Samstag, 26. November 2022

Die Wochenschau (18.11.-25.11.): Björk, Haiyti, Westside Gunn, Oiseaux-Tempête

 







Oiseaux-Tempête - What on Earth (Que Diable)
OISEAUX-TEMPÊTE
What On Earth (Que Diable)

Nahal

Eine zugänglichere Band sind Oiseaux-Tempête in den drei Jahren seit From Somewhere Invisible auf jeden Fall nicht geworden, soviel lässt sich eingangs schon mal feststellen. Denn obwohl sie auch auf diesem inzwischen fünften Longplayer von ihnen wieder fantastische Musik machen können, ist es bei dieser doch zunehmend schwerer, auch wirklich dahin durchzudringen. Was letztlich vor allem daran liegt, wie hinterlastig What On Earth als Gesamtkonzept geworden ist und dass die ersten fünfzehn Minuten des Albums ein ziemlich dröger Haufen subtil verhuschter Experimentalmusik sind, die sich erst nach und nach wirklich aufwärmen. Erst nach etwa vier bis fünf Tracks machen die Pariser hier etwas, das ich als kompositorisch interessant und ihren alten Platten ebenbürtig bezeichnen würde und wäre diese zweite Hälfte dann nicht bisweilen genial, würde ich das hier als mittlere Enttäuschung verbuchen. Zumal es auch hier weiterhin schwierig ist, wirklich einen Zugang zu dieser Musik zu finden. Mit the Crying Eye — I Forget und A Man Alone (In a One Man Poem) kommen die zwei Herzstücke der LP jeweils auf eine Länge von zwanzig und zwölf Minuten und fordern geduldiges und wohlwollendes Hören ein. Bringt man das mit, wird man jedoch mit einem weiteren Highlight des stimmungsvoll-düsteren Postrock-Amalgams dieser Band belohnt. Und wenn man mich fragt, sind es am Ende eben gerade die ganz subtilen Momente, die mich wirklich begeistern. So ist Waldgänger für mich persönlich der größte Sleeper Hit des Albums und das eigentlich als Bonustrack beigefügte Dôme in all seiner drückenden Ambienz der Schlussstrich, den das Album sonst nicht wirklich hätte. Obwohl das Trio es uns hier also mal wieder nicht einfach macht, ihr neuestes Produkt zu genießen, ist es mit der richtigen Einstellung doch wieder mal ein tolles Stück Musik von ihnen. Glück für sie, dass ich auch vorher schon Fan war.
 
🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 
 
 
Haiyti - Ich lach mich tot HAIYTI
Ich lach mich tot

Die-Ai-Wei

 
Um das wichtigste direkt am Anfang zu sagen: Das hier ist wahrscheinlich Haiytis beste Arbeit seit City Tarif und auch wenn diese kleine Offenbarung von einem Album leider mal wieder nicht damit einhergeht, dass die Hamburgerin endlich mal im Sinne eines Gesamtwerks zu denken lernt, ist es doch schon ein bisschen das, worauf ich bei ihr seit sieben Jahren gewartet habe. Denn wenn man es so will, dann ist sie hier einfach nur den Weg des größten Widerstands gegangen und hat statt eines gut ausbalancierten kleinen Tapes mit zehn oder zwölf kohärenten Tracks lieber 20 Banger geschrieben, die ganz allein durch ihre Einzelqualität überzeugen. Von den durchwachsenen Formtiefpunkten der letzten Haiyti-Platten ist dabei auf Ich lach mich tot kaum noch was übrig und lediglich ein paar bestenfalls okaye Tracks wie Fxxxboy und Für die Fans sowie ein echt erbärmliches King Blade-Feature in Rauch in der Luft trüben hier den Eindruck einer phänomenalen Fleißarbeit. Lyrisch und performativ ist die Protagonistin dabei nochmal ein bisschen mehr on point als sonst immer und die Auswahl der Beats schneidet ein weiteres Mal tief. Witzig auch, dass der Closer der Platte ausgerechnet ein Ärzte-Cover ist. Diese Frau ist eben immer wieder für Überraschungen gut.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11
 
 
 
 
 
