Sonntag, 16. April 2023

1000kilosonars Oldies: Meine Lieblingsplatten 1967




 
 
Um Festzustellen, welch eine besondere und einzigartige Bedeutung das Jahr 1967 in der Popkultur bis heute hat, braucht man sich in meinen Augen nur eine einzige Sache vergegenwärtigen. Nämlich dass eines der wenigen Jahre im kollektiven Gedächnis unserer Zeit ist, das nicht nur durch sich selbst bezeichnet wird, sondern dem zudem auch noch ein klangvoller Spitzname zuteil wurde: Der des sagenumwobenen Summer of Love. Ein Name der auch über ein halbes Jahrhundert danach noch den Hauch von Aufbruch, Spiritualiät und hippieskem Selbstverständnis versprüht. Und wo ich bisher immer dachte, dass eine solche Bezeichnung einfach nur ein bedeutungsloser Mythos der Babyboomer-Generation war, um eine bestimmte Form von Nostalgie zu manifestieren, habe ich in den 12 Monaten, in denen ich nun an diesem Post gearbeitet habe, schon ein bisschen festgestellt, dass etwas sehr spürbares dahintersteckt. Zumindest dann, wenn man sich mit der Musik aus dieser Zeit beschäftigt und die auf eine durchaus greifbare Weise anders klingt als die in den Jahren davor. Irgendwie befreiter, irgendwie experimenteller und irgendwie komplexer. Zwar muss man der Korrektheit halber sagen, dass die Wurzeln dieser Befreiung von einzelnen bereits davor gesät wurden und insbesondere 1966 eigentlich den Charakter eines Durchbruchs haben sollte, in der Musik von 1967 ist der aber universell nachzufühlen. Nicht nur in der Hinsicht, dass das Schlagwort der Psychedelik in allen Ecken und Enden um sich greift und selbst bieder-gefällige Acts wie Peter, Paul & Mary oder the Mamas & the Papas sich vorsichtig daran orientieren, auch außerhalb der Stilgrenzen der Rockmusik ist eine neue Abenteuerlust zu spüren. Jazz wird spirituell und esoterisch, Folk entdeckt seine verschwurbelte Seite, Soul und Funk werden zunehmend politisch und in Jamaika entwickelt sich die Ska-Bubble langsam in Richtung des religiös-prophetischen Sounds des Reggae weiter. Klar gibt es dabei hier und da auch Acts, die bei dieser klanglichen Revolution nicht mitziehen und einige davon werden sich in dieser Liste auch weiterhin finden, doch ist es schon erstaunlich, wie hier tatsächlich eine Art Kipppunkt in der modernen Popmusik stattfindet, der auch heute noch nachzuvollziehen ist. Und der in dieser Instanz nicht nur der Beginn einer neuen Zeit für selbige ist, sondern vor allem freudestrahlend optimistisch in die Zukunft weist: 1967 erscheinen die Debütalben der Doors, von Jimi Hendrix, Pink Floyd, David Bowie und the Velvet Underground. Und obwohl keine dieser Platten letztendlich auf dieser Liste auftaucht, zeigen sie sich schon hier als Vorhut einer neuen Ära von Künstler*innen, die in dieser Saison beginnt. Wo wir aber schon mal bei meinen Hot Takes dieser Liste sind: Ebenfalls nicht in diesem Post vertretene Alben sind Forever Changes von Love, Safe As Milk von Captain Beefheart, I Never Loved A Man the Way I Loved You von Aretha Franklin, Disraeli Gears von Cream und Surrealistic Pillow von Jefferson Airplane. Ich bin und bleibe eben ein Querulant bei solchen Sachen. Dafür sind allerdings zum ersten Mal seit ihrem Debüt die Beatles wieder gelistet. Allerdings auch nicht mit der Platte, an die man jetzt auf Anhieb denken würde. Und gerade in den oberen zehn Plätzen mag es einige vielleicht erstaunen, dass es eben nicht nur die Großgötzen der Rockmusik sind, die diese einnehmen, sondern vornehmlich Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Soul, Jazz und Funk sowie verschiedener internationaler Strömungen. Bei einer solchen Dichte an Klassikern und tollen Impulsen, wie sie diese eine Saison produziert hat, hat man aber auch echt die Qual der Wahl. Und ich habe lange genug gebraucht und gründlich genug recherchiert, um meine hier begründet zu verkünden.


Zum abschließenden Vorgeplänkel noch ein paar übliche Richtlinien und Hinweise:

1. Diese Liste ist zu 100 Prozent subjektiv und reflektiert nicht mehr und nicht weniger als meine eigene Auffassung. Wenn etwas hier nicht auftaucht, kenne ich es entweder nicht oder ich fand es nicht so nennenswert, dass es hier auftaucht

2. Diese Liste ist nicht endgültig. Es kann vorkommen und ist sogar sehr wahrscheinlich, dass ich meine Meinung zu Einträgen hier zu einem späteren Zeitpunkt ändere oder hinterfrage.
 
3. In dieser Liste geht es nicht darum, wie visionär oder innovativ einzelne Platten waren oder sind, sondern einfach nur darum, wie sehr ich diese mag.





29.
 
Jefferson Airplane - After Bathing at Baxter's 

JEFFERSON AIRPLANE
After Bathing at Baxter's
RCA Victor

Psychrock
Einer dieser Fälle, in denen das vorangegangene Album definitiv das innovatiere und bekanntere ist, das künstlerisch die Impulse setzte, die Platte danach daraus aber die besseren Songs machte. Den groben Entwurf von Psychrock, den im Februar desselben Jahres Surrealistic Pillow andachte, setzt After Bathing at Baxter's neun Monate später nochmal ein ganzes Stück wilder, kompromissloser und trotzdem zentrierter um. Weg von den Radiosingles des Vorgängers verfassen die Kalifornier hier plötzlich mehrteilige Suiten, die dann auch gerne mal in vertüdelten Klangcollagen resultieren und den bluesig-folkigen Vibe ihrer ersten Platten ein ganzes Stück in die Richtung von etwas peitschen, das kurze Zeit später als Acid Rock bekannt werden sollte. Wobei das zum Glück auch nicht heißt, dass Jefferson Airplane keine fantastische Einzeltracks wie Martha oder Young Girl Sunday Blues mehr schreiben oder ihre Wurzeln im Folkrock vernachlässigen würden. Definitiv eines der Alben, das beispielhaft für den Aufbruchsgeist des Summer of Love steht und in meinen Augen genauso deutlich in die Zukunft weißt wie sein legendärer älterer Bruder.

