durchaus zu
finden war, ist
diese Platte hier die erste, in der sie für mich wirklich durchgehend zu
spüren
ist. Witzigerweise von einer Künstlerin, zu der ich vorher nie wirklich
einen
Draht hatte und die an diesem Punkt schon so lange aktiv war, dass sie
1967 definitiv nicht mehr zu den jungen Wilden zählte. Auf Call My Nameentlädt sich in meinen Augen aber auf jeden Fall irgendetwas, das hier nicht
nur für eine unfassbar passionierte Gesangsperformance sorgt, sondern auch in
den Instrumentals und Kompositionen ordentlich losmetert. Was die Platte in
meinen Augen zu einer der besten Soul-Platten der gesamten Sechziger macht und den Weg für großes ebnet.
Das beste daran:
Wie bluesig der Titelsong an manchen Stellen wird und wie er dadurch
eine einen kuriosen Blueprint für die Musik darstellt, die Janis Joplin
wenig später machen sollte.
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02.
LEONARD COHEN
Songs of Leonard Cohen
ColumbiaSinger-Songwriter
Es ist schwierig, eine Figur wie Leonard Cohen und sein ikonisches Debüt in die musikalische Landschaft von 1967 einzuordnen und so richtig passt er dabei in keinen der gängigen Trends. Erstens deshalb, weil er zu diesem Zeitpunkt definitiv keiner von den jungen Wilden mehr ist, sondern mit Mitte 30 eher schon in die besten Jahre kommt, zweitens weil er stilistisch sehr aus den üblichen Schemen herausfällt. Sicher, als minimalistische Songwriter-Type, der meistens nur Akustikgitarre spielt, könnte man ihn irgendwie ins immer noch anhaltende Folk-Revival abordnen, doch ist seine Musik dafür eigentlich viel zu literarisch. Für die Hippies ist der außerdem zu konservativ und für die alte Generation des Traditional Pop zu skandalös und verwegen. Und so findet er für mich Ende der Sechziger – vor allem mit diesem wahnsinnigen Debüt – in einer Art Schwebezustand statt, den kreativ gesehen sonst höchstens noch jemand wie Lou Reed einnimmt. Das macht Songs of Leonard Cohen am Ende aber auch so besonders und so schön und ist einer der Gründe, warum die Platte auch heute noch ein bisschen zeitlos rüberkommt.
Das beste daran: Die romantischen Drehorgel-Sounds in der zweiten Hälfte von Sisters of Mercy.
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01.
NINA SIMONE
Nina Simone Sings the Blues
RCA VictorBlues
Je mehr ich mich während der letzten Jahre in den Katalog von Nina
Simone eingehört habe (und dabei auch einige der Aussagen, die ich in diesem
Rahmen einst über sie getätigt habe, revidieren musste), desto mehr habe ich darunter auch
jene Momente ihres Schaffens schätzen gelernt, in denen sie sich in die
Traditionen des Blues hereinarbeitet und der Stilistik ihren eigenen Spin
verpasst. Und mit dem programmatisch betitelten Nina Simone Sings the Blues, das sich performativ quasi ausschließlich diesem
Vorhaben widmet, habe ich von diesem Teilaspekt ihres Outputs nun das nächste Meisterwerk für mich entdeckt. Wobei der Begriff Blues in diesem Fall vor allem auch
inhaltlich zu verstehen ist und sich hier in Form tief empfundener Klagelieder
äußert, für die Simone schon immer das perfekte Vehikel ist. Egal ob das dann
mit politisch-religiösen Untertönen stattfindet, auf zwischenmenschliches
beschränkt wird oder auch nur eine spannende Coverversion darstellt wie im Fall von House of the Rising Sun. Was
wichtig ist ist die Persönlichkeit, die diesen Songs hier eingeimpft wird und
die eben keine andere Künstlerin auf diese Weise hinbekommt. Womit das hier im
Moment mein definitiv liebstes Simone-Studioalbum ist.
Das beste daran: Dass es klanglich trotzdem auch Simones souligstes Album bis zu diesem Zeitpunkt ist.