Westside Gunn - 10WESTSIDE GUNN 
10
Griselda | Empire

Als mittlerweile zehntes Album in Westside Gunns Hitler Wears Hermes-Serie ist 10 ein nicht zu unterschätzender Meilenstein für den New Yorker, für den ich jetzt einfach mal so tun werde, als hätte ich nicht den gesamten bisherigen Katalog der Saga sträflich vernachlässigt. Denn was auf diesen zwölf Songs in 49 Minuten präsentiert wird, ist dann doch ziemlich sicher eines der besten Alben, die ich von diesem Typen jeweils gehört habe und wird definitiv dem besonderen Anlass der LP gerecht. So gut wie jeder Track auf dieser Platte ist auf seine Art ein einzigartiger Megahit und unter den wie immer hochkarätigen Features finden sich hier gleich mehrere mit drei oder mehr Gästen, die hier alle mit voller Leidenschaft dabei sind. Da geben sich Busta Rhymes und Raekwon (beide mittlerweile nicht zum ersten Mal auf einer Griselda-LP vertreten) in Science Class die Klinke in die Hand, Run the Jewels veredeln Switches On Everything mit jeder Menge Charisma, AA Rashid kapert den prominenten Spot im Intro mit einem echt inspirierenden Spoken Word-Part und wenn im Closer Red Death fast alle Associates des Griselda-Labels eine Strophe kriegen, merkt man auch ernsthaft die Tragweite, die dieses Album für die ganze Crew hat. Und nachdem Westside bereits im Sommer mit Peace "Fly" God eine der besten Platten seiner Karriere gemacht hat, setzt er hier sogar noch einen drauf und zementiert sich damit endgültig als der Spitzenreiter seines Unternehmens in dieser Saison.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11




 
BJÖRK
Fossora
One Little Indian

Der kritische Aufhänger der neuen Björk-LP scheint ja allerorten der belächelnswerte Umstand zu sein, dass die Isländerin jetzt ein Album über Pilze gemacht hat und dient den Meisten da draußen mal wieder zur Beweisführung, dass diese Frau wohl auf denkbar positive Weise nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Und obwohl auch ich zugeben muss, dass ich die ganze Sache im ersten Moment sehr on brand und lustig fand, ist dieser inhaltliche Aspekt von Fossora nach vollendeten Tatsachen sicherlich das beste, was ich an dieser Platte finden kann. Denn was Björk mit diesen "Pilz-Songs" am Ende tatsächlich meint ist oft, myzelisch-symbiotische Lebensfunktionen aus der Natur als Analogie für menschlichen Zusammenhalt zu sehen und daraus eine Art bionisches Mission Statement für mehr Toleranz und Verständnis zu formulieren. Was rein textlich auch super funktioniert, gerade weil Björk solcherlei kantige und unlyrische Themen schon immer fantastisch performt. In gewisser Weise ist das hier damit die Fortsetzung der inhaltlichen Idee, die 2011 schon mal auf Biophilia stattfand und von den letzten beiden Alben quasi nur unterbrochen wurde. Wobei man leider auch sagen muss, dass das gleiche Konzept hier nicht ansatzweise so glatt über die Bühne geht wie damals und die LP sich vor allem musikalisch arg verkalkuliert. Der sehr avantgardistische und verschrobene Sound ihrer letzten Platte ist hier nochmal einen Zacken unförmiger und schräger geworden, was an sich kein Problem wäre, hätte man das songwriterisch einigermaßen aufgearbeitet. Doch habe ich hier stattdessen mehr und mehr den Eindruck, dass dieses immer richtungsloser und zerstreuter wird, was in diesem Zusammenhang dann nicht kunstig und clever wirkt, sondern eher nach fehlenden Ideen. Womit ich um Gottes willen nicht sagen will, dass Björk unbedingt wieder Popmusik machen soll, doch schon ein bisschen, dass ihre Arbeit ein Mindestmaß an Kohärenz und Charakter braucht, um für mich interessant zu sein. Denn wäre es nicht um die tatsächlich gut durchdachte inhaltliche Seite der LP würde ich der Isländerin hier schon vorwerfen, ein bisschen pretenziös zu sein. Und das wäre eigentlich das letzte, was sie verdient gehabt hätte.
 
🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 05/11
 
 
 

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