Das beste daran: Wie man in Young Girl Sunday Blues quasi schon die halbe Origin Story des Sounds von Can heraushören kann.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
28.

The Peanut Butter Conspiracy - The Peanut Butter Conspiracy Is Spreading

THE PEANUT BUTTER CONSPIRACY
the Peanut Butter Conspiracy is Spreading
Columbia

Sunshine Pop
Dass the Peanut Butter Conspiracy is Spreading auf jeden Fall einer der besten Plattentitel der gesamten Pophistorie ist, sollte ich nicht extra betonen müssen und in meinem Fall hat dieser Umstand immerhin dafür gesorgt, dass ich auf diese Band überhaupt erst neugierig wurde. Wo man hinter so einem Namen aber eigentlich hirnverbrannten Psychrock der Marke Zappa oder Captain Beefheart vermuten würde, ist  hier eher das Gegenteil der Fall und das Debüt der Kalifornier eine ziemlich zahme und Folk-inspirierte Sunshine Pop-Angelegenheit irgendwo zwischen den Byrds und Jefferson Airplane. Ernüchternd ist das keineswegs, da diese Gruppe trotz allem das ausdrucksstarke Songwriting und das performative Charisma hat, um hier eine ganze Reihe starker Songs aneinanderzureihen und damit durchaus für jede Menge Kurzweil zu sorgen. Schade, dass die im Titel angedeutete Verbreitung das ganzen dann doch eher verhalten stattfand und die Platte ihrerzeit nur knapp die Top 100 knackte.

Das beste daran: Dass Jefferson Airplane sich wünschen würden so coole Gesangsharmonien zu haben.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
27.
 
The Moody Blues With The London Festival Orchestra - Days of Future Passed

THE MOODY BLUES
Days of Future Passed
Deram

Barockpop
Wahrscheinlich hat keine andere Band während der Hochzeit der Bewegung die Prämisse des Barockpop so weit getrieben wie the Moody Blues auf diesem Album, die hier mit ihrem dritten Longplayer ein vollwertiges Klassik-Crossover mit allen Registern auftafeln und es ist ein bisschen schade, dass den meisten davon nur die reichlich eingekürzte Leadsingle-Version des Closers Nights in White Satin in Erinnerung geblieben ist. Denn was die Briten hier drumherum gestalten, ist nicht weniger als eine filigran konzipierte Pop-Sinfonie, die es tatsächlich schafft, die kategorisch gegensätzlichen Disziplinen des Popsongs und des orchestralen Zyklus zu verbinden und für beides ein ziemlich gutes Beispiel zu sein. Inklusive diverser über die gesamte Spielzeit immer wieder aufgegriffener Themen und einer kompositorischen Strategie, die fast den beethoven'schen Entwurf eines Sonatenhauptsatzes wiederspiegelt. Ein ebenso skurriles wie opulentes Kleinod der verrückten musikalischen Phase, die die späten Sechziger waren und alles in allem ein Album, das definitiv mehr Fans haben sollte.

Das beste daran: Dass Nights in White Satin trotzdem noch mit Abstand der beste Song der Platte ist.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
26.
 
Eric Burdon & The Animals - Winds of Change

ERIC BURDON & THE ANIMALS
Winds of Change
MGM

Psychrock
 Die Animals um den ewig kreativ pushenden Eric Burden waren schon zu Anfang der Sechziger eine ziemlich ideenreiche und gehörig innovative Band, die auch um eine gewisse Wildheit nicht verlegen waren und unter den Pionieren der British Invasion zu den ungezähmtesten und zotteligsten gehörten. Mit der Herausstellung von Burdon als Frontmann findet 1967 auch die Hinwendung ins experimentelle statt und resultiert vor allem auf Winds of Change in einem herrlich flamboyanten und freakigen Mission Statement, das an vielen Punkten schon die Arbeit andeutet, die dieser später mit War weiter vertiefen würde. Da gibt es eine der besten Coverversionen des Stones-Klassikers Paint It Black, mit the Black Plague eine mittelalterliche Spoken Word-Sinfonie, mit Man-Woman einen der ersten Funk-Ausflüge von Burdon und mit Yes I Am Expierienced sogar eine ziemlich gute Jimi Hendrix-Parodie. Alles in allem mag das etwas ungelenk und albern wirken, irgendwie ist es aber auch wahnsinnig unterhaltsam und vor allem ein wichtiges Zeugnis der wilden Energie, die Eric Burdon hier nicht zum letzten Mal anzapft.
 
 Das beste daran: Wie die Animals das bei den Stones so knackige Paint It Black auf satte sechs Minuten auswalzen.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
25.

Zimbo Trio - Zimbo Trio + cordas: É tempo de samba

ZIMBO TRIO
Zimbo Trio + Cordas: É Tempo de Samba
RGE

Samba Jazz
Es ist nicht das erste Mal, dass ich das Zimbo Trio aus São Paulo hier als Meistertechniker des Samba Jazz über den grünen Klee lobe und in der stetigen Entwicklung der Brasilianer seit Anfang der Sechziger war ihr erstes Cordas-Album 1967 einfach nur der logische nächste Schritt. Wo der Einsatz von Streichern bei so manchem MPB-Sternchen ja dafür sorgte, dass deren Songwriting plötzlich verkitscht und seifig wurde, ist es hier ein weiteres Mal der technischen Brillianz dieser Band geschuldet, dass genau das auf É Tempo de Samba nicht passiert. Denn für die uhrwerkpräzise Rhythmik und die fluffigen Harmonien des Trios bedeutet der zusätzliche Zinnober letztendlich nur, dass es hier ein paar aufaddierte Schnörkel gibt, die zwar durchaus prominent platziert sind, in der Komposition der Gruppe aber in keinem Moment rumpfuschen. Im Gegenteil, diese wird dadurch sogar optimal ergänzt. Schade bloß, dass sich davon inzwischen kaum Versionen mit zufriedenstellendem Sound finden lassen.

Das beste daran: Wenn in Anoiteceu nach dem kurzen Klavierpart zum ersten Mal die üppigen Streicher hereinschwallen und man weiß, dass das hier ein neues Erlebnis mit dieser Band sein wird.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
24.
 
The Hollies - Butterfly
 
THE HOLLIES
Butterfly
Parlophone

Barockpop
Ausgerechnet die Hollies, die immer ein bisschen als tingelig und verkitscht geltende britische Konsenstruppe (bekannt hierzulande vor allem durch ihren Schmacht-Hit the Air That I Breathe von 1974), machte 1967 nicht nur eines, sondern mit Evolution und Butterfly gleich zwei der meiner Meinung nach stärksten Barockpop-Alben der Saison, die für mich beide zur goldenen Mitte dessen gelten, was die Bewegung zu dieser Zeit in Großbritannien veranstaltete. Wobei letzteres hier als das marginal bessere den Vorzug erhält. Die besten Tricks klauen sie darauf von den Beatles und den Beach Boys, klingen aber stilistisch gefestigter (damals war ja immerhin noch Graham Nash mit dabei) und setzen psychedelische Schwurbelei sehr bewusst ein. Und klar machen sie damit eher gängige Popmusik als große Schritte in die Zukunft, sie verpassen der Marke Barockpop aber einige echt starke Hits und zwei mehr als solide Gesamtwerke, die stilistisch so richtig im Saft stehen.

Das beste daran: Wie der Echoeffekt im Opener Dear Eloise gleich am Ende der ersten Strophe klar macht, dass Psychedelik hier ein Thema ist.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
23.

Bobbie Gentry - Ode to Billie Joe

BOBBIE GENTRY
Ode to Billie Joe
Capitol

Country Rock
Ihren Status als eine der ersten wirklich großen weiblichen Singer-Songwriterinnen, die tatsächlich mit ihrem eigenen Material bekannt wurde, ist Bobbie Gentry in der Welt des Country eine kleine Legende und nachdem ich ihr Debütalbum nun kennengelernt habe, verstehe ich auch warum. Denn was die damals 23-jährige aus Mississippi hier veranstaltet, hat wenig vom betulichen Hausfrauen-Folkpop ihrer Zeitgenoss*innen, sondern ist in nicht wenigen Momenten eine effektive Blaupause für soulige Country-Entwürfe und im weiteren Sinne die gesamte Sparte des Southern Rock. Gerade in den etwas ruppigeren Songs wie Nick Hoeky und vor allem Mississippi Delta höre ich deutlich die Sorte Rock heraus, die wenige Jahre später Bands wie Lynyrd Skynyrd oder Creedence Clearwater Revival machen würden und dass sie an anderen Stellen auch sehr smoothe Lounge-Nummern mit Orchesterbegleitung macht, spricht nur noch mehr dafür, dass sie schon hier eine sehr vielseitige Künstlerin mit jeder Menge kreativer Energie ist. Wobei ich mich jetzt vor allem darauf freue, ihren Katalog von hier aus weiter zu erforschen.

Das beste daran: Wie Mississippi Delta mit seinen roughen Gitarrenlicks effektiv mit den besten Hendrix-Songs aus dieser Zeit in einer Liga spielt.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
22.

Howling Wolf - More Real Folk Blues

HOWLIN' WOLF
More Real Folk Blues
Chess

Blues
 Ergiebige Mengen an Archivmaterial sowie der nicht enden wollende Hype um die Wurzeln des Chicago Blues veranlassten Chess Records 1967 dazu, nach der ersten Reihe an the Real Folk Blues-Releases in der Vorsaison noch eine weitere Edition anzufügen, die zumindest aus den Katalogen der beiden größten Fische des Labels - Muddy Waters und Howlin' Wolf - nochmal alles rausholen wollte. Und dass beide daraus resultierende Platten auf dieser Liste vertreten sind, zeigt mir, dass das ein weiteres Mal funktioniert hat. Und das, obwohl man gerade im Fall dieser LP sagen muss, dass die Aufnahmequalität wirklich nicht die beste ist. Die generell sehr hartkantige Performance des Südstaatlers sowie seine legendär kratzige Mundharmonika-mit-Amp-Kombo lassen einen das aber als fast schon garagenpunkige Edge verkaufen, von der beispielsweise ein Jack White sich definitiv die ein oder andere Scheibe abgeschnitten hat. Das grundsätzliche Urteil, dass man mit diesen Samplern aus dem Hause Chess vielleicht das beste Portfolio an klassischem Chicago Blues beisammen hat, bleibt also auch hier.

Das beste daran: We in I'll Be Around die komplette Aufnahme übersteuert und man verstehen kann, warum die Garagenbands dieser Zeit alle genauso klingen wollten.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


21.

The West Coast Pop Art Experimental Band - Part One

THE WEST COAST POP ART EXPERIMENTAL BAND
Part One
Reprise

Psychrock
Zwar gab es in der Vorsaison schonmal eine Platte namens Volume One von der West Coast Art Pop Experimental Band, die heute eine Existenz als begehrte Rarität für Sammler*innen führt, im Geiste ist das hier aber definitiv das kanonische Debüt der Kalifornier. Wie viele Gruppen ihrer Zeit spielen sie darauf vor allem Coverversionen, formen diese aber sehr kohärent und mit viel eigenem Charakter um, wodurch hier ein durch und durch stabiles Psychrock-Album mit einem sehr vielschichtigen, aber dennoch stetigen Sound entsteht. Und obwohl es schon damals durchaus Bands gab, die das Prädikat des experimentellen und kunstpoppigen mit größerem Eifer erfüllen, ist das hier in manchen Momenten schon eine ziemlich kauzige Angelegenheit und mit Sicherheit eine überaus unterhaltsame. Das noch im selben Jahr erschienene Volume Two ist übrigens auch zu empfehlen, auch wenn es nicht durchweg so stark ist.

Das beste daran: Dass ich die Platte eigentlich schon vor fast zehn Jahren entdeckt hatte, aber so lange verdrängt hatte, dass das Widerhören jetzt umso schöner war.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

20.

Pedro Iturralde - ¡Jazz Flamenco!

PEDRO ITURRALDE
Jazz Flamenco
Hispavox

Jazz
Jazz-Crossover wie diese - vor allem die Art von Platten, die exotische Folk-Gattungen mit smoothem Modaljazz verbanden - waren schon seit Mitte der Sechziger der heiße Scheiß in der Szene und fanden durch Leute wie Joe Harriott oder Hideo Shiraki auch schon Eingang in diese Listen. Denn obwohl das meiste Zeug aus dieser Trenderscheinung der Zeit zugegebenermaßen ziemlicher Humbug ist, finden sich eben auch immer wieder Künstler*innen, die mit echer Hingabe jede Menge aus dieser Vermählung von Stilen herausholen. In diesem Fall der Spanier Pedro Iturralde mit der ersten seiner zwei fantastischen Jazz Flamenco-Volumes, deren kreative Strategie ob des Titels ziemlich offensichtlich sein dürfte. Wobei das Quintett an Musikern, das sich sowohl im Vokabular des einen als auch des anderen Genres verständigen kann, hier die optimale Symbiose aus beidem schafft, bei der eben nicht nur die eine Seite ein paar Elemente der anderen aufhübscht, um mit dem Instrumentarium des Jazz die nächste Hürde in ein obskures Folk-Territorium zu nehmen, sondern beide Ideen einander großen Respekt zollen.

Das beste daran: Wie nach drei ausgedehnten Jams das knapp vierminütige Soleares das Mission Statement der Platte nochmal in aller Kürze zusammenfasst.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
19.

Desmond Dekker & The Aces - Action!

DESMOND DEKKER & THE ACES
Action!
Beverley's

Rocksteady
Desmond Dekker ist neben Laurel Aitken und Prince Buster definitiv eine der wichtigsten Figuren in der Entstehungsgeschichte des Proto-Reggae und die späten Sechziger für ihn und das gesamte Genre des Rocksteady eine immens prägende Zeit. Mit seiner Single 007 (Shanty Town) landeten er und seine Band die Aces 1967 den entscheidenden Crossover-Hit, mit dem er die Szene in den englischen Charts repräsentierte und sehr wahrscheinlich wesentliche Inspiration für Paul McCartneys Ob-La-Di-Ob-La-Da war, zudem sind es Platten wie Action!, die ganz entscheidend die Übergangsphase vom eher zackigen Ska der frühen Sechziger hin zum souligen und gediegenen Rocksteady prägten, aus dem sich später der klassische Roots Reggae entwickelte. Was auch nicht verwunderlich ist, denn auf dieser LP jagt ein kolossaler Jam den nächsten und als Sänger und Performer ist Dekker ein absoluter Hingucker. Definitiv einer von vielen ersten großen Glanzmomenten jamaikanischer Popmusik auf dem internationalen Spielfeld und dabei auch definitiv eine Platte, der man das anhört.

Das beste daran: Wie besonders 007 (Shanty Town) auch direkt die sozialkritische Message des Reggae vorweg nimmt und Dekker dabei zum Sprachrohr seiner Community wird.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
18.
 
Alton Ellis - Sings Rock and Soul
 
ALTON ELLIS
Sings Rock & Soul
Coxsone
 
 Rocksteady
Für sich gesehen ist dieses schlicht betitelte Debütalbum des Jamaikaners Alton Ellis nichts weiter als das, was es verspricht: Eine Reihe an bescheidenen Eigenkompositionen, aber vor allem auch Coverversionen bekannter britischer und amerikanischer Künstler*innen, performt im Gewand des in seiner Heimat gerade entstehenden Rocksteady-Sounds, den Ellis mit seinen frühen Aufnahmen entscheidend mitprägte. Wo man auf kreativer Seite dadurch aber den Punkt abziehen muss, dass hier eben wenig eigenes Material gespielt wird, ist die Platte allein durch ihren Klang doch eine haltende Säule dieser Stilistik, die vor allem die Do Wop- und Soul-Verwandtschaft der Bewegung illustriert wie wenige andere Acts seiner Zeit. Und vielleicht kann man gerade dadurch, dass Ellis sich hier mit fremden Federn schmückt besonders gut nachvollziehen und sezieren, was die Beweggründe und Andockpunkte von Rocksteady waren, ganz abgesehen davon dass die Songs, die er hier spielt, meistens schon vorher bekannt sind. In meinen Augen also vielleicht die Platte, mit der man sich in dieses Genre mit am besten eingrooven kann.

Das beste daran: Ellis' herrlich trockene Coverversion von A Whinter Shade of Pale. Noch eine großartige (Proto-)Reggae-Umsetzung eines Klassikers, von der ich nie gedacht hätte, dass sie funktionieren könnte.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

17.

Donovan - A Gift From a Flower to a Garden

DONOVAN
A Gift From A Flower to A Garden
Epic

Psychedelic Folk
Schon mit seinen frühen Alben Mitte der Sechziger hatte Donovan sich als eine Art Prototyp des psychedelisch angetünchten Folkstar-Charakters gepromptet und war mit seiner Mischung aus sonnigem Gitarrenflausch, barockpoppiger Extravaganz und einem dezenten Sockenschuss sowas wie ein Early Adapter des hippiesken Summer of Love-Spirits. Wirklich gut waren seine Platten dabei aber lange nicht, zumindest nicht bis auch der Rest der Musikwelt ein Stück weit der seinen näherkam. 1967 war für den Schotten dabei ein immens kreatives und ertragreiches Jahr, allerdings auch ein etwas kompliziertes, was Releasepolitik anging. Schon Mellow Yellow, sein erstes Album der Saison, erschien erstmal nur in Übersee und nicht in Großbritannien und auch vorliegende LP als dessen Nachfolger ereilte ein ähnliches Schicksal. Nur in manchen Versionen erschien es nämlich als das eigentlich geplante Doppelalbum, in anderen als zwei separat veröffentlichten Platten. Welche Variante letztendlich aber die „richtige“ ist, ist 66 Jahre später eigentlich egal, denn fantastische Musik findet auf beiden statt. Mit Donovan auf dem Zenit seines verschwurbelt-zauberhaften Bardentums, der hier einen fantastischen Song nach dem anderen aufnimmt.
 
Das beste daran: Das kleine bisschen Heimatromantik, das er sich in Isle of Islay gönnt.
 
🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


16.
 
The Beatles - Magical Mystery Tour

THE BEATLES
Magical Mystery Tour
Parlophone

Psychedelic Pop
Magical Mystery Tour ist definitiv eine Kuriosität im Katalog der Fab Four: Als einzige Album des US-amerikanischen Release-Zyklus, das dem offiziellen Kanon zugerechnet wird, ist es eigentlich eher die Deluxe-Version einer EP, die als Soundtrack eines fragwürdigen TV-Specials theoretisch ein bisschen zurechtgeschustert wirkt. Und gerade im Schatten des legendären Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, das nur wenige Monate zuvor erschien, wirkt es immer ein bisschen blass und unspezifisch. Ich persönlich empfinde sie aber als das eigentliche Highlight dieser Phase ihrer Diskografie, die nicht nur klanglich wegweisend und kompositorisch mutig ist, sondern auch erstaunlich kohärent für die Art und Weise ihrer Entstehung. Wobei insbesondere die B-Seite des Albums, die mit Penny Lane, Strawberry Fields Forever, Baby, You're A Rich Man und vor allem mit All You Need is Love - quasi der inoffiziellen Hymne des Summer of Love - einige der größten Nummern der Beatles enthält. Womit es in meinen Augen inzwischen ihre beste Platte seit dem Debüt von 1963 ist. Sollen die Nerds mich doch dafür steinigen.

Das beste daran: Das ultimative klimaktische Ereignis von All You Need is Love als Closer der Platte.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


15.

James Brown and The Famous Flames - James Brown Live at the Garden

JAMES BROWN & THE FAMOUS FLAMES
James Brown Live at the Garden
King

Funk
 Eigentlich könnte ich zwei Drittel des Textes, den ich für meine 1963er-Liste über James Browns Live at the Apollo-LP geschrieben habe, hier unverändert einfügen und es würde quasi genauso meine Empfindungen über dieses Album wiedergeben: Um den Godfather of Soul und die musikalische Funk-und-Soul-Magie seines Outputs in den Sechzigern zu verstehen, muss man sich vor allem seine Liveaufnahmen anhören, in denen man auch über fünfzig Jahre später noch leibhaftig hören kann, wie dieser Typ so gut wie jede Bühne nach Strich und Faden zerlegt. Marker dafür sind auch hier wieder die intensive Dynamik, die er mit seinem Publikum entwickelt, die spielerische Tightness und der unfassbare Affenzahn seiner Backingband, der definitiv seinesgleichen sucht und nicht zuletzt seine passionierte und energische Performance als Sänger, mit der er hier im Minutentakt zwischen grantigem Funk und herzzereißenden Soul hakenschlägt. Mit dem Vorteil, dass er an diesem Punkt in seiner Karriere auch ein paar Hits hat, die man auch heute noch kennen könnte und an deren rabiater Zerfahrung man merkt, was für eine Energie im Raum geherrscht haben muss, als diese Aufnahme entstand. In meinen Augen also eine LP, die ihrem berühmten großen Bruder in vielen Punkten mindestens ebenbürtig ist.

Das beste daran: Wie Brown und seine Band hier im Handumdrehen die klangliche 180-Grad-Wende zwischen dem fetzigen Bring It Up und dem souligen Try Me hinbekommen. Das ist wahre Bandchemie.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


14.

Ken Kesey - The Acid Test

KEN KESEY
the Acid Test
Psycho

Klangcollage
 Wahrscheinlich das weirdeste Projekt auf dieser Liste und in diesem Sinne auch eines, von dem man eigentlich behaupten könnte, dass es die Qualifikation eines klassischen Musikalbums nur unzureichend erfüllt. Viel eher gleicht es an vielen Punkten einem grotesken Radiofeature, das im Grundsatz seines Entstehens auch eher dokumentarisch gemeint ist und ziemlich ungefiltert die Exzesse einer Gruppe von "Proband*innen" aufnimmt, die zwischen 1965 und 1966 in einer Versuchreihe experimenteller LSD-Trips durch ein Tonstudio marodiert. Mit dabei ist unter anderem Jerry Garcia von Grateful Dead, der zumindest einige an Songwriting erinnernde Passagen beisteuert, auf der anderen Seite beinhaltet die LP aber auch ein siebenminütiges Interview mit Ken Kesey, dem Initiator des Experiments, das dann doch eher nach einer Mischung aus Reportage und Klangpoesie klingt. Was ich the Acid Test bei alledem aber nicht absprechen kann ist, dass es mich mit seiner uferlosen Skurrilität nachhaltig beeindruckt hat und sehr eindrucksvoll die kuriosere, ernsthaft seltsame Seite des Summer of Love repräsentiert, die hier mitunter auch mal effektiv gruselig werden kann.

Das beste daran: Definitiv das Zeug, das diese Typen genommen haben.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
13.

 
ELZA SOARES
O Máximo Em Samba
Odeon

Samba
Es ist recht wahrscheinlich, dass Elza Soares auf dem besten Weg dahin ist, ab jetzt regelmäßig auf dieser Art von Listen aufzutauchen, zumindest auf absehbare Zeit. Denn dass mich ihr hochenergischer und derbe ansteckender Entwurf von tanzbarem Samba irgendwann langweilen könnte, ist für mich gerade unvorstellbar und mit jeder Platte, die ich von ihr höre, finde ich sie musikalisch stärker und performativ aufregender. Und wie schon der Vorgänger Com A Bola Branca aus dem letzten Jahr ist auch O Máximo Em Samba in dieser Hinsicht wieder eine echte Wucht: Rhythmisch ordentlich auf Zack und musikalisch ausgelassen gibt diese LP schon vom instrumentalen Setting her ein Mordstempo vor, das von Soares selbst formvollendet abgerundet wird, deren Performance auf gewohnte Weise nach dem Spaß ihres Lebens klingt. Womit sie hier nicht nur die beste Platte vorstellt, die ich bisher von ihr gehört habe, sondern tatsächlich eine der stärksten aus dem Feld der brasilianischen Popmusik Mitte der Sechziger.

Das beste daran: Wie viel krasser Soares hier im Vergleich zum Vorgänger auch nochmal als Sängerin wird.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
12.

Tages - Studio

TAGES
Studio
Parlophone

Barockpop
 Kennengelernt hatte ich Tages aus Göteborg auf ihrem Debüt von 1965 als eine der vielen drolligen Beat-Exportbands im Windschatten der British Invasion, spätestens zwei Jahre später hatten sie sich aber zu einer ernsthaften Konkurrenz im Bereich der zeitgenössischen Rockmusik entwickelt, die mindestens genauso starke Songs schreiben können wie ihre Kameraden aus Großbritannien. Und insbesondere Studio, ihr letztes Album unter diesem Namen, ballert goldenen Sechzigerpop quasi am laufenden Band aus allen Rohren, dem man seine Herkunft höchstens an den etwas awkwarden (aber niemals effektiv schlechten) Lyrics anhört. Songs wie It's My Life, Like A Woman, Have You Seen Your Brother Lately oder She's A Man haben ihre Tricks zwar eindeutig bei den Beatles, Stones und Kinks vom anderen Ende der Nordsee gelernt (ein bisschen auch von den Byrds von noch weiter weg), machen aus diesen Einflüssen aber richtig coole Sachen und darüber hinaus ein Gesamtwerk von einer Kohärenz, die manche der eben genannten leider nicht schafften. Schade also, dass es anschließend nur noch ein weiteres Album von ihnen geben sollte.

Das beste daran: Wie It's My Life an manchen Stellen schon schnurstracks in Richtung Hardrock marschiert.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

11.

Franz Josef Degenhardt - Väterchen Franz

FRANZ-JOSEF DEGENHARDT
Väterchen Franz
Polydar

Liedermacher
Das Debüt Spiel nicht mit den Schmuddelkindern von 1965 (das ich ja auch schon echt gerne mochte) mag das visionäre Magnum Opus von Franz Degenhardt sein, mit dem er wichtige Pionierarbeit für das Mitte der Sechziger aufkeimende Liedermacher-Genre leistete, Väterchen Franz als dessen Nachfolger ist für mich aber die Platte, auf dem das zwei Jahre zuvor ausgeschnapste Konzept erst so richtig aufblüht und nochmal musikalisch potenter wird. Lyrisch clever mit starker politischer Kante gegen die Verdrängung der jüngsten Vergangenheit und diverse Formen von Diskriminierung, die wieder mal sehr spitz und treffend einen deutschen Gesellschaftsentwurf der Nachkriegszeit kritisch durchdringt und kompositorisch noch vielfältiger als der Vorgänger, ist es einer der wenigen Phänotypen des Kosmos Liedermacher, die ich wirklich ohne Vorbehalte bewundere und trotz etwas klanglichem Staub noch immer sehr unverändert zeigen, wie cool diese Stilrichtung bei richtiger Ausführung sein kann.
 
Das beste daran: Dass man einen Song wie Tonio Schiavo so oder so ähnlich immer noch über Rassismus in Deutschland schreiben könnte.
 
🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

10.

Duke Ellington - Duke Ellington's Far East Suite

DUKE ELLINGTON
Duke Ellington's Far East Suite
RCA Victor

Big Band
Man verbindet gemeinhin schon andere Dinge mit dem Jahr 1967 als opulenten Big Band-Jazz dieser Art und Weise, für einen Duke Ellington kann man aber schon mal eine Ausnahme machen. Insbesondere dann, wenn es sich um eine seiner besten Platten seit dem Anfang der Dekade handelt, mit der er sich ein weiteres Mal als Großmeister des Genres erweist. Und hey, zumindest der plakative Orientalismus ist im Kontext von hinduphilen Beatles und entfesselter fernöstlicher Spiritualität irgendwie zeitgemäß. Zum Glück macht Ellington dabei aber nicht den Fehler, sich mit billigen Sitar-Crossover-Covern bekannter Standards ins gemachte Nest zu setzen, sondern kuratiert hier einen Zyklus hochwertiger Eigenkompositionen, die songwriterisch herrlich detailverliebt, klanglich perfekt nuanciert und fantastisch performt sind. Und wäre es nicht um die exotisierende Aufmachung und ein paar eingestreute asiatische Tonleitern könnte man Far East Suite auch einfach nur als toll gemachtes Big Band-Album zelebrieren, das es am Ende des Tages auch einfach ist. Denn wenn es um kulturelle Klischeeverwurstung asiatischer Folklore geht, habe ich aus dieser Zeit definitiv schon wesentlich schlimmeres gehört.

Das beste daran: Wie Harissa Mountain am Anfang eigentlich eher nach soften Guanguanco klingt als nach fernöstlicher Musik.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


09.

The Cannonball Adderley Quintet - Mercy, Mercy, Mercy!

THE CANNONBALL ADDERLEY QUINTET
Mercy! Mercy! Mercy!
Capitol

Jazz
 Klar haben wir auch 1967 noch Platz für ein gut gemachtes Jazz-Album in dieser Liste. Insbesondere dann, wenn es ein Livealbum ist und ganz besonders dann, wenn es von Cannonball Adderley ist. Einem Typen, der eigentlich schon mehrmals Teil solcher Listen hätte sein sollen. Mercy! Mercy! Mercy! ist dabei ein ebenso tight performtes wie ursympathisches Konglomerat aus sechs Stücken in 41 Minuten, in denen die unglaubliche Chemie und das solistische Talent aller Mitglieder des Quintetts zum Strahlen kommt, die alle herrlich smooth um den genialen Bandleader herumorgeln, der seinerseits eine göttliche Performance am Saxofon abliefert. Cool finde ich auch, wie nicht wenige Songs in dieser Ausführung (insbesondere der Titeltrack) großzügig Einflüsse aus Gospel und Soul einbeziehen und damit an manchen Punkten fast schon etwas sakrales haben. Definitiv eines der Alben, das mich aus meiner Übersättigung mit dem Jazz der frühen Sechziger herausgeholt hat und mir zeigt, dass ich nur mal wieder was richtig gutes brauchte, um meinen Optimismus zu reanimieren.

Das beste daran: Wie passend es ist, dass Adderley und Band die Stücke Fun und Games direkt hintereinander spielen.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
08.

Nico - Chelsea Girl

NICO
Chelsea Girl
Verve

 Kammerpop
Hängt mich auf, aber ich für meinen Teil habe zu diesem Solodebüt von Nico schon immer emotional die größere Verbindung als zu ihrem kurzfristigen Stint bei the Velvet Underground auf deren legendärem Erstling. Und das liegt nicht etwa daran, dass ich letzteres nicht mögen würde. Ich würde sogar sagen, dass es dort die weitaus spannenderen Höhepunkte gibt und die Sängerin großartig in Szene gesetzt wird. Chelsea Girl hat dafür aber deutlich weniger awkwarde Momente und ist alles in allem auch die stilistisch konsistentere Platte. Allein wenn man mal die Szene in Wes Andersons Royal Tenenbaums gesehen hat, in der These Days läuft, sollte man nachvollziehen können, warum ich in diese Platte so verliebt bin und es ist eben toll zu wissen, dass es davon hier noch neun weitere gibt (Na gut eher acht, It Was A Pleasure Then fällt schon extrem aus dem Gesamtkonzept raus). Ganz abgesehen davon, was für eine charismatische Sängerin Nico hier durchweg ist. Kurzum: Wenn man das Velvet Underground-Debüt vor allem ihrer Beteiligung wegen mag, gibt es eigentlich keine Entschuldigung, sich das hier nicht auch zu Gemüte zu führen.
 
Das beste daran: Wie soft auf diesem Album die Gitarren produziert sind und wie gut sie mit den ganzen kantigen Streicherpassagen klingen.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

07.

The Dubliners - More of the Hard Stuff

THE DUBLINERS
More of the Hard Stuff
Major Minor

Folk
 Ein paar Jahre ist es inzwischen her, dass ich mich bei der Arbeit an meiner 1964er-Liste dieser Rubrik in das selbstbetitelte Debütalbum der Dubliners verliebte, was sich mittlerweile auch auf große Teile ihres weiteren Outputs ausgeweitet hat. Gleich zwei richtig gute Alben gibt es dabei von ihnen aus der Saison 1967, für das letztere von beiden habe ich mich hier entschieden. Musikalisch hat sich bei den Iren dabei wenig verändert, abgesehen davon, dass die Produktion hier um Längen besser ist und die Gruppe auch in ihrer Bandchemie souveränder klingen. Im Kontext ihrer sehr traditionsbelassenen Folklore ist wenig inhaltliche Veränderung aber auch durchaus ein gutes Zeichen, da die größte Stärke der Dubliners ja schon immer war, sowas wie die musikalischen Botschafter Irlands zu sein. Nur logisch, dass das in diesem Fall auch jede Menge Liegdut über gepflegten Alkoholgenuss (könnte man anhand des Titels ja durchaus ahnen) sowie ein paar deftige Mittelfinger gegen die blöden Nachbarn aus England zu dieser Botschaft dazugehören. 

Das beste daran: Mehr denn je Ronnie Drew als Leadsänger, auch wenn alle immer nur über Luke Kelly reden.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸


06.

The Rolling Stones - Their Satanic Majesties Request

THE ROLLING STONES
Their Satanic Majesties Request
Decca

 Psychrock
Es war nur ein kurzer Ausflug, den die Rolling Stones 1967 in die Psychedelik machten und bis heute wird das eine daraus resultierende Album von großen Teilen ihrer Fanbase mit großem Argwohn betrachtet. Zum einen deshalb, weil sich nach wie vor die Mär davon hält, dass es von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band abgekupfert sei (was es faktisch nicht ist, denn obwohl es erst im Dezember der Saison erschien, starteten die Produktionsphasen beider Platten ungefähr zur gleichen Zeit), zum anderen weil die Stones hier so weit außerhalb ihrer Komfortzone agieren und zum Teil echt chaotisch werden können. Wo viele die LP deswegen aber als überkandidelten Quatsch nach einer LSD-Party zu viel abtun, empfinde ich es als einen der spannendsten Exkurse der Band, der vor allem das Talent des zwei Jahre später verstorbenen Brian Jones besonders hell strahlen lässt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es in meinen Augen definitiv auch das beste Album der Briten und gerade wegen seines kapsulären Daseins wegen so ein verdammt wertvolles musikalisches Dokument. Wobei ich es auf der anderen Seite auch gut und richtig finde, dass die Stones auf lange Sicht sie selbst geblieben sind und sich nicht von den Trends der Hippies haben mitreißen lassen.

Das beste daran: Dass die Stones nur auf so einem Album einen Song wie She's A Rainbow hätten machen können. 

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
05.

Prince Buster - Prince Buster on Tour 

PRINCE BUSTER
Prince Buster On Tour
Blue Beat
 
 Rocksteady
 Ginge es in diesen Listen allein darum, wie visionär und einflussreich die Arbeit eines bestimmten Acts rückblickend war, hätte Prince Buster schon wesentlich früher auf einer davon auftauchen müssten. Denn mit Platten wie I Feel the Spirit oder Fly Flying Ska vom Beginn der Sechziger (die ich grundsätzlich auch sehr empfehlen kann) ist er definitiv einer der ersten wichtigen Pioniere der jamaikanischen Ska-Bewegung und damit einer der unumstößlichen Säulen des Genres. Und wo man monieren könnte, dass ein Album wie dieses, das aus Liveaufnahmen einer Tour Mitte der Sechziger besteht, eigentlich erst nach dieser prägenden Zeit entstand, funktioniert es für mich doch fantastisch als eine Art Zusammenfassung der stärksten Momente davon. Der unfassbar eingängige Konsens-Hit Madness wirkt live mit seinen Bläsersätzen nochmal extra fett, Busters Version von Desmond Dekkers 007 steht dem Original in wenig nach und Take It Easy ist mit seinem rhythmisch vertrackten Refrain einer meiner Geheimfavoriten. Definitiv kein essenzielles Album, um diesen Künstler kennenzulernen, aber im Moment trotzdem irgendwie mein liebstes von ihm.
 
Das beste daran: "have some fish 'n chips / with cup o' tea / steady earners / and just rock steady"
 
 🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

04.

Muddy Waters - More Real Folk Blues

MUDDY  WATERS
More Real Folk Blues
Chess

Blues
More Real Folk Blues ist die mittlerweile fünfte Platte, die ich im Rahmen der Oldies-Rubrik von Muddy Waters auf eine dieser Liste schreibe, was ihn in dieser Disziplin definitiv zum Künstler mit den häufigsten Nennungen macht. Und warum das so ist, zeigt er auch 1967 wieder eindrucksvoll. So gründet er gemeinsam mit Little Walter und Bo Diddley in diesem Jahr eine Art Supergroup des Chicago Blues und veröffentlicht mit denen auch ein gemeinsames Album, die stärkste musikalische Kraft kommt aber ein weiteres Mal aus seinem Archiv. Als einer der fünf Künstler, die Chess Records schon in der Vorsaison für die Compilationserie the Real Folk Blues einspannte, die vor allem altes Material aus den Fünfzigern veröffentlichte, war er einer von zweien, bei denen ein Jahr später sogar noch genug für einen zweiten Teil da war. Und keine Ahnung wieso, aber dieser zweite Teil klingt mit seiner souveränen und charismatischen Basisarbeit am Werkstück Blues an vielen Punkten sogar noch cooler als der erste und ist damit ein weiteres absolutes Highlight in der Diskografie des Chicagoers. Und erneut eine seiner Platten, die ich Genre-Neuligen ganz unbedingt als Einstieg in die Materie empfehlen kann.

Das beste daran: Selten so gute Moves an der Slidegitarre gehört wie hier.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 
 
03.

Etta James - Call My Name

ETTA JAMES
Call My Name
Cadet

Soul
Ich habe während der Arbeit an den letzten Listen immer wieder nach den Punkten gesucht, in denen der noch sehr schnieke und an vielen Stellen noch reichlich brave Soul-Entwurf der mittleren Sechziger, vornehmlich gestaltet vom legendären Motown-Label, in die spirituelle und performative Urgewalt umkippt, die er in den Siebzigern werden würde. Und wo es bei den üblichen Verdächtigen wie James Brown, Nina Simone, Aretha Franklin, Ray Charles oder Otis Redding immer schon Momente gab, in denen diese Energie durchaus zu finden war, ist diese Platte hier die erste, in der sie für mich wirklich durchgehend zu spüren ist. Witzigerweise von einer Künstlerin, zu der ich vorher nie wirklich einen Draht hatte und die an diesem Punkt schon so lange aktiv war, dass sie 1967 definitiv nicht mehr zu den jungen Wilden zählte. Auf Call My Nameentlädt sich in meinen Augen aber auf jeden Fall irgendetwas, das hier nicht nur für eine unfassbar passionierte Gesangsperformance sorgt, sondern auch in den Instrumentals und Kompositionen ordentlich losmetert. Was die Platte in meinen Augen zu einer der besten Soul-Platten der gesamten Sechziger macht und den Weg für großes ebnet.
 
Das beste daran: Wie bluesig der Titelsong an manchen Stellen wird und wie er dadurch eine einen kuriosen Blueprint für die Musik darstellt, die Janis Joplin wenig später machen sollte.

🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

02.

Leonard Cohen - Songs of Leonard Cohen
 
LEONARD COHEN
Songs of Leonard Cohen
Columbia

Singer-Songwriter
Es ist schwierig, eine Figur wie Leonard Cohen und sein ikonisches Debüt in die musikalische Landschaft von 1967 einzuordnen und so richtig passt er dabei in keinen der gängigen Trends. Erstens deshalb, weil er zu diesem Zeitpunkt definitiv keiner von den jungen Wilden mehr ist, sondern mit Mitte 30 eher schon in die besten Jahre kommt, zweitens weil er stilistisch sehr aus den üblichen Schemen herausfällt. Sicher, als minimalistische Songwriter-Type, der meistens nur Akustikgitarre spielt, könnte man ihn irgendwie ins immer noch anhaltende Folk-Revival abordnen, doch ist seine Musik dafür eigentlich viel zu literarisch. Für die Hippies ist der außerdem zu konservativ und für die alte Generation des Traditional Pop zu skandalös und verwegen. Und so findet er für mich Ende der Sechziger – vor allem mit diesem wahnsinnigen Debüt – in einer Art Schwebezustand statt, den kreativ gesehen sonst höchstens noch jemand wie Lou Reed einnimmt. Das macht Songs of Leonard Cohen am Ende aber auch so besonders und so schön und ist einer der Gründe, warum die Platte auch heute noch ein bisschen zeitlos rüberkommt.
 
Das beste daran: Die romantischen Drehorgel-Sounds in der zweiten Hälfte von Sisters of Mercy.
 
🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸🌸
 

01.

Nina Simone - Nina Simone Sings the Blues

NINA SIMONE
Nina Simone Sings the Blues
RCA Victor

Blues
Je mehr ich mich während der letzten Jahre in den Katalog von Nina Simone eingehört habe (und dabei auch einige der Aussagen, die ich in diesem Rahmen einst über sie getätigt habe, revidieren musste), desto mehr habe ich darunter auch jene Momente ihres Schaffens schätzen gelernt, in denen sie sich in die Traditionen des Blues hereinarbeitet und der Stilistik ihren eigenen Spin verpasst. Und mit dem programmatisch betitelten Nina Simone Sings the Blues, das sich performativ quasi ausschließlich diesem Vorhaben widmet, habe ich von diesem Teilaspekt ihres Outputs nun das nächste Meisterwerk für mich entdeckt. Wobei der Begriff Blues in diesem Fall vor allem auch inhaltlich zu verstehen ist und sich hier in Form tief empfundener Klagelieder äußert, für die Simone schon immer das perfekte Vehikel ist. Egal ob das dann mit politisch-religiösen Untertönen stattfindet, auf zwischenmenschliches beschränkt wird oder auch nur eine spannende Coverversion darstellt wie im Fall von House of the Rising Sun. Was wichtig ist ist die Persönlichkeit, die diesen Songs hier eingeimpft wird und die eben keine andere Künstlerin auf diese Weise hinbekommt. Womit das hier im Moment mein definitiv liebstes Simone-Studioalbum ist.
 
Das beste daran: Dass es klanglich trotzdem auch Simones souligstes Album bis zu diesem Zeitpunkt ist.
 
 
 